Herta Däubler-Gmelin (SPD) war von 1972 bis 2009 Mitglied des Bundestages. Von 1998 bis 2002 war Däubler-Gmelin Bundesjustizministerin im Kabinett Schröder.
Es ist kaum zu fassen: Erst in der vergangenen Woche hat die Mehrheit der britischen Wählerinnen und Wähler mit dem Brexit-Referendum dokumentiert, dass immer mehr EU-Bürgerinnen und Bürger die EU nicht mehr als Hoffnungsprojekt, sondern als Ansammlung arroganter und abgehobener Brüsseler Bürokraten begreifen, die sie ablehnen.
Alle sind nun schockiert, die EU-Regierungschefs kommen zu Beratungen zusammen. Man hört erste einsichtige Töne von Regierungs- und Parteichefs, aber auch von EU-Spitzen, dass die EU vereint agieren und zugleich bürgernäher und demokratischer werden müsse. Beides trifft zu und findet große Unterstützung gerade bei den Europa-Anhängern.
Die hoffen auf Änderungen, auf weniger Heimlichkeit und mehr Offenheit - zum Beispiel bei den Plänen Brüssels für die modernen Freihandelsabkommen Ceta und TTIP.
Die Bürger wollen solche Abkommen nicht
Und dann, am Dienstag, haut der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit einem Paukenschlag dazwischen. Er verkündet, dass Ceta, also das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, ein "reines" EU-Abkommen sei. Es müsse also nur von den EU-Institutionen, nicht aber von den Mitgliedstaaten und deren Parlamenten akzeptiert werden. Die hätten damit nichts zu tun. Das habe er gerade den Regierungschefs vorgetragen, die ja zum Brexit-Sondergipfel in Brüssel versammelt waren und von denen habe keiner widersprochen. Man reibt sich die Augen!
Sollte die EU-Kommission am kommenden Dienstag wirklich die Vorstellung der deutschen Übersetzung von Ceta mit ihrem Vorschlag verbinden, dieses Abkommen - an den Mitgliedstaaten und ihren Parlamenten vorbei - nur EU-Institutionen zur Zustimmung vorzulegen, dann ist das eine schallende Ohrfeige an die Bürgerinnen und Bürger Europas.
Junckers Ankündigung ist falsch, zynisch und schädlich für Europa
Seit Jahren tragen sie ihre Kritik an diesen modernen Freihandelsabkommen vor: Sie wollen solche heimlich unter Lobby-Beteiligung ausgehandelten Abkommen nicht, die mit einseitigen Klauseln Demokratie und Rechtsstaat schwächen und geltende Schutzregelungen für Arbeitnehmer, Verbraucher, für Kultur und Daseinsvorsorge aufweichen. Sie wollen auch keine EU, die Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung gezielt abbaut und den Entscheidungen der Bürokraten von Brüssel im Verbund mit denen aus nationalen Ministerien und Wirtschafts-"Experten" immer mehr Gewicht beimisst.
Alle wissen, dass es von dem Inhalt eines Abkommens abhängt, ob es nur EU-Institutionen oder auch die Mitgliedstaaten ratifizieren müssen: Greifen seine Klauseln in Vorbehaltsrechte der Mitgliedstaaten ein, dann führt kein Weg an deren Parlamenten vorbei. Das trifft, wie längst juristisch belegt, auf CETA zu. Auch der EU- Kommissionspräsident weiß das. Gerade deshalb ist Jean-Claude Junckers Ankündigung, die Öffentlichkeit und die Parlamente der Mitgliedstaaten zu umgehen, nicht nur falsch und zynisch, sondern auch gezielt schädlich für Europa. Sie bestätigt genau den Vorwurf der Arroganz und bürokratischen Abgehobenheit, mit dem die Feinde der EU seit Jahren das europäische Projekt unterminieren.