Süddeutsche Zeitung

Freihandelsabkommen:Alle gegen TTIP? Ihr werdet euch noch wundern!

Mit dem Erfolg von Donald Trump hat der Protest gegen TTIP eine andere Dimension bekommen: Die USA könnten sich vom Prinzip des Freihandels verabschieden.

Essay von Nikolaus Piper

Die Gegner des Freihandelsabkommens TTIP in Deutschland haben einen mächtigen Verbündeten gewonnen: Donald Trump. Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner bei der Wahl am 8. November lehnt Freihandels-Abkommen mit gewohnter Grobheit ab. TPP, das TTIP-ähnliche Abkommen der USA mit elf Pazifik-Anrainern, sei ein "fürchterlicher" Deal, erklärte er. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta mit Mexiko und Kanada will er kündigen und China für seine Exporterfolge bestrafen. Kaum vorstellbar, dass so jemand ein TTIP mit den Europäern in gutem Willen zu Ende verhandelt und dann auch noch den fertigen Vertrag durch den Kongress bringt.

Die Mehrheit der Deutschen möchte genau das: dass TTIP nie kommt. Hunderttausende haben schon dagegen demonstriert. Einige versuchen, das ganz ähnliche Ceta-Abkommen mit Kanada durch eine Verfassungsklage zu verhindern. Es ist heute tatsächlich nicht mehr ausgeschlossen, dass die Gegner von TTIP ihren Willen bekommen werden. Die Verhandlungsunterlagen ("TTIP-Papiere"), die in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurden, haben gezeigt, wie weit die Positionen von EU und USA noch voneinander entfernt sind. Vor allem hat sich das politische Klima für den Gedanken des Freihandels zusehends verschlechtert, nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in den USA, nicht nur an dem linken, sondern auch am rechten Rand des politischen Spektrums.

Drei Thesen

Das Problem: Der Kampf gegen TTIP wird zum Thema für Rechtspopulisten

Der Fakt: EU und USA liegen in den Verhandlungen noch weit auseinander

Die Hoffnung: Das Bewusstsein für die Vorteile des Freihandels wächst

Alle sind dagegen: Donald Trump und Bernie Sanders, der linke Gegner von Hillary Clinton, Attac, die Linke, AfD und viele andere in Deutschland. Für die Freiheitliche Partei Österreichs ist TTIP die große "transatlantische Gefahr". Abgeordnete der britischen Anti-Europa-Partei UKIP organisierten im vergangenen Jahr eine lärmende Demonstration gegen TTIP.

Die Prinzipien haben einen Wohlstand geschaffen, der zuvor unvorstellbar war

Die Frage ist, ob die TTIP- und Globalisierungsgegner sich ihres Sieges, wenn er denn kommt, erfreuen werden. Bei dem Streit geht es schon lange nicht mehr nur um die Details von TPP oder TTIP, sondern um Prinzipien, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die internationale Handelsordnung getragen haben: dass Handel nach festen Regeln erfolgt, dass Handelspartner nicht diskriminiert werden, dass man Willkür vermeidet. Die Prinzipien haben in den Ländern, die sich daran hielten, einen Wohlstand geschaffen, der zuvor unvorstellbar war.

Die jetzt geplanten Freihandelsabkommen sollten die Gültigkeit dieser Prinzipien viel weiter treiben auf Gebiete, die bisher unstreitig in der nationalen (oder in der EU: europäischen) Souveränität lagen: die Art und Weise, wie Regeln für Umwelt, Lebensmittel und Produktsicherheit festgelegt werden. Jetzt stehen nicht nur TTIP und Ceta, sondern die Prinzipien selbst infrage. Wirtschaftsnationalismus ist wieder modern.

Besorgniserregend ist vor allem die Entwicklung in den USA. Die Vereinigten Staaten haben eine lange Tradition protektionistischer Anwandlungen. Der Smoot-Hawley Act von 1930, ein Gesetz, das die Zölle für 20 000 Produkte zum Teil dramatisch erhöhte, trug wesentlich zur Verschärfung der Weltwirtschaftskrise bei. Die ehrgeizige Havanna-Charta von 1947, die den Handel schon damals wesentlich liberalisiert und vor allem den jungen Entwicklungsländern geholfen hätte, scheiterte am Widerstand des US-Kongresses. Seither stehen die USA jedoch in der Regel für die Öffnung, nicht die Schließung von Märkten. Moderate Republikaner und zentristische Demokraten sicherten meist eine Mehrheit für den Freihandel.

Das ist vorbei. Donald Trump ist im Begriff, die alte, freihändlerische Republikanische Partei zu zerstören. Zwar bekennt er sich mit Worten zu offenen Grenzen, tatsächlich jedoch will er eine Mauer zu Mexiko bauen und eine Steuer von 20 Prozent auf importierte Waren und Dienstleistungen erheben. Bernie Sanders, der linke Kandidat der Demokraten, lehnt TPP und TTIP ebenso kategorisch ab. Er will einem Unternehmen, das Jobs nach Mexiko verlagert, Aufträge des Verteidigungsministeriums streichen. Und auch Hillary Clinton, derzeit immer noch die Favoritin bei der Wahl, rückt unter dem Druck der Populisten langsam von ihren freihändlerischen Positionen ab. Und eines ist sicher: Wie auch immer die Wahl ausgeht, der Wahlkampf wird Spuren in der amerikanischen Handelspolitik hinterlassen.

Zu der massiven Opposition gegen TTIP und TPP ist es sicher auch gekommen, weil der Freihandel als Elitenprojekt wahrgenommen wird. Das Schicksal teilt er mit dem Euro. Bürokraten und Politiker, so die Wahrnehmung, verraten die Interessen der normalen Amerikaner (oder Deutschen oder Österreicher) an das Ausland oder an "die Konzerne". Dahinter steht ein beispielloses Misstrauen gegenüber gewählten Politikern. In seinem Buch "Die Freihandelslüge" wundert sich der Foodwatch-Gründer Thilo Bode, dass sich "unsere Volksvertreter durch ein Freihandelsabkommen in ihren demokratischen Rechten so einschränken, ja entmachten" lassen. Wer solch einen ungeheuerlichen Vorwurf erhebt, der muss Barack Obama, Angela Merkel, Sigmar Gabriel und alle anderen entweder für abgrundtief dumm oder abgrundtief böse oder beides halten. Zur "Merkel-muss-weg"-Hysterie auf der Rechten ist es dann nicht mehr weit.

Was den Freihandelsgegnern in den USA die Wähler zutreibt, ist die Angst um den Arbeitsplatz. Das ist zu verstehen. Der Eintritt Chinas auf den Weltmarkt vor 25 Jahren war ein historischer Einschnitt, dessen Dimension der Westen erst nach und nach begriff. Besonders die Industrie der USA wurde schwer getroffen. Zwar sprechen alle Indizien dafür, dass der Handel auch seither insgesamt für Wachstum und Beschäftigung sorgte. Die Verlierer der Entwicklung wohnen jedoch geografisch konzentriert in Bundesstaaten wie Pennsylvania, Ohio oder West Virginia. Und sie wählen Trump oder Sanders.

In Deutschland ist es die Angst um Umwelt, Gesundheit und die Demokratie, die die Menschen auf die Straße treibt. Einiges lässt sich leicht entkräften. Die Vorstellung, dass die US-Aufsicht für Lebensmittel und Arzneien laxer vorgehen könnte als europäische Behörden, ist eher komisch, ähnlich wie die Idee, der amerikanische Kongress werde sich sein Recht beschneiden lassen, die Bürger der USA zu schützen. Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass es zwischen den USA und der EU große Interessengegensätze gibt, wie die TTIP-Papiere gezeigt haben. Die Europäer wollen Autos verkaufen, die Amerikaner Agrarprodukte. Deshalb werden sie einen Preis verlangen, wenn die EU den Import von hormonbehandeltem Fleisch und von Lebensmitteln aus genveränderten Pflanzen weiter blockieren. Die Europäer lassen weniger Chemikalien zu als die Amerikaner. Die EU will einen Handelsgerichtshof für Streitfälle zwischen Investoren und Regierungen, die USA halten an den bisherigen privat verfassten Schiedsgerichten fest. Aber auch Hoffnungsvolles zeigt sich bei Lektüre der TTIP-Papiere: Sowohl die USA als auch die EU sind gegen Exportsubventionen für Agrarprodukte. Würden sie tatsächlich abgeschafft, wäre dies ein riesiger Fortschritt: Unbestritten sind Exportsubventionen so ungefähr das Schlimmste, was Industrieländer der Dritten Welt antun können.

Die Frage ist auch eng mit der Krise der EU verbunden

Das alles liegt jedenfalls im Bereich normalen Feilschens bei Handelsfragen. Man kann sich einigen, oder auch nicht. Das Scheitern ist jedoch wahrscheinlicher geworden. Die Präsidentschaft Obamas geht unwiderruflich zu Ende, es bleibt nur noch wenig Zeit. Selbst wenn ein TTIP-Vertrag noch vor dem 8. November ausgehandelt werden sollte, ist es zweifelhaft geworden, ob ein protektionistisch gewordener Kongress das Ergebnis dann auch ratifiziert. Und mit einem Präsidenten Donald Trump würde sich das Thema ohnehin erledigt haben.

Die Frage des Freihandels ist auch eng mit der Krise der EU verbunden. Die Mitglieder der Union haben die Kompetenz für Handelsfragen schon lange an die Kommission in Brüssel abgegeben. Anderes wäre in einem gemeinsamen Markt auch nicht vorstellbar. Jetzt richtet sich in Sachen TTIP das Misstrauen konsequenterweise nicht nur gegen die Amerikaner, sondern auch gegen "Brüssel". Sigmar Gabriel ist in Berlin der Sündenbock der TTIP-Gegner (sie widmeten ihm bei einer Demonstration auch schon mal eine Guillotine), in Brüssel ist er aber eben nur einer unter 28 Handelsministern. Solche Distanz macht angemessene Kommunikation fast unmöglich. Auch Politiker, die TTIP freundlich gegenüber stehen, haben sich schon über die Arroganz Brüsseler Kommissare bei dem Thema beklagt. Da gibt es noch viele Lehren zu ziehen, anderenfalls wird es in der EU kaum noch möglich sein, große Projekte zu verwirklichen.

TTIP hat das Potenzial, Beschäftigung und Wohlstand zu schaffen, indem es einheitliche Standards setzt, Barrieren abbaut und Kosten senkt. Sollte es scheitern, würde sicher nicht die Welt untergehen. Aber es wäre eben auch nicht einfach die Rückkehr zum Status quo. Amerikaner und Europäer hätten bewiesen, dass sie ein wichtiges gemeinsames Projekt nicht realisieren können. Und genau da liegt die strategische Dimension von TTIP. Die Prinzipien der so erfolgreichen Handelsordnung der Nachkriegszeit, vor allem das Verbot der Diskriminierung, müssen auch in einer technisch und geopolitisch radikal veränderten Welt durchgesetzt werden. Niemand außer den Vereinigten Staaten und der EU kann das. Nur sie können ein Leitbild gegen den grassierenden Wirtschaftsnationalismus setzen. Wenn sie nun selbst vor diesem Nationalismus kapitulieren, wie glaubwürdig sind sie dann?

Auch das ist eine Parallele zur Krise in der EU. So wie viele Europäer die angenehmen Seiten der Integration - die offenen Grenzen und die Niederlassungsfreiheit - als selbstverständlich angesehen haben, so halten es die Deutschen für gegeben, dass sie ihre Autos und Maschinen nicht nur in der EU, sondern (fast) überall auf der Welt ohne Willkürakte anderer Regierungen verkaufen können. Es ist aber nicht selbstverständlich, sondern es bedarf kluger internationaler Verträge. Wie zum Beispiel TTIP.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2016/jasch
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