Frauenquote in der EU:Von der Leyen will Unternehmen zu mehr Aufsichtsrätinnen zwingen

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Mehr Frauen nach ganz oben: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2019 im Schloss Bellevue neben ihrer Nachfolgerin als Verteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer (l), und der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). (Foto: Michael Kappeler/picture alliance/dpa)

Die EU-Kommissionspräsidentin übt Druck auf die neue Bundesregierung aus. Deutschland soll endlich aufhören, eine gesetzliche Frauenquote in der EU zu blockieren.

Von Kathrin Werner

Wenn man eines über die gesetzliche Frauenquote sagen kann, dann das: Sie hat die deutsche Wirtschaft nicht zum Zusammenbruch gebracht. All die Quoten-Gegner hatten gewettert und gewarnt: Es gebe da draußen einfach nicht genug qualifizierte Frauen für Deutschlands Aufsichtsräte. Dann kam die Quote, die Unternehmen beriefen eine Frau nach der anderen in ihre Kontrollgremien. Und der Qualität ihrer Arbeit hat das keinen Abbruch getan.

Wenn man noch etwas über die gesetzliche Frauenquote sagen kann, dann aber auch das: Sie hat nicht zu einem grundlegenden Umdenken geführt. Obwohl sich zeigte, dass die Kontrolleurinnen gute Arbeit leisteten, holten die wenigsten Unternehmen mehr Frauen, als sie per Gesetz mussten. Auch in den Vorständen stieg die Zahl der Managerinnen nur sehr langsam.

Ursula von der Leyen hat aus Deutschland gelernt und will nun Ähnliches für die ganze EU durchsetzen - und sogar noch mehr, was wiederum Konsequenzen für deutsche Unternehmen hätte. 40 Prozent Frauen will die EU-Kommissionspräsidentin in europäischen Aufsichtsräte sehen. "Es ist an der Zeit, dieses Dossier voranzubringen", sagte sie. Hintergrund ist ein Entwurf für eine EU-Richtlinie, der schon vor zehn Jahren diskutiert wurde, sagte sie und übte auch gleich politischen Druck auf die neue deutsche Regierung aus. Deutschland hatte den alten Vorstoß bislang immer blockiert. Von der Leyen hofft nun, dass die neue Ampel-Regierung den bisherigen Widerstand aufgeben werde. Deutschland müsse aufholen.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) begrüßte den Vorstoß. Die vorgeschlagene Führungspositionen-Richtlinie könne der Gleichstellung von Männern und Frauen europaweit einen Schub geben, sagte Spiegel am Donnerstag. "Als Bundesfrauenministerin werde ich mich dafür einsetzen, dass Deutschland zusammen mit anderen Mitgliedstaaten die Gleichstellung in Europa vorantreibt."

Frankreich ist der Spitzenreiter in der EU mit dem höchsten Anteil von Frauen in Aufsichtsräten, 45 Prozent

Laut der auf Frauen in der Wirtschaft spezialisierten Allbright Stiftung waren Anfang September 32,9 Prozent aller Aufsichtsräte der 160 untersuchten deutschen Börsenunternehmen Frauen. Seit 2015 ist eine Quote von 30 Prozent für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen vorgeschrieben. Seit aber diese 30 Prozent erreicht sind, stagniert der Frauenanteil knapp oberhalb des Wertes, in den zwölf Monaten vor der September-Zählung ist er um gerade einmal 0,8 Prozent gestiegen. Von der Leyen ist bereit, mit Frankreich zusammenzuarbeiten, um die Richtlinie während der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft der Regierung in Paris voranzutreiben, sagte sie. Es soll jetzt schnell gehen, man könne sich "definitiv" 2022 einigen. Frankreich ist der Spitzenreiter in der EU mit dem höchsten Anteil von Frauen in Aufsichtsräten: 45 Prozent.

Die EU hat ermittelt, dass Frauenquoten wirken - und zwar enorm. Ausgehend von einem ähnlichen Niveau im Oktober 2011, alle lagen damals bei um die 13 Prozent, ist der Anteil der Frauen in den Ländern, die gesetzliche Maßnahmen ergriffen haben, deutlich schneller gestiegen als in den Ländern, die nichts gesetzlich vorgeschrieben haben und stattdessen auf Einsicht der Unternehmen hofften. Bei 36,4 Prozent liegt der Frauenanteil in den Ländern mit gesetzlichen Quoten für Aufsichtsräte, das ist ein Plus um 23 Prozentpunkte. In den Ländern, die bisher nichts unternommen haben, ist er nur um 2,8 Prozentpunkte auf 16,6 Prozent gestiegen, wie aus einer bisher unveröffentlichten Erhebung des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Unter der damaligen EU-Justizkommissarin Viviane Reding gab es 2012 einen entsprechenden Vorstoß für eine Quote von 40 Prozent für große Unternehmen, der jedoch von der Bundesregierung unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel abgelehnt wurde. Von der Leyen war damals Arbeits- und Sozialministerin. Auch Länder wie Dänemark, Niederlande, Polen und Schweden waren gegen Redings Initiative. "Ich habe gelernt, dass man einen gesetzlichen Rahmen braucht, der die Unternehmen in die richtige Richtung schubst, um eine kritische Schwelle von Frauen in den Aufsichtsräten zu erreichen", sagt von der Leyen heute.

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP enthält keine Festlegungen zur EU-Frauenquote. Deutschland hat neben der Quote für Aufsichtsräte seit vergangenem Sommer auch eine Regel für Unternehmensvorstände: Bei großen Unternehmen, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, soll ab vier Vorstandsmitgliedern künftig mindestens eine Frau im Vorstand sein. Das neue Gesetz betrifft allerdings nur sehr wenige deutsche Unternehmen, die es außerdem umgehen können, indem sie die Rechtsform einer SE wählen, der europäischen Aktiengesellschaft.

Auch von dem nun erneut diskutierten Vorschlag der EU-Kommission sind kleinere und mittlere Unternehmen ausgenommen. Es soll außerdem die Möglichkeit für die Mitgliedsländer bestehen, ein niedrigeres Ziel von 33 Prozent Kontrolleurinnen festzulegen, das für Unternehmen gilt, die nur ein Führungsgremium haben statt der üblichen getrennten Vorstände und Aufsichtsräte, heißt es in EU-Kreisen. Gleiches soll möglich sein, wenn die Unternehmen weniger als zehn Prozent Frauen in der Belegschaft haben. Die Zielvorgaben sollen durch transparente Auswahlverfahren erreicht werden. Wenn es gleich qualifizierte Bewerber beider Geschlechter gibt, wäre immer der Bewerberin Vorzug zu geben. Wenn es in Belegschaft und Führungsteam einen Frauenüberschuss gibt, würden die Regeln übrigens auch für die Beteiligung von Männern gelten. Sanktionen für Unternehmen, die die Quote nicht einhalten, sind nicht vorgesehen. Sie müssten aber erklären, warum es ihnen nicht gelingt, sie zu erfüllen. Zudem könnten EU-Länder Strafen auf nationaler Ebene beschließen. Sollte sich nun eine Mehrheit unter den EU-Ländern finden, muss noch das Europaparlament zustimmen.

Ein Thema, das in den Debatten oft vergessen wird, ist die Bezahlung der Kontrolleure und ihre jeweilige Machtposition innerhalb der Gremien. Aufsichtsrätinnen in Deutschland erhalten im Schnitt eine geringere Vergütung als Aufsichtsräte, weil sie seltener dem Gremium vorsitzen und seltener in wichtigen Ausschüssen wie dem Präsidialausschuss vertreten sind. Ende September waren zehn von 160 deutschen Aufsichtsratsvorsitzenden weiblich - so viele wie nie zuvor, und trotzdem weiterhin sehr wenige.

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