Frauenförderung:Logo auf Plakat? Reicht nicht

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Über Diversität, Vielfalt, wird in der Arbeitswelt immer öfter geredet. Leider bleibt es oft beim Reden. Lea Vajnorsky von der Firma Henkel zeigt, dass es auch anders geht.

Von Theresa Parstorfer, München

Manchmal macht es Lea Vajnorsky traurig, dass sie immer noch über "Diversity" reden muss. Vajnorsky ist eine Frau mit dunklen Haaren, strahlenden Augen und einem rasanten Sprechtempo. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet bei Henkel, der Firma, die in Deutschland vor allem für Waschmittel bekannt ist, und als eines der wenigen Dax-Unternehmen seit Jahren eine Frau im Vorstand hat. Außerdem hat Vajnorsky Anfang 2018 mit Wo/men Inc. eine Networking-Plattform gegründet, deren Fokus zwar auf Frauenförderung liegt, die aber nicht exklusiv sein will - Männer dürfen auch teilnehmen, denn wahre Vielfalt schließt niemanden aus.

Der Ruf nach mehr "Diversity", "Diversität" oder einfach nur "Vielfalt" ertönt seit einigen Jahren immer öfter. 2016 ergab eine Unternehmensbefragung von EY (Ernst &Young), dass weit mehr als die Hälfte deutscher Unternehmer die Meinung vertreten, die Einbindung unterschiedlicher Lebensmodelle, kultureller Perspektiven und Erfahrungen würde dem eigenen Betrieb Vorteile bringen. Damit liegen sie nicht falsch: Einer von McKinsey durchgeführten Studie zufolge steigt mit zunehmender Diversität in den Reihen der Mitarbeiter auch die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden zufriedener sind. Für Deutschland stellte McKinsey fest, dass bei einem hohen Anteil weiblicher Führungskräfte im Topmanagement die Chancen auf einen überdurchschnittlichen Geschäftserfolg doppelt so groß sind wie ohne Frauen in Chefposten.

Bunt wie auf der London Pride, einer jährlich stattfindenden Parade für Diversität und Gleichberechtigung, wünschen sich viele die Arbeitswelt. (Foto: John Stillwell/dpa)

Für Vajnorsky fing alles damit an, dass ihr ehemaliger Vorgesetzter zu ihr sagte: "Lea, kümmere dich doch mal um das mit den Frauen." An Selbstbewusstsein hat es Vajnorsky nie gefehlt. Mittlerweile weiß sie aber, dass es bei anderen nicht so ist, dass strukturelle Benachteiligung bereits im Bildungssystem beginnt und dass oft der den Chefposten bekommt, der sich am besten verkaufen kann, und nicht unbedingt, wer am besten geeignet ist - und dass das eben oft ein Mann ist. Im Nachhinein zeigt ihr das Erlebnis mit ihrem Chef überdies, dass Vorgesetzte überall vor dem Schlagwort "Diversity" stehen und merken, dass sich dahinter eine große Aufgabe verbirgt, bisweilen jedoch nicht so recht wissen, worin genau diese Aufgabe eigentlich besteht.

Nicht alle Unterschiede sind gleich relevant

Andrea Bührmann ist Professorin für die Soziologie der Diversität und leitet das 2013 an der Universität Göttingen gegründete Institut für Diversitätsforschung. Sie bestätigt aus akademischer Sicht, was Vajnorsky und vermutlich viele "Corporates" in der freien Wirtschaft erfahren: "Begriffe wie Diversity zeichnet oft eine gewisse Diffusität aus", sagt Bührmann. Darunter gefasste Phänomene und Erfahrungen seien mitunter so unterschiedlich, dass in einem Gespräch über Diversität jeder eine etwas andere Vorstellung und Definition des Begriffs vor Augen haben kann.

Nichtsdestoweniger, so Bührmann, seien derartige Begriffe gerade deshalb auch wertvoll: Weil sie einen Austausch über Themen ermöglichen, die schwer greifbar, aber so relevant wie kompliziert sind. Früher habe man beispielsweise von sozialen Unterschieden gesprochen, dabei jedoch auch einiges an Nuancen übersehen. "In den Siebzigerjahren kämpften Frauen für Gleichberechtigung. Aber eben vielfach vor allem für die Rechte von Frauen ohne Migrationshintergrund mit bürgerlicher Herkunft", erläutert Bührmann. Mit einer intersektionalen Brille, die nicht nur ein Merkmal in den Blick nimmt, sondern die Verschränkungen mehrerer Merkmale, werden dagegen in der jetzigen Debatte Nuancen deutlich, die in Deutschland vor 50 Jahren noch eher unbeachtet blieben. "Dass es eine weiße Frau womöglich doch noch leichter hat als eine Frau mit Migrationshintergrund, die dazu vielleicht Muslima ist und Kopftuch trägt ", so Bührmann. Hier sei Diversity ein guter Wegweiser, um ein Unternehmen wirklich inklusiv zu gestalten.

Lea Vajnorsky, 29, hat die Networking-Plattform Wo/men Inc. gegründet. (Foto: oh)

Auf der anderen Seite "sind eben nicht alle Unterschiede gleich relevant", sagt Bührmann. "Vermutlich spielt beim Einstellungsverfahren meine Hautfarbe und mein Geschlecht eine wichtigere Rolle für den Personaler als meine Religionszugehörigkeit", sagt Bührmann, der persönliche Glaube sei schließlich meistens nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Es bestehe die Gefahr, "dass Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören, in einen Topf geworfen werden". Dabei könne auch eine Art der Diffusität entstehen, die problematisch werden kann. "Weil man sich auf Dinge konzentriert, die nachrangig sind", sagt Bührmann.

Dennoch: die Diskussion ist da. Und die ist gut, findet Bührmann. Gut sei auch, dass Unternehmen aktives Diversitätsmanagement betrieben. Dass es also Menschen wie Vajnorsky gibt.

Vajnorsky selbst ist zwar keine offizielle Diversitätsbeauftragte bei Henkel, arbeitet aber oft mit den dort Verantwortlichen zusammen. Auf Initiativen wie "AccelerateHer" ist sie besonders stolz. "Da werden strukturiert Maßnahmen gegen die Unterrepräsentation von Frauen im Technologieumfeld eingeleitet", sagt Vajnorsky. Ihr Anliegen ist explizit: "Ich spreche nicht unbedingt viel über Diversity, sondern tue etwas." Denn traurig und frustriert stimmt es sie, auf Veranstaltungen eingeladen zu werden, "wo groß Diversity vermarktet wird, ich aber einfach weiß, dass sich da nicht viel an den Strukturen ändern wird", sagt Vajnorsky. Wie oft das passiert? "Leider viel zu oft", sagt sie. Ein Logo auf einem Plakat - das reiche nicht. Sie möchte hier keine Namen nennen, spricht lieber darüber, was ihr Arbeitgeber da besser macht.

(Foto: SZ)

Zwischen 2003 und 2017 wurde bei Henkel der Anteil von Frauen in Führungspositionen von 22 auf 34,5 Prozent gesteigert. Flexible Arbeitsmodelle, Vereinbarkeit von Beruf und Familie beispielsweise durch betriebseigene Kindergärten, dazu ein werksärztlicher Dienst, der "Girls' Day" und nicht zuletzt ein Rotationsprinzip, bei dem Mitarbeiter in Führungspositionen jeweils zwei Unternehmensbereiche, zwei Abteilungen und zwei Länder durchlaufen - das alles seien Zeichen dafür, dass "Henkel das sehr ernst nimmt und sich darum kümmert, dass Mitarbeiter über den Tellerrand schauen und Chancen bekommen", sagt Vajnorsky.

Aber heißt das auf der anderen Seite, dass jedes Unternehmen auf der Diversity-Welle mitschwimmen muss? Und was passiert, wenn sie es nicht tun? Dass Konzerne mittlerweile unter einem gewissen Druck stehen, sich um mehr Vielfalt zu bemühen, sieht Lea Vajnorsky auf jeden Fall. "Ich glaube, ohne geht es eigentlich nicht mehr", sagt sie. Den Grund dafür vermutet sie - wie auch Andrea Bührmann - in Digitalisierung und Globalisierung. "Durch soziale Netzwerke und das Internet gibt es einfach mehr Möglichkeiten, Themen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken", sagt Vajnorsky, und sie auch dort zu halten. "Leute, die das vorher vielleicht nicht getan hätten, trauen sich auf Facebook, Instagram und Co. ihre Meinung zu äußern, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen und sich gegenseitig zu bestärken", meint sie. Bührmann, die Professorin für Diversität sagt: "Wir sind außerdem ständig miteinander in Kontakt, reisen, tauschen uns aus." Sodass diese Themen einfach nicht mehr weggehen. Deshalb finden beide Frauen den Diversitäts-Druck im Grunde gut. Solange er dazu führt, dass Unternehmen auch tatsächlich halten, was sie versprechen. Und nicht nur Logos auf Plakate drucken.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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