Abraham Kampelege betreibt ein lohnendes Geschäft am Abeka-Markt in Ghanas Hauptstadt Accra: Er handelt mit tiefgefrorenem Hähnchenfleisch. Der Name seines Ladens ist Programm: "Cheaper Land Coldstore". Sein Verkaufsschlager sind Hähnchenschenkel aus Holland, die Zehn-Kilo-Box für 85 ghanaische Cedi, etwa 19 Euro. "Die Leute schätzen unsere Qualität", sagt der Händler im weißen Kittel, "und es ist praktisch für die Leute, einzelne Schenkel zu bekommen. So können sie genau so viel einkaufen, wie sie brauchen".
Gut zwanzig Meter weiter sitzt George Aguzia vor einem vergitterten Holzverschlag, in dem lebende Hühner vor sich hin scharren. Ein Fünf-Kilo-Exemplar kostet bei ihm 50 Cedi, etwa elf Euro. Für einen kleinen Aufpreis bekommt der Kunde das Tier gleich geschlachtet und gerupft. "Frischer geht es doch nicht", sagt er, "und bei uns wissen die Leute wenigstens, woher die Hühner kommen." Die Tiefkühlware aus dem Ausland dagegen, da wisse man nicht, wie oft sie schon angetaut sei, schließlich hat Ghana immer wieder mit Stromausfällen zu kämpfen. "Und wer weiß, womit die Tiere vorher gefüttert wurden?"
Argumente, die nicht von der Hand zu weisen sind. Nur: Die tiefgefrorenen Hähnchenteile aus dem Ausland sind billiger als die frischen aus heimischer Züchtung. George Aguzia sagt, er habe seit drei Tagen kein einziges Tier verkauft.
Ernährung:Schluss mit den Esel-Exporten
Esel gelten in China als das ultimative Superfood. In einigen afrikanischen Ländern werden die Lasttiere deswegen bereits knapp, ganze Existenzen sind bedroht. Nun gibt es erste Exportverbote.
Künstlich verbilligte EU-Produkte drücken in Afrika die Preise
Geflügelanbieter in Westafrika leiden schon seit Jahren unter billigen europäischen Importen. Ähnlich ergeht es der afrikanischen Milchwirtschaft, die mit Milchpulver von Nestlé konkurrieren muss, oder den Tomatenanbauern, die im Wettbewerb mit Tomatenmark aus Italien stehen. Das Paradoxe: In fast allen Ländern Afrikas leben die Menschen mehrheitlich von der Landwirtschaft. Trotzdem exportieren sie relativ wenige Agrarprodukte, im Gegenteil: Sie importieren sogar Lebensmittel, selbst aus Europas Industrienationen.
Ein Grund für diese erstaunliche Handelsstruktur: Die EU unterstützt ihre Bauern mit Subventionen, diese können ihre Produkte dann sowohl in Europa als auch außerhalb zu sehr niedrigen Preisen anbieten. Afrikas Landwirten bereitet diese Politik Probleme. Die künstlich verbilligten Produkte aus Europa drücken nicht nur die Preise, sie erschweren auch die Entwicklung einer Agrarindustrie, die mehr Arbeitsplätze schaffen könnte als die reine Landwirtschaft. Ein absurd erscheinendes Beispiel: Der Ananas-Saft in einem der großen Supermärkte von Accra stammt nicht etwa aus Ghana selbst, das zu Afrikas wichtigsten Ananas-Anbaugebieten zählt, sondern von der österreichischen Marke Rauch, abgefüllt in Ungarn.
Geht es nach der EU, soll künftig noch mehr exportiert werden
Afrikas schwache Volkswirtschaften haben viel mit den steigenden Flüchtlingszahlen auf dem Mittelmeer zu tun. Ein großer Teil der Menschen, die die gefährliche Überfahrt antreten, flieht nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern vor ökonomischer Aussichtslosigkeit. Und obwohl Europas Politiker, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, gelobt haben, nicht die Flüchtlinge, sondern die Fluchtursachen zu bekämpfen, verfolgt die EU eine Handelspolitik, die viele Beobachter für falsch halten, gerade im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensbedingungen in Afrika.
Denn geht es nach dem Willen der EU, sollen künftig noch mehr europäische Waren auf afrikanischen Märkten zu finden sein. Seit 2003 verhandelt Brüssel mit Ländern südlich der Sahara - aufgeteilt in fünf Ländergruppen - über neue Handelsabkommen, genannt Economic Partnership Agreements (EPAs). Sie sehen eine fast vollständige gegenseitige Marktöffnung vor. Neue Absatzmärkte für beide Seiten, Effizienzsteigerung durch Wettbewerb, niedrige Preise für die Konsumenten, so beschreiben die Befürworter die Vorteile der Freihandelsverträge.
Doch die Gespräche gestalten sich schwierig. Nach fast 14 Jahren ist nur eines der fünf geplanten Abkommen in Kraft getreten. Viele afrikanische Regierungen befürchten, dass der unbeschränkte Handel mit Europa ihre Wirtschaft noch mehr schwächt. Ihre Angst: Die meist überlegenen europäischen Produkte werden afrikanische Güter in der Heimat verdrängen und einen Erfolg auf den europäischen Märkten verhindern; gleichzeitig können sich die kleinen Industrien des Kontinents ohne den Schutz durch Zölle nicht halten.
Dass die EPAs Risiken für die verletzlichen Ökonomien Afrikas mit sich bringen, bestätigen auch Experten. "Durch die Öffnung für europäische Importe wird der Druck auf die Landwirtschaft und die wenig entwickelte verarbeitende Industrie in Afrika deutlich steigen", schreibt eine Gruppe von Afrika-Ökonominnen des Hamburger Giga-Instituts in einer kürzlich veröffentlichten Analyse.
Die Handelsbeziehungen zu reformieren, so die Forscherinnen, erscheine aber trotzdem geboten: Schon seit Jahrzehnten nämlich gewährt die EU den Ländern des Kontinents einseitig Handelserleichterungen - ohne dass sich an den Grundproblemen afrikanischer Volkswirtschaften groß etwas geändert hätte. Die Ökonominnen sehen in den EPAs deshalb auch eine Chance: Wenn die EU die afrikanischen Partner bei wirtschaftlichen Reformen unterstütze und ihnen dabei helfe, die negativen Effekte abzufedern, würden beide Seiten vom Freihandel profitieren.
Für George Aguzia, den ghanaischen Geflügelhändler, könnte das bedeuten, dass er künftig vielleicht keine Hühner mehr auf dem Markt verkauft. Sondern auf einer großen Geflügelfarm mitarbeitet, die mit Hilfe von europäischem Startkapital aufgebaut wurde und auch für den Export produziert - durchaus ein Grund, sich gegen die Flucht übers Mittelmeer zu entscheiden.