Freies Netz:Rettet das freie Internet!
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Sonst entmündigten Unternehmen die Nutzer, sagt Autor Konrad Lischka. Er wünscht sich eine Art Bio-Bewegung für das Netz.
Interview von Dirk von Gehlen
"Das Netz verschwindet" heißt das kleine Buch, das der Autor Konrad Lischka geschrieben hat. In 13 Thesen beschreibt er, wie das Netz immer zentralisierter wird und den Freiheitsgedanken einbüßt, der ihm mal zugrunde lag. Als Gegenentwurf schlägt er ein freies Netz vor, an dem aktive Nutzer selbst mitarbeiten. So wie sein eigener Vater, der in einer Episode des Buches auftaucht. Als Konrad Lischka den Wikipedia-Artikel über seinen Lieblingspark editierte, stellte er fest, dass dort Fotos unter seinem Nachnamen gespeichert sind. Sie stammen von seinem Vater, der vor Jahren Kunstwerke in dem Park fotografiert und die Bilder unter freier Lizenz veröffentlicht hatte. "So entdeckte ich neun Jahre später in der Wikipedia, wie mein Vater das Netz bereichert", schreibt Lischka, und folgert: "Jetzt sind Sie dran."
Sie wussten, dass Ihr Vater aktiv auf Wikipedia ist?
Das war Zufall. Ich weiß, dass er viel fotografiert, aber von diesen Bildern wusste ich nicht. Die tauchten in Wikipedia auf, weil er sie unter einer CC-Lizenz online gestellt hat und dann wiederum andere Leute, die Wikipedia pflegen, darauf zugegriffen haben. Und ich habe sie entdeckt, weil ich den Park eben auch sehr mag und eine Karte gemacht habe mit den schönen Skulpturen, die es dort gibt.
Woher kennt Ihr Vater freie Lizenzen?
Wahrscheinlich vom Fotodienst Flickr. Ich habe es ihm nicht konkret geraten, obwohl ich freie Lizenz sehr gut finde. Es ist der einfachste Weg, seine eigenen Werke weiterleben zu lassen. Durch solche Lizenzen entsteht eben so etwas wie die Skulpturenkarten - mit Fotos, die fast zehn Jahre alt sind. So kann man sehr leicht etwas fürs und im freien Netz tun.
Was ist denn das freie Netz - im Gegensatz zum unfreien Netz?
Eine klare Definition ist schwierig, es geht um Tendenzen. Ich meine: alles, was vielfältig ist, dezentral funktioniert und auf vielen Plattformen von den Nutzern bestimmt werden kann. Das steht im Gegensatz zu den Angeboten, die auf zentrale Strukturen setzen, die von einem kommerziellen Unternehmen vorgegeben werden.
Können Sie das an einem Beispiel deutlich machen?
Früher kriegte man Querverweise aus Blogs und fand dort neue, interessante Dinge. Heute finden viele Menschen ihre Nachrichten über Facebook, da gibt es kaum Querverweise und geht alles auf ein Unternehmen zurück. Das war früher in der guten alten Zeit anders.
An die kann ich mich auch erinnern. Kann es sein, dass Sie einen kleinen Kulturpessimismus der ersten Internet-Generation geschrieben haben? Eine leise Klage, dass es nicht mehr so ist wie früher ...
Ich will nicht, dass es so ist wie vor zehn Jahren. Ich will mich auf das konzentrieren, was gut war damals, was wir nicht verlieren sollten. Dezentralität gehört definitiv dazu. Sonst hätten wir heute nicht die Vielfalt, an der wir uns erfreuen. Was die Leute heute toll finden am Netz, ist ja eine Folge dieser Infrastruktur.
Wer sind die Gegner des freien Netzes?
Jeder, der sich angesprochen fühlt. Je nachdem, wie wir es nutzen. Man sieht immer mehr Unternehmen, die sich verschließen und wie Facebook auf offene Protokolle verzichten. Es gibt die Entwicklung, dass Anbieter Inhalte auf ihre Plattform holen und die Plattform-Nutzer nicht mehr auf die ursprünglichen Quellen verlinken.
Das mit dem Verlinken ist eine spannende kulturelle Veränderung. Anfang der 1990er Jahre gab es die Befürchtung, Verlinken sei so etwas wie ein Diebstahl an dem, auf den man linkt. Heute dreht sich die Diskussion: Youtuber beschweren sich, weil ihre Clips ohne Quellenangabe in Facebook genutzt werden.
Verlinken ist eine Möglichkeit, gegen die Zentralisierung anzugehen. Das ist etwas, was jeder tun kann.
Das ist sicher wichtig, aber sind die Gegner des freien Netzes nicht auch die Geheimdienste. In Ihrem Buch steht kein Wort über Überwachung und NSA.
Das sind wichtige Debatten, klar. Ich habe dabei aber immer das Gefühl, dass man sich danach so ohnmächtig fühlt und gar nicht weiß, was man jetzt tun kann. Ich wollte dagegen was aufschreiben, was jeder ganz einfach tun kann. Es gibt so viele tolle Dinge, die man nutzen kann und das Netz auch dadurch besser machen kann. Das ist ein wenig wie beim Einkaufen: Da sind viele recht reflektiert in ihrem Konsum. Das würde ich mir auch für den Umgang mit dem Netz wünschen.
Brauchen wir also einen bewussteren Umgang mit dem Internet, eine Art digitale Bio-Bewegung?
Es gibt doch recht viele Leute, die beim Einkaufen sehr darauf achten, wo ihr Essen herkommt, welche Transportketten zum Beispiel Obst nimmt und so weiter. Aber dieselben Menschen sind in Fragen ihrer Mediennutzung weit weniger reflektiert. Sie wissen zum Beispiel oft gar nicht, dass sie selber aktiv werden können und sich an Wikipedia beteiligen können.
Sind Sie optimistisch, dass eine solche Entwicklung tatsächlich entsteht?
Es sind viele kleine Anbieter, die mir da einfallen. So etwas wie mailbox.org, wo man eine sichere Mail nutzen kann - statt auf das größte, günstigste Angebote zurückzugreifen. Aber ein Label wie "Bio" ist schon recht groß, das sehe ich noch nicht. Da müsste man sich vermutlich erst einmal einen klugen Claim ausdenken, unter dem man Dinge zusammenfasst, wie Wikipedia editieren, lokale Unternehmen unterstützen, aktiv werden und so weiter.
Das ist alles richtig und auch sympathisch. Vor dem Hintergrund der Debatte um Netzneutralität oder Snowden wirkt es aber schon etwas verengt.
Im Buch ist schon der Aspekt enthalten, dass man das Netz als gesellschaftliches Projekt denken soll. Dass man sich über NGOs informiert, die hier aktiv sind, dass man auf Konferenzen gehen kann oder die Streams vom CCC angucken kann. Das wäre in der Bio-Bewegung so was wie Greenpeace. Aber mir ging es vor allem um etwas sehr Einfaches: Sich selber einzubringen, was spenden oder zum lokalen Geschichtsverein gehen und denen helfen, dass sie was einstellen und Wikipedia besser verstehen.
Ist das Ihre Lösung: Sich gar nicht mit der Größe der Aufgabe befassen, sondern die kleinen Dinge tun, die man tun kann?
Das ist jetzt vielleicht etwas überinterpretiert. Aber warum haben wir keine Massendemonstrationen gegen Überwachung? Ich glaube, weil man den digitalen Raum nicht so wahrnimmt wie einen Wald, der bedroht ist. Deshalb finde ich es wichtig, dass man erst einmal ein Bewusstsein dafür schafft, dass wir bestimmte Räume im Netz erhalten müssen - weil sie dezentral, selbstverwaltet und nicht-kommerziell sind.
"Das Netz verschwindet" ist ein langes Essay, veröffentlicht in der Hanser-Box genannten ebook-Reihe des Hanser-Verlags.