Freihandel zwischen USA und EU:Transparenz statt Geheimnistuerei

Mögliches Scheitern als Chance: Europas Politiker müssen ihren Bürgern ein Handelsabkommen mit den USA präsentieren, das alle gut behandelt, - und auch die Kritiker ernst nehmen. Sonst werden sie mit dem Projekt durchfallen.

Ein Kommentar von Alexander Hagelüken

Es klingt gefährlich. Verklagen Konzerne künftig EU-Staaten in großem Stil wegen ihrer Umwelt- oder Gesundheitsgesetze? Kassieren sie Milliarden, weil Deutschland Genfood oder Hormonfleisch verbietet und Atomkraftwerke ebenso stoppt wie das umstrittene Fracking? Solche Szenarien malen Kritiker des geplanten Freihandelsdeals mit Amerika an die Wand.

Sie fürchten, das von seinen Fans in Industrie und Politik bereits als historisch gefeierte Abkommen werde historisch unfair: Gewinne für die Industrie, Zumutungen für die Bürger. Und sie haben einen Protest im Internet entfacht, der an die Kampagne gegen das Produktpiraterie-Abkommen Acta erinnert.

Die Aktivisten fegten Acta weg, das an sich ein sinnvolles Ziel verfolgte. Das EU-Parlament stoppte 2012 alles. Deshalb tut Handelskommissar Karel De Gucht gut daran, die Kritiker diesmal ernst zu nehmen. Er packt sich eine besonders heikle Frage, die mögliche Zunahme von Klagen gegen Umwelt- oder Gesundheitsstandards - und setzt die Gespräche mit den USA aus, damit die Skeptiker ihre Argumente vortragen können.

Für den wirtschaftlichen Austausch gibt es gute Argumente

Zu lange hat sich Brüssel hinter dem Verhandlungsauftrag verschanzt, den es von den Regierungen erhielt. Zu viel Geheimnistuerei umweht das Abkommen, das wie andere Handelsverträge zuvor den Wohlstand der Nationen steigern soll. Falls die Ziele wirklich so hehr sind, muss nicht jeder Paragraf vor den Bürgern verborgen werden. Wenn Europas Politiker das Abkommen wirklich wollen, sollten sie Transparenz schaffen und dafür werben.

Wer den wirtschaftlichen Austausch mit Amerika intensivieren will, hat ja gute Argumente. In der Geschichte waren es stets solche Marktöffnungen, die den Wohlstand der Völker mehrten: Der Wegfall von Handelsschranken erzeugte nicht nur vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, sondern auch zum Start der modernen Globalisierung in den 1970/80er-Jahren einen Schub, der den Menschen viel mehr Geld brachte.

Auch im Verhältnis zu Amerika lässt sich das Rad nun schneller drehen: Wenn VW oder Daimler nur noch einen transatlantischen Standard bei der Autoproduktion befolgen müssen, sparen sie viel. Die US-europäische Kooperation hat einen weiteren strategischen Aspekt. Beim Schutz von Umwelt, sozialen Rechten oder Demokratie sind sich die beiden (noch) größten Wirtschaftsblöcke der Welt meist näher als aufstrebenden Rivalen wie China oder Russland. Es würde diesen Zielen helfen, wenn sich beide auf Standards einigen, die sie dann möglichst global verteidigen und verbreiten.

Aussetzen der Verhandlungen reicht nicht

Es kommt natürlich darauf an, was für Standards das sind. Europas Politiker sollten begreifen: Ihre Bürger werden das Abkommen nicht einfach schlucken. Es muss so ausgestaltet werden, dass es die Wünsche der Menschen widerspiegelt. Die Europäer wollen kein Genfood ohne Kennzeichnung und keine Energiekonzerne, die ihnen diktieren, dass sie Atomkraft ungefährlich finden sollen.

Solche Präferenzen dürfen nicht durch Schadensersatzforderungen von Konzernen ausgehebelt werden. Die Klage von Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg ist ein Beispiel dafür, wie die Zukunft aussehen muss: Die gewählte Regierung (und nicht ein Konzern) entscheidet, welche Energien den Bürgern zuzumuten sind.

Es reicht nicht, dass Kommissar De Gucht die Verhandlungen über solche Konzernklagen aussetzt. Er muss gemeinsam mit den Skeptikern Regeln erarbeiten, die dreiste Aktionen stoppen. Große Firmen fühlen sich heute mehr ihren Aktionären verpflichtet als den Bürgern ihres Herkunftslands. Sie werden nicht zögern, unverschämte Forderungen zu stellen.

Der Zeitgeist ist heute noch kritischer

Der Umgang mit den Konzernklagen ist nur einer, aber ein entscheidender Moment für das Handelsabkommen. Die Politiker haben schon mal erlebt, was passiert, wenn Technokraten die Welt ordnen wollen, ohne die Bürger zu fragen. 1999 wollten sie in Seattle die neue globale Handelsrunde starten. Demonstranten blockierten die Straßen und stoppten das Vorhaben. Es war die Geburt der Anti-Globalisierungsbewegung.

Heute ist der Zeitgeist eher noch kritischer. Die Menschen sind es leid, einen Blankoscheck für Liberalisierungen auszustellen, deren Nutzen und Kosten auseinanderfallen. Die Entfesselung der Finanzmärkte wurde ihnen auch als alternativlos verkauft. Heute freuen sich die Banker immer noch an den Boni-Millionen auf ihren Konten, während die Bürger weiter für den Fallout der Zockerei zahlen.

Deshalb gilt: Europas Politiker müssen ihren Bürgern ein Handelsabkommen präsentieren, das alle gut behandelt. Sonst werden sie damit durchfallen.

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