Süddeutsche Zeitung

Frauen in Führungspositionen:Es muss ein Rock durch Deutschland gehen

So viele Männer in Chefsesseln, so viel Häme über Frauen. Wie wäre es mit einer Abwrackprämie für Alt-Machos? Ein offener Brief an die Bundeskanzlerin.

Gastbeitrag von Angela Hornberg

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

sicher erinnern Sie sich an den 27. August 2005, als Sie in jener legendären Elefantenrunde dem eben abgewählten Bundeskanzler Gerhard Schröder gegenüber saßen, der unbeirrt behauptete, "niemand außer mir kann eine stabile Regierung bilden". Selbst angesichts aller gegenteiligen Fakten bezeichnete er Sie, die fortan mächtigste Frau in Deutschlands Politik, als "Verlierer" und lehnte sogar ein Gespräch mit Ihnen ab, falls Sie einen Führungsanspruch erhöben. Man müsse doch die Kirche im Dorf lassen, posaunte er testosterongesteuert und pochte auf eine Realität, die außer ihm niemand mehr teilte.

Etwa so wie Ihnen damals geht es heute Tausenden von Managerinnen in der deutschen Wirtschaft: Es gibt Zahlen und Fakten, die belegen, dass Frauen nicht nur gleichwertige, sondern oftmals bessere Ergebnisse liefern als ihre männlichen Kollegen, dass sie in Schule und Studium erfolgreicher sind, dass sie höhere Sozial- und Führungskompetenz mitbringen, Risiken klüger einschätzen und Unternehmen sicherer in die Zukunft steuern. Trotzdem wird ihnen fast tagtäglich das Gespräch verweigert, wenn sie einen Führungsanspruch erheben, werden sie mit verächtlichen Worten und Gesten in aller Öffentlichkeit als Verlierer abgestempelt.

An diesem Mittwoch empfangen Sie, Frau Merkel, im Kanzleramt zum zweiten Mal hundert Frauen aus der deutschen Wirtschaft. Allesamt Führungskräfte. Das wird beeindruckende Fotos geben. So viele Managerinnen. Toll. Aber wenn wir genau nachzählen, dann sind das verdammt wenige Top-Managerinnen: Schon in den 30 Dax-Unternehmen gibt es allein auf Vorstandsebene mehr Männer als die Zahl Ihrer Gäste am Mittwoch: genau 173. Inmitten dieser Dinosaurierrunde sitzen derzeit ganze elf Frauen, die es dorthin geschafft und - noch bewundernswerter - bis jetzt auch ausgehalten haben. Sechs davon sind zuständig für Personal, nur fünf dürfen sich auch anderen Aufgaben zuwenden.

Es sind Schleudersitze, auf denen die Damen Platz nehmen dürfen. Die meisten fliegen vorzeitig raus. Beim letzten Frauen-Gipfel im Mai 2013 forderten Sie, werte Kanzlerin, dass "in das Schneckentempo noch etwas Bewegung hineinkommen" müsse. Schnell geht es derzeit jedoch nur im Rückwärtsgang: Seither haben von damals 18 Frauen sieben den DAX-Vorstand vorzeitig wieder verloren, allesamt verließen sie "aus persönlichen Gründen" ihre Unternehmen und verschwanden in der wirtschaftsoperativen Versenkung.

Da ging kein Aufschrei durch Deutschland, da blieb die Kirche wieder im Dorf und die Herren sprachen am Ende des Tages still ihr Abendgebet ""niemand außer mir kann eine stabile Regierung bilden". Dieser Glaubenssatz sitzt bei Männern so tief, dass manche gar gerichtlich gegen seine Abberufung vorgehen: Ein Ex-Commerzbank-Personalvorstand klagte gegen seine Abberufung - und gewann. Keine der Damen hat geklagt, nicht mal lamentiert.

Man stelle sich vor, es würden binnen zwölf Monaten nicht die Hälfte aller Frauen, sondern die Hälfte aller Männer aus den Vorständen abberufen; 85 Dax-Top-Manager verlören ihre Posten, gäben "aus persönlichen Gründen" ihre Macht her und zögen sich ins Private zurück. Das gäbe nicht nur eine Titelgeschichte über "die neue Wut der Männer", das gäbe Krieg!

Doch keine Sorge: Die 173 Männer in den Dax-Vorständen sitzen vergleichsweise stabil im Sattel der Macht. Wenn sie ihre Unternehmen verlassen, dann gehen sie am liebsten in den "verdienten Ruhestand" oder wechseln auf attraktivere Positionen. Selbst öffentlich geschasste Manager finden schnell neue Tätigkeitsfelder.

Die Männer-Vorstände sind übrigens fast allesamt "glücklich verheiratet und Vater von x Kindern". Das steht stolz selbst in den kürzesten Lebensläufen. Deswegen kurze Frage, Frau Merkel: War einer dieser Herren dabei, als Sie letztens die Vätergruppen im Kanzleramt empfingen? Haben Sie mit Vorstandschefs schon mal über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesprochen? Oder ob sie auf ihren Dienstreisen ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihre Tochter neulich nicht von der Grundschule abholen konnten oder die Ballettaufführung ihres Sohnes verpasst haben? Vermutlich nicht, denn wie in feierlichen Dankesreden oft besungen besteht das Glück der verheirateten Männer darin, dass ihnen eine Frau den Silberrücken frei hält.

Die Verlogenheit kann kaum größer sein. Da fordert der Chef der größten deutschen Unternehmensberatung lautstark mehr Frauen in Führungspositionen, muss aber auf Nachfrage kleinlaut zugeben, dass im eigenen Hause die Frauen in der Top-Etage Mangelware seien. Begründung: Die Reisetätigkeit sei nicht mit den Familienaufgaben vereinbar. Na so was. Arbeiten in den deutschen Top-Etagen etwa lauter reiselustige, kinderlose Männer?

Gendergerechte Besetzung? Längst überfällig

Kommen wir zum Punkt: Eine gendergerechte Besetzung von Führungspositionen klingt vielleicht wie eine Revolution, ist aber in Wahrheit eine längst überfällige politische Reform. Bei technischen Innovationen mögen wir Deutschen weltweit Pioniere sein, bei sozialen Innovationen sind wir mal so, mal so: Ihr Vorgänger, Frau Bundeskanzlerin, hat einschneidende soziale und wirtschaftliche Reformen, kurz die Agenda 2010, durchgesetzt, die Deutschland in wenigen Jahren zurück in die internationale Wettbewerbsfähigkeit geführt haben. Aber das Thema "Frauen" ist angeblich unlösbar. Doch warum nur hierzulande?

In den vergangenen zwölf Monaten wurden drei von vier der offenen Vorstands- und Aufsichtsratspositionen in Deutschland an Männer vergeben. Im EU-Durchschnitt wurde dagegen ein Drittel der Stühle mit Frauen besetzt, in Frankreich sogar jeder zweite und in Belgien sogar zwei von drei. Die deutsche Wirtschaft macht auf Schlusslicht. Deutschland einig Chauvi-Land. Und was sagt die Chefin dazu?

Liebe Frau Bundeskanzlerin, Ihre vielen Berater aus der Wirtschaft werden es bestätigen: Innovationen und Veränderungen kommen nur in Gang, wenn sie als Chefsache behandelt werden. Deswegen: Wie wäre es mit einer Abwrackprämie für ausgediente Alt-Machos? Dann entschuldigt sich Alt-Kanzler Schröder nicht nur für seinen "suboptimalen" Auftritt bei der Elefantenrunde, sondern auch für das Wort "Gedöns". Und ein Manager wie Gerhard Cromme wird endlich ausgelacht, wenn er mit dem Argument, Aufsichtsräte seien "keine Kaffeekränzchen", öffentlich Frauen den Zutritt zu den Machtzentren der Wirtschaft verweigert. Es muss endlich ein Rock durch Deutschland gehen! Wir brauchen eine "Agenda 50:50"!

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SZ vom 13.10.2014/infu
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