Freihandel:Göttliche Geschenke

Japan öffnet seine Grenzen für Reis. Ein bisschen wenigstens. Es ist ein kleines Zugeständnis im Feilschen um das transpazifische Freihandelsabkommen mit den USA.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Japan wird künftig jährlich 50 000 Tonnen Reis aus den USA und 6000 Tonnen aus Australien zollfrei einführen. Diese Konzession hat Tokio im Feilschen um die Transpazifische Partnerschaft (TPP) gemacht. Das Freihandelsabkommen um den Pazifik, auf das sich zwölf Staaten am Montag in Atlanta geeinigt haben, bedeutet freilich nicht, dass Tokio seine Grenzen für Reis öffnet. Der Zoll auf zusätzliche Importe bleibt 778 Prozent. In den Einzelhandel dürfte der Import-Reis nur ausnahmsweise kommen.

Reis ist im Japanischen ein Synonym für Mahlzeit, wie in Europa das "tägliche Brot". Reis ist "göttlich", die alten Rituale des Kaiserhauses drehen sich um Reis, dieses Symbol für Fruchtbarkeit. Reis gilt auch als "Seele des alten Japan", oder wie die Ethnologin Emiko Ohnuki-Tierney schrieb: "Reis ist das japanische Selbst". Ein importiertes Selbst? Das will keine Regierung den Japanern zumuten. Die Leute würden ausländischen Reis gar nicht kaufen. Reis ist das einzige Lebensmittel, von dem Japan genügend produziert, um sich selbst zu versorgen. Sogar zu viel, weil der Verbrauch sinkt. Damit die Preise nicht zu sehr einbrechen, lassen die Bauern etwa ein Drittel ihrer Felder brach liegen.

A rice mill worker holds up rice fallen onto the ground in Udon Thani

Die eigentlich unwirtschaftliche Kleinteiligkeit des Reisanbaus in Japan hat auch Vorteile: Reis schmeckt in Japan von Produzent zu Produzent anders.

(Foto: Jorge Silva/Reuters)

Das Land sitzt auf Vorräten von 3,3 Millionen Tonnen Reis, gut 40 Prozent des Verbrauchs

Dennoch importiert Japan schon heute 770 000 Tonnen Reis jährlich, 40 Prozent davon aus den USA. Es muss. Die Welthandelsorganisation (WTO) hat Tokio als Bedingung für seinen Beitritt 1995 dazu gezwungen. Doch dieser Import-Reis gelangt nicht in die privaten Haushalte. Er wird verarbeitet, zum Beispiel zu Crackern, als Nahrungsmittelhilfe wieder exportiert, an Vieh verfüttert oder einfach gelagert. Die wenigen Restaurants, die ausländischen Reis verkochen, müssen die Gäste ausdrücklich darauf hinweisen. Dem Buchstaben nach erfüllt Japan damit die Forderungen der WTO, ohne seine Schranken zu öffnen. So ähnlich dürfte das Land mit den neuen Reis-Quoten verfahren, die es mit der TPP vereinbart hat.

Japan sitzt derzeit auf Reisvorräten von 3,3 Millionen Tonnen, 43 Prozent seines Jahresverbrauchs. Allein die Lagerung kostet jährlich mehr als 100 Millionen Euro. Da der Appetit der Japaner nachlässt, werden die Speicher immer voller. Im Schnitt isst ein Japaner 56 Kilo Reis pro Jahr, halb so viel wie vor fünfzig Jahren. Und er trinkt ein Drittel weniger Sake, der aus Reis gebraut wird.

Japan altert rasch, alte Leute essen weniger. Auch der Fischverbrauch geht zurück, um ein Drittel in den vergangenen 20 Jahren. Außerdem schrumpft Japan um 250 000 Einwohner jährlich. Vor allem aber verändern sich die Lebensgewohnheiten. Für traditionellere Japaner ist ein Essen ohne Reis keine Mahlzeit, sondern nur ein Imbiss. Ihr Reiskocher blubbert dreimal täglich, morgens, mittags und abends. Jüngere dagegen kochen oft gar nicht mehr, Alleinlebende ohnehin nicht, aber auch viele Familien immer weniger. Sie wärmen Halbfertiggerichte aus dem Supermarkt in die Mikrowelle auf.

Überall in Ostasien wird der Reis auf Banketten nach vielen Gängen als letztes Gericht serviert, danach gibt es höchstens noch eine Nachspeise und Tee. Doch immer mehr Leute überspringen den Reis. Diese Tendenz ist in China sogar ausgeprägter als in Japan. Dort ist es noch ein Zeichen des Wohlstands, hier schon Gewohnheit. Nippons einziger Reisimporteur ist das Landwirtschaftsministerium, das die Bauern gegen die Weltwirtschaft abschirmt, obwohl ihre wirtschaftliche Bedeutung abnimmt. Reis macht nur ein Fünftel des ohnehin marginalen Agrarsektors aus. Zudem sind viele von ihnen Teilzeitbauern und im Schnitt fast 70 Jahre alt.

Politisch jedoch haben sie großen Einfluss, insbesondere auf die Liberaldemokratische Partei von Premier Shinzo Abe, die in der Provinz oft die einzige Partei ist.

Trotz ihrer hohen Preise genießen die Reisbauern auch in den Städten Rückhalt - als Hüter einer schwindenden Idylle, die es so nie gegeben hat. Premier Shinzo Abe selber schwärmt in seinem Buch "Schönes Land" von einem fiktiven Vorkriegs-Japan der Reisbauern, die sich bei der Feldarbeit gegenseitig helfen.

Die eigentlich unwirtschaftliche Kleinteiligkeit des Reisanbaus in Japan hat auch Vorteile: Reis schmeckt in Japan von Produzent zu Produzent anders, es gibt Tausende Variationen des kurzkörnigen, leicht klebrigen Oryza sativa japonica. Das schätzen die Japaner, und viele sind bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen. Nur werden es immer weniger. Als die Supermarkt-Kette Seiyu vor drei Jahr versuchsweise Reis aus China ins Angebot nahm, der trotz der exorbitanten Zölle noch billiger war als der japanische, musste sie erstaunt feststellen, dass die Japaner durchaus ausländischen Reis kaufen.

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