Süddeutsche Zeitung

Freihandel:Kanada ringt mit Trump

Der US-Präsident setzt das Nachbarland unter Druck, neuen Handelsregeln zuzustimmen. Persönliche Animositäten gefährden einen schnellen Kompromiss.

Von Matthias Kolb, Toronto

Geht es um perfekte Inszenierungen, dann ist Justin Trudeau kaum zu schlagen. Kanadas Premierminister weiß, wie wichtig Bilder und eine gute Story in der Politik sind. Schon deshalb konnte ihm der Auftritt von Donald Trump zu Wochenbeginn nicht gefallen. Stolz verkündete der US-Präsident, sich mit Mexiko auf neue Handelsregeln geeinigt zu haben und setzte Ottawa zugleich ein Ultimatum: Bis Freitag soll der Nachbar dem bilateralen Handelsdeal zustimmen, ansonsten drohen hohe Zölle.

Kanada schien ausgetrickst und übervorteilt worden zu sein. Eigentlich sollten die USA und Mexiko nur über die Autoindustrie verhandeln. Doch plötzlich präsentierten beide Länder einen umfassenden Deal. Und das, ohne Kanada mit einzubeziehen, das dritte Mitglied im bislang gültigen gemeinsamen Freihandelsabkommen Nafta. "They have thrown us under the bus", urteilten kanadische Kommentatoren. Kanada ist unter die Räder gekommen. Ähnlich sahen es die Karikaturisten. In der Zeitung Globe and Mail hing Kanadas Nationalsymbol, der Biber, frustriert am Telefon und hörte in der Nafta-Hotline nur den Anrufbeantworter. Im Toronto Star brausten Trump und Mexikos scheidender Präsident Enrique Peña Nieto im Auto davon und ließen einen mit Wasser bespritzten Trudeau zurück.

Kanadas staatlich geschützter Milchmarkt ist zum Symbol dieses Streits geworden

Es dauerte eine Weile, bis Kanada seine Rolle als gleichberechtigter Partner der nordamerikanischen Freihandelszone wiederfand. Seit Dienstag führt die für Handel zuständige Außenministerin Chrystia Freeland intensive Gespräche in Washington, und auch Premier Trudeau gibt sich selbstbewusst. Eine Einigung bis Freitag sei möglich, sagte der Sozialdemokrat nach einem Anruf bei Trump. Zugleich machte er klar, dass er sich nicht erpressen lassen wird: "Kein Nafta-Deal ist besser als ein schlechter Nafta-Deal."

Dabei zweifelt in der Hauptstadt Ottawa und im Finanzzentrum Toronto kaum jemand daran, dass seine Regierung eine Einigung will und daher auch zu Zugeständnissen bereit ist. Schließlich gehen drei Viertel der kanadischen Exporte in die USA. Vor allem in der Lebensmittel- und Autoindustrie sind die Produktionsketten eng verknüpft.

Zugeständnisse könnte Kanada nun in der Landwirtschaft machen. US-Hersteller sollen mehr Zugang zum staatlich geschützten Milchmarkt bekommen, berichtet die Globe and Mail. Kanada schützt seine Landwirte mit einem System, das der abgeschafften Milchquote der EU ähnelt; ausländische Konkurrenten sollen durch Importzölle von bis zu 270 Prozent abgeschreckt werden. Ähnliche Regelungen gibt es für Eier und Geflügel. Künftig sollen Amerikaner auch die für die Käseproduktion nötige "ultragefilterte Milch" exportieren dürfen, deren Handel im Nafta-Abkommen von 1994 nicht geregelt war.

Eine komplette Abschaffung des Systems kommt für Trudeau allerdings nicht in Frage. Unter den Bauern der größten Provinzen Ontario und Quebec würde dies zu Protesten führen und seine Wiederwahl im Herbst 2019 gefährden. Ein Kompromiss, der das Quotensystem abräumt, würde wegen der einflussreichen Farmerlobby wohl ohnehin im Parlament scheitern, sagt der Landwirtschaftsexperte Sylvain Charlebois von der Dalhousie University.

Im gemeinsamen Handel zwischen den USA und Kanada, der sich zuletzt auf 673 Milliarden Dollar pro Jahr belief, machen Milcherzeugnisse nur etwa 700 Millionen Dollar aus. Doch die Industrie ist zum Symbol dieser Auseinandersetzung geworden. Trump scheint geradezu besessen vom kanadischen Protektionismus. In den Tweets, die er aus dem Weißen Haus abfeuert, ist der kanadische Milchmarkt ein Dauerthema - und in Ottawa weiß man, dass Trump hier einen symbolischen Erfolg braucht. Er möchte den Farmern im wichtigen "Swing State" Wisconsin beweisen, dass er sein Versprechen einlöst und das für die USA angeblich so desaströse Abkommen zu reformieren.

Der Fall zeigt auch, wie viel Raum persönliche Rivalitäten in den Nafta-Gesprächen einnehmen. Spätestens seit dem G7-Gipfel im kanadischen La Malbaie, den Trump via Tweet zum Scheitern brachte und nach dem er Gastgeber Trudeau als "unehrlich" und "schwach" bezeichnete, ist das Verhältnis stark belastet. Der 46 Jahre alte Premierminister Trudeau muss den Fortbestand eines für die Wirtschaft seines Landes zentralen Abkommens sichern, ohne als unterwürfig wahrgenommen zu werden und sich von dem in Kanada sehr unpopulären US-Präsidenten vorführen zu lassen.

Und auch zwischen anderen Akteuren ist das Verhältnis eher unharmonisch. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer kann die kanadische Außenministerin Freeland, die für Globalisierung und internationale Zusammenarbeit wirbt, nicht leiden. Ihren Wunsch, an den Gesprächen der USA mit Mexiko teilzunehmen, hat er mehrfach abgelehnt. Partner gehen für gewöhnlich anders miteinander um.

Für Freelands Delegation geht es nun darum, jene Punkte durchzusetzen, die im bilateralen Paket bisher fehlen. Neben dem Schutz der kanadischen Kultur- und Fernsehindustrie besteht Ottawa auf die in Kapitel 19 des Nafta-Vertrags enthaltenen Regeln zu Schiedsgerichten, will strengere Auflagen für Patente im Arzneimittelbereich verhindern und zudem eine möglichst lange "sunset clause" festlegen, damit der neue Vertrag nicht allzu schnell einseitig gekündigt werden kann.

Analysten halten einen Kompromiss vor Ablauf der Deadline für möglich, was auch am Drängen der Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten der Grenze liegt. Die US-Handelskammer wirbt dafür, auf Kanada zuzugehen. Einflussreiche Senatoren wie John Cornyn aus Texas warnen vor Alleingängen. Republikaner und Demokraten argumentieren unisono, dass Trump nur das Mandat erhalten habe, das bestehende Nafta-Abkommen zu reformieren - und nicht dafür, einen bilateralen Deal mit Mexiko auszuhandeln. Für einen solchen Vertrag dürfte im Kongress ohnehin die Mehrheit fehlen, erst recht, wenn die Demokraten die anstehende Kongresswahl gewinnen sollten.

Auf parlamentarischer Ebene scheint sich die beharrliche Diplomatie, die Kanada seit Trumps Wahlsieg verfolgt, auszuzahlen. Während Justin Trudeau den Präsidenten zunächst umwarb und ihm etwa ein Foto aus den Achtzigern schenkte, das Trump mit Vater Pierre während dessen Amtszeit als Premierminister zeigte, sprachen seine Diplomaten ständig mit Abgeordneten, Gouverneuren und Bürgermeistern und betonten die Bedeutung offener Grenzen für beide Staaten.

Und die US-Wirtschaft dürfte ohnehin kein Interesse daran haben, Kanada zu vergrätzen. Im Vorjahr haben US-Konzerne Waren im Wert von 282 Milliarden Dollar ins Nachbarland verkauft, mehr als nach Mexiko. Allein im Bundesstaat Ohio, der 2016 für Trump votierte, hängen nach Angaben der kanadischen Botschaft mehr als 300 000 Arbeitsplätze vom Handel mit Kanada beziehungsweise von kanadischen Investitionen ab; in den gesamten USA sind es knapp neun Millionen Jobs. Nun wird sich herausstellen, ob solche Abhängigkeiten ihre Wirkung zeigen, oder ob persönliche Animositäten einen Kompromiss verhindern.

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SZ vom 31.08.2018
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