Süddeutsche Zeitung

Frauenförderung:Frauenrechte sind für Merkel keine Herzensangelegenheit

  • Angela Merkel ist die erste weibliche Regierungschefin der Bundesrepublik. Das Thema Gleichberechtigung treibt sie allerdings nicht besonders um.
  • Die CDU-Politikerin spricht sich nur für Frauenförderung aus, wenn es ihr in der Sache passt - oder wenn es um die Macht geht.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Seit 2002, schreibt das Statistische Bundesamt, ist der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen fast konstant geblieben. Auch dann, wenn die Frauen formal gleich qualifiziert sind und die gleiche Arbeit verrichten wie Männer, werden sie schlechter bezahlt. Im Jahr 2016, zeigt eine andere Statistik, gibt es in neun von fünfzehn Bundesministerien nicht eine einzige Staatssekretärin. Oder: Im Bundeskabinett sitzen sechs Ministerinnen. Aber neun Minister. Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Und das, obwohl Angela Merkel seit zwölf Jahren regiert. Hat die erste Frau an der Spitze der Bundesrepublik es nicht vermocht, das Land weiblicher zu machen?

Christine Lagarde, die als Chefin des Internationalen Währungsfonds selbst systematisch die Beteiligung von Frauen in Unternehmen und als Unternehmerinnen fördert und als enge Vertraute gilt, antwortet mit einem Ja, aber. Merkel sei ein Vorbild, "weil sie zeigt, dass Frauen tatsächlich führen können, kompetent und mit Mut". Dass die Französin sich mehr von der Deutschen erhofft hatte, verkleidet sie in diplomatische Worte. Merkel habe sicher "ihre persönlichen Gründe dafür, sich nicht so viel mit Diskriminierung auseinandergesetzt zu haben und auch nicht damit, wie wichtig die Stärkung von Frauen für die Wirtschaft ist".

Dass Merkel die Geschlechterfrage nicht wirklich umtreibt, zeigt sich am Streit um die Frauenquote für Firmen. Die Quote ist das zentralste und wirkungsvollste Instrument, um Gleichstellung zu erreichen. Der Streit um die Quote zeigt, dass es Merkel bei der Frauenpolitik stets mit dem Zeitgeist gehalten hat. Gemacht wurde, was nicht zu vermeiden war.

In der schwarz-gelben Koalition sagt sie lange Zeit, "es wird keine gesetzlich vorgeschriebene Quote geben". Statt dessen gibt sie der Wirtschaft erneut die Chance, freiwillig mehr Frauen zu befördern. Merkel stellte sich damit gegen die eigene Ministerin Ursula von der Leyen, es gibt Krach in der Union. In der darauf folgenden großen Koalition einigen sich Sozialdemokraten und Union Ende 2014 darauf, dass 30 Prozent der Aufsichtsratsposten der größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland weiblich besetzt sein sollen, beginnend ab 2016. Dass für Merkel die Quote dennoch keine Herzensangelegenheit ist, zeigt sich kurz darauf. 2015 blockiert die Bundesregierung in Brüssel eine europäische Regelung. Das Kanzleramt stellt sich quer. Fragen wie die Frauenquote müssten national entschieden werden, heißt es dort. Fast zwölf Jahre hat es gedauert, um mit Merkel eine nationale Quote durchzusetzen. Eine europäische Regel verhindert sie.

Merkel selbst ist das Thema eher lästig. Beinahe erschrocken hatte sie reagiert, als sie im April auf dem Frauengipfel der G-20-Staaten in Berlin gefragt wurde, ob sie Feministin sei. Sie wolle sich nicht mit fremden Federn schmücken, hatte sie angehoben, war aber nicht weiter gekommen, weil eine spontane Umfrage unter den Damen auf dem Podium ergab, dass sich alle irgendwie als Feministin fühlten. Lagarde hatte ebenso die Hand gehoben wie Ivanka Trump, die gerade einen Fördertopf für junge Unternehmerinnen bei der Weltbank eingerichtet hatte. "Dann bin ich auch eine", hatte Merkel beigedreht.

Merkel und Frauenförderung, das war immer eine eher beiläufige Beziehung gewesen. Die in Ostdeutschland sozialisierte Kanzlerin hat sich nie in Geschlechterhaftung nehmen lassen. Das mag mit der Herkunft zu tun haben, aber auch mit den Wahlanalysen von 2005. Ihr Geschlecht habe Angela Merkel zumindest nicht genützt. Die große Solidarität von Frau zu Frau sei ausgeblieben, Wählerinnen hätten häufiger als Männer für den SPD-Kanzlerkandidaten votiert. Und der konservativen Union sei unter einer Kanzlerin nicht noch ein Frauen-Vorfahrt-Kurs zuzumuten.

Frauen fördern? Ja, wenn es um die Macht geht

Merkel hat daraus den pragmatischen Schluss gezogen, Frauen dann zu fördern, wenn es ihr in der Sache passt, wenn es um die Macht geht - oder um beides. Sie unterstützt einen Fördertopf für junge Unternehmerinnen bei der Weltbank, weil das ein Prestigeprojekt für Donald Trumps Tochter Ivanka ist - und den Zugang zum Vater, den US-Präsidenten, sichert. Sie lässt Ministerinnen gewähren, wenn es ihrer CDU zu einem modernen Familienbild verhilft. Von der Leyen darf die gesamte Kleinkindbetreuung in Deutschland umkrempeln, es gibt das Elterngeld und das Recht auf einen Kita-Platz, was Frauen letztlich hilft, arbeiten zu gehen. Die SPD hat Merkel wiederum zuletzt heftig fehlende Solidarität vorgeworfen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles gab im Mai wütend zu Protokoll, Frau Merkel verhindere das Gesetz, das für Frauen den Weg aus der Teilzeitfalle bedeutet hätte - kräftig unterstützt von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.

Der Bürokratie merkt man nicht an, dass eine Frau regiert. Die Bundesministerien sind weiter männlich dominiert. Besonders wenig haben Frauen in der Haushaltspolitik mitzureden. In Wolfgang Schäubles Finanzministerium ist nur eine von fünf Leitungspositionen weiblich besetzt. Es gibt keine einzige Staatssekretärin, alle entscheidenden Schnittstellen zwischen Minister und der Ministerialbürokratie haben Männer inne. Im Auswärtigen Amt sieht es nicht besser aus, auch im eigenen Bundeskanzleramt nicht. Der Frauen Union hat die CDU-Chefin gerade versprochen, das nächste Bundeskabinett geschlechterneutral zu besetzen. Es hat ihr viel Beifall eingebracht. Aber der Nachsatz zeigt, was von dem Versprechen zu halten ist. Sie müsse "natürlich erst abwarten, welche Vorschläge die möglichen Koalitionspartner machen".

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SZ vom 08.09.2017/jps
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