Süddeutsche Zeitung

Porträt:"Ich bin da sehr leidenschaftlich"

Maria Ferraro ist bei Siemens Energy für die Zahlen zuständig, für Umsatz, Gewinn, Cashflow - und für die Frauenquote. Mit Diversität soll sie das traditionsreiche Unternehmen aus der Krise führen.

Von Thomas Fromm

An einem Abend im Frühjahr 2019 hat die Kanadierin Maria Ferraro einen großen Auftritt. Es sind die Tage der Hannover-Messe, sie trägt einen weißen Mantel mit bunten Knöpfen, sie sagt "Hallo, guten Abend zusammen" und fragt, ob alle einen guten Tag hatten. Ein bisschen Small Talk, das Publikum direkt ansprechen, so funktioniert das am besten, dabei läuft sie langsam auf der Bühne hin und her.

That's entertainment.

Ansehen kann man sich den unterhaltsamen Auftritt heute auf Youtube, und es würde einen gar nicht wundern, wenn die Frau auf der Bühne jetzt gleich auch noch anfangen würde zu singen. Aber sie ist im Frühjahr 2019 Finanzchefin der Siemens-Sparte "Digitale Industrie", und sie will über Frauen im Management sprechen. Erst mal Bilder: Klick, eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme vom Siemens-Messestand 1961. Schauen Sie sich die Leute an. Sind da etwa Frauen auf dem Bild? Nein? Keine einzige! Dann Klick, ein Sprung ins Messejahr 2019. In der Zwischenzeit sind ein paar Frauen dazugekommen. "Ein bisschen better", sagt Ferraro. Aber eben auch nur ein bisschen better und nicht richtig gut. 1961 ist also nicht so sehr das Problem. 2019 dagegen schon.

Im November dieses Jahres sitzt sie vor einer Computerkamera in der Münchner Siemens-Zentrale am Wittelsbacher Platz, es ist einiges passiert seit der Messe in Hannover. Erstens: Die große Koalition hat sich vor zwei Wochen auf eine verbindliche Frauenquote in Vorständen geeinigt - in Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern muss demnach künftig ein Mitglied eine Frau sein. Zweitens: Die 47-jährige Ferraro, seit dem Frühjahr Finanzchefin der börsennotierten Siemens-Abspaltung Siemens Energy, ist vor ein paar Tagen zusätzlich zur "Chief Inclusion & Diversity Officerin" (CIDO) ernannt worden. Und drittens: Sie hat bei der Gelegenheit ihre eigene Frauenquote aufgelegt. Der Anteil von Frauen auf der ersten und zweiten Führungsebene soll bei der früheren Siemens-Energietochter bis zum Jahr 2025 auf 25 Prozent und bis 2030 auf 30 Prozent aufgestockt werden. "Ich gebe zu, das ist ambitioniert", sagt sie. "Aber ist es ambitioniert genug? Ich bin da sehr leidenschaftlich, wenn wir das intern diskutieren! Und wenn wir das Ziel von 25 Prozent erreicht haben, werde ich bestimmt nicht aufhören."

Zahlen sind wichtig im Leben der Finanzerin aus Ontario, sie ist ja auch für Zahlen zuständig, für Umsatz, Gewinn, Cashflow, Ebitda. Aber was nützen ihr die reinen Zahlen? Sie will "die besten Menschen" rekrutieren, egal ob Frauen oder Männer, sie will "kulturelle Vielfalt, unterschiedliche Altersstrukturen, Internationalität". Mehr Diversität gleich mehr Unternehmenserfolg, so geht die Rechnung. Dass die Finanzchefin eines großen Energieunternehmens, das bald in den M-Dax aufsteigen soll, im Vorstand gleichzeitig für Diversität zuständig ist, mag ein eher neues Phänomen sein. Aber die Kombination folgt einer gewissen Logik.

Nun ist Siemens Energy kein hippes Start-up, sondern ein traditionsreiches altes Unternehmen, manche meinen: Ein konservativer Laden, wo man immer schon sehr viel von Ingenieuren sprach, aber nicht so viel von Ingenieurinnen. Das soll sich jetzt ändern, überall. Wenn die Bundesregierung Quoten umsetzen möchte, braucht es auch Frauen, die für diese Jobs infrage kommen. "Um ganz offen zu sein: Wir haben bisher keinen guten Job gemacht, was Frauenförderung betrifft", sagt die Managerin. "Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus, mehr als die Hälfte aller Absolventen sind Frauen, und trotzdem sitzen überwiegend Männer an den entscheidenden Posten."

Ferraro kennt diese Quoten-Diskussion, wenn es hinterher dann heißt: Oh je, die ist aber auch nur über eine Quote auf ihren Posten gekommen, sonst wäre sie ja gar nicht dort, so etwas wolle man doch wirklich nicht. "Und wenn ich am Ende eine Quotenfrau bin? Egal, ist doch fantastisch", sagt Ferraro. "Frauen, die über eine Quote solche Posten bekommen, sind gut, müssen auch arbeiten und sich beweisen. Vielleicht sogar noch mehr als andere!"

Neben den Quoten gibt es Netzwerke, die funktionieren seit Jahrhunderten hervorragend. Bei Männern sowieso, egal ob sie am Wochenende zusammen Golf spielen gehen oder nach der Arbeit auf ein Bier in die nächste Kneipe. Bei Ferraro war es auch eine frühere Kollegin, die sie gefördert hatte, und sie ist heute selbst bei einigen Siemens-Frauennetzwerkgruppen. Sie sagt aber, dass auch Männer sie gefördert hätten. Männer- oder Frauennetzwerke? Vielleicht einfach nur: Netzwerke? Am Ende komme es darauf an, sich gegenseitig zu helfen. Auch wenn es immer noch diese ganz speziellen Situationen in den Bewerbungsgesprächen gibt. "Da wird man als Frau gefragt: 'Ist es okay für Sie, an Abendterminen teilzunehmen, wo Sie doch Kinder haben?' Einen Mann fragt so etwas niemand."

Als sie 2004, lange bevor es bei Siemens Diversity-Vorständinnen und Quoten gab, in der kanadischen Landesgesellschaft von Siemens anheuerte, da war sie schon eine Weile unterwegs. Sie arbeitete bei den Wirtschaftsprüfern von Price Waterhouse Coopers und beim Telekommunikationsunternehmen Nortel in Paris. Aber Siemens Kanada war anders. "CEO and CFO kamen meistens aus Deutschland - das war eine Art Drehtür für deutsche Männer. Business-Runden waren also Runden mit Männern in dunklen Anzügen."

Irgendwann dann die erste große Businesskonferenz bei Siemens in Deutschland, und sie war ein bisschen nervös. Es war die Zeit, als man anfing, Dinge in Einladungen zu schreiben wie: Business casual erwünscht. "Ich dachte: Okay, business casual ist business casual. Von wegen. An die 15 Prozent mögen vielleicht Frauen gewesen sein, ansonsten: schwarze, graue und blaue Anzüge." Was macht man da als Neue? "Ich bin reingegangen und habe das Beste draus gemacht, habe gesagt: Hi, ich bin Maria Ferraro und ich komme aus Kanada." Im Grunde beginnt die Geschichte der Maria Ferraro ja nicht einmal in Kanada, sondern einem kleinen Dorf in Süditalien. San Donato di Ninea, Kalabrien, an die 1300 Einwohner. Da kommen ihre Großeltern mütterlicherseits her, deshalb spricht sie Italienisch. Kalabrien, Kanada, Deutschland. Divers? Ziemlich.

"Hauptsache, man hat Cash!"

Die wichtigste Frau in ihrem Leben, sagt sie, hieß Maria Carolina Iannuzzi, stammte aus jenem kleinen paese San Donato di Ninea und sprach nicht viel Englisch. Eine starke Frau sei ihre Großmutter mütterlicherseits gewesen, eine, die die Familientraditionen hochhielt. Als Maria Ferraro anfing, nach ersten Jobs im Supermarkt und bei einer Bank, bei den Wirtschaftsprüfern zu arbeiten, und immer später nach Hause kam, da war die Nonna in Sorge. Maria, warum tust du dir das an? Maria, warum suchst du dir nicht einen schönen Job als Lehrerin oder in der Verwaltung? Einen mit einer guten Pension? Zahlen Sie dich eigentlich für all die Überstunden?

Nun ist es nicht so, dass die spätere Finanzchefin von Siemens Energy nicht schon früh ein Gespür für Zahlen hatte. Als Schülerin wollte sie von ihrem Vater einen Dollar für jeden Einser, für eine Eins minus mussten mindestens noch 50 Cent drin sein. Ganz egal, wie man es sagt, meint Ferraro: "Cash is king, oder auch cash is queen, Hauptsache, man hat Cash!"

Wenn man Cash für die Königin (oder auch für den König) hält, dann ist es unschön, wenn das Unternehmen, dessen Bilanzzahlen man gerade erst präsentieren musste, ziemlich in den Miesen steckt. Siemens Energy, erst im September an die Börse gebracht, hatte im abgelaufenen Geschäftsjahr Verluste von 1,9 Milliarden Euro angehäuft. Es waren vor allem Kosten für die Abspaltung oder für den Börsengang, die reinhauten. Ferraro, erst seit Mai Finanzchefin, sagt, dass sie die Verantwortung für die Verluste übernehme. Sie sagt aber auch: "Ein Minus von 1,9 Milliarden Euro kann und will ich nicht jedes Jahr akzeptieren." Jetzt muss sie also die Zahlen in Ordnung bringen - und die Anzahl der Frauen im Top-Management.

Am Ende ihres Vortrags in Hannover zitiert sie übrigens die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright: "In der Hölle gibt es einen speziellen Platz für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen." Könnte wohl auch gut von ihr stammen, der Satz.

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