Süddeutsche Zeitung

Frauen in der Finanzbranche:Hellwach

Bankmanagerin Sallie Krawcheck prangert seit Jahren an, wie schlecht Frauen in der Finanzbranche repräsentiert sind und welche Folgen das für sie hat. Nun tut sie was dagegen.

Von Katharina Kutsche

Wenn Kraftausdrücke fallen, ist das meist kein gutes Zeichen für den Stand einer Debatte. Doch manche Ungerechtigkeit besteht schon so lange, dass es schwer sein kann, sich zu bremsen. So geht es Sallie Krawcheck, 55, Bankmanagerin und Gründerin. Die US-Amerikanerin prangert seit Jahren an, wie schlecht Frauen in der Finanzbranche repräsentiert sind und welche Folgen das für sie hat. Ein Symbol in ihrem Kampf ist ein Kaffeebecher aus Keramik für 23 Dollar. Seine Aufschrift: "Just buy the f***ing latte", zu Deutsch: Kauft den verdammten Milchkaffee.

Krawcheck ist eine der erfolgreichsten Frauen an der Wall Street. Sie legte eine steile Karriere hin, wurde 2002 Chefin des Investmentzweigs der Citigroup, zwei Jahre später Finanzchefin der Bankengruppe. Von 2009 an war sie Chefin der Bank-of-America-Tochter Merrill Lynch, bis ihr Job einer Restrukturierung zum Opfer fiel - so die offizielle Version. Schon damals galt die Finanzexpertin als kritische Stimme.

Die Amerikanerin bemängelt vor allem, dass 86 Prozent der Investmentberater Männer über 50 Jahre seien. Ihre Empfehlungen gingen daher von Männer-Gehältern, -Karrieren und deren Lebenserwartung aus. Geschlechtsneutral ist solche Beratung nicht.

Und hier kommt der fluchende Kaffeebecher ins Spiel. 2019 erschien ein Buch in den USA namens "Der Latte-Faktor". Darin gibt ein mittelalter Herr einer jungen Frau den Tipp, auf den täglichen Milchkaffee im Café zu verzichten und das Geld stattdessen anzulegen. So werde sie reich. In einem Blogeintrag zerlegte Krawcheck den vermeintlich schlauen Ratschlag: Erstens stimme er mathematisch nicht. Denn dass die fünf Dollar für den Latte, hochgerechnet auf 40 Jahre, am Aktienmarkt eine Million einbringen, passe nicht zu den Börsenentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Zweitens sei es herablassend, ausgerechnet das Kaffeegetränk als Beispiel zu nennen - warum nicht ein Tech-Gadget oder etwas anderes, das weniger fluffig-niedlich (und damit weiblich) klingt?

Was die Unternehmerin aber am meisten ärgert, ist, dass Beispiele wie "zu viel Milchkaffee" den Frauen die Schuld zuschieben. Tatsächlich aber stehen Frauen finanziell oft schlechter da als Männer, weil sie geringer bezahlt werden, höhere Gebühren auf Kredite zahlen müssen, ihnen häufiger Hypotheken versagt werden. Genau über diese Themen gelte es zu sprechen - und nicht über Kaffee to go.

2016 brachte die Amerikanerin mit Ellevest ihr eigenes Fintech an den Markt. Es ist ein Robo-Advisor, eine digitale Plattform, die automatisiert empfiehlt, wie Frauen ihr Geld anlegen können. Der Algorithmus dahinter berücksichtigt, dass Arbeitnehmerinnen vor anderen finanziellen Herausforderungen stehen als ihre männlichen Kollegen. 2019 sammelte Ellevest 33 Millionen Dollar ein, unter anderem von der Investmentfirma von Melinda Gates und dem Bezahldienstleister Paypal.

Parallel verbreitet Krawcheck ihre Mission medial, schreibt Texte für den Ellevest-Blog, gibt Interviews. Dabei hilft ihr, dass sie nicht nur einen Abschluss in Wirtschaft hat, sondern auch einen in Journalismus. In einem Gastbeitrag für die Januar-Ausgabe der Zeitschrift Marie Claire erklärt die New Yorkerin, dass die Vermögenslücke zwischen Mann und Frau sowohl eine Ursache sexueller Belästigung sei, als auch ihre Konsequenz. Schwer vorstellbar, dass eine Frau in einem Raum mit einem Mann im halboffenen Bademantel geblieben wäre, wenn sie genau so viel Geld hätte wie er, schreibt sie. Krawcheck fordert ihre Geschlechtsgenossinnen auf, sich den Milchkaffee zu gönnen. "Ich brauche euch koffeiniert, damit wir diese Probleme lösen können."

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Quelle:
SZ vom 13.01.2020
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