Frauen im Beruf:Die Familienpolitik muss sich radikal ändern

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Wenn Frauen akzeptieren, an vielen Stellen im Leben formal unsichtbar zu bleiben, gewöhnen sie sich an diese Form des bescheidenen Pragmatismus. (Foto: imago/Westend61)
  • Das Problem: Frauen nehmen stereotype Spielregeln zu oft als gegeben hin.
  • Die Folge: Die Gleichberechtigung kommt nur mühsam voran.
  • Die Lösung: Die Politik muss echte Partnerschaftlichkeit belohnen. Und Frauen müssen das tatsächlich Mögliche neu ausloten.

Essay von Henrike Roßbach

Auf Facebook und Twitter lebt ein Mann, der einfach alles hat: Karriere, Vaterschaft, Zeit für sich, fantastisches Aussehen - und das, obwohl die frauendominierte Welt um ihn herum es ihm nicht leicht macht. Doch auch dafür bringt dieser "Man who has it all" noch Verständnis auf: "Frauen und Männer sind ebenbürtig, aber unterschiedlich", findet er. "So haben Männer ein natürliches Talent, längere Zeit auf kleine Kinder aufzupassen."

Arbeitende Väter sollten zudem endlich lernen, sich zu entspannen: "Ihr seid hübscher, wenn ihr glücklich seid." Manchmal kommen auch Frauen zu Wort. Etwa Sophie, Ministerin: "Mein Mann arbeitet, aber ich kann euch sagen, er ist ein großartiger Ehemann und ein großartiger Vater. Wir hatten nie ein Au-pair, er hat nie um eins gebeten."

Das alles liest sich ziemlich lustig. Früher oder später bleibt einem als Frau das Kichern dann aber doch im Hals stecken. Denn diese satirische Frauen-Welt erinnert einen daran, wie widerstandslos man die spiegelverkehrte Wirklichkeit oft hinnimmt.

Die Gegenwart ist für Frauen voller gut eingeübter Verhaltens- und Denkmuster und unausgesprochener Spielregeln. Nicht korrigierte Denkfehler aber können zu einem deformierten Verhalten führen, bei Männern wie bei Frauen, und infolgedessen zu handfesten Nachteilen - in Beruf, Familie und Lebensqualität.

Beispiele? Frauen sollen sich gleichwertig gemeint fühlen, wenn ihre Bank sie mit "Sehr geehrter Kunde" anschreibt. Wenn sie das aber für sich akzeptieren, akzeptieren sie dann nicht auch die eigene Unsichtbarkeit? Das mag manchen als feministische Kleinkariertheit erscheinen, doch viele Kleinigkeiten formen das kollektive Denken und Fühlen, das "Ist halt so", bei dem oft schon ein "Stell Dich nicht so an" mitschwingt.

Wenn Frauen akzeptieren, an vielen Stellen im Leben formal unsichtbar zu bleiben, gewöhnen sie sich an diese Form des bescheidenen Pragmatismus. Und genau der steht ihnen anderswo dann im Weg. Bei Gehaltsverhandlungen und wenn gefragt wird, wer das neue Projekt übernimmt. Und zu Hause, wenn ganz selbstverständlich immer sie "mal eben schnell" die Wäsche aufhängen und im Ranzen nach verrotteten Äpfeln suchen.

In Politik und Wirtschaft ist die Vereinbarkeitsfrage in der Regel eine weibliche

Wie gut Frauen darin sind, sich anzupassen - und wie wenig gut ihnen das mitunter bekommt - ist eines der Themen, mit denen sich die britische Kulturwissenschaftlerin und Feministin Angela McRobbie beschäftigt. Wenn es darum geht, alle an sie herangetragenen Rollen zu erfüllen, sind Frauen McRobbie zufolge die perfekten Mitglieder der neoliberalen Gesellschaft.

Das Ziel: das perfekte Management des eigenen Lebens. In Berlin hielt die Wissenschaftlerin kürzlich einen Vortrag, in dem sie am Beispiel von Frauen in der Kreativindustrie zeigte, wie diese Stereotype bereitwillig annehmen. Es herrsche der egalitäre Mythos des "Du kannst es schaffen", und die Ausbildung sei für viele Frauen so konzipiert, dass sie "lieben sollen", was sie tun. Im Umkehrschluss aber schließt das die Möglichkeit des Aufbegehrens aus, denn Meckern passt nicht zu Enthusiasmus. Es gebe, so McRobbie, ein "feministisches Problem" mit diesem Konzept des "leidenschaftlichen Arbeitens".

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Dass beruflich erfolgreiche Mütter stets gefragt werden, wie sie das hinkriegen, während Männern diese Frage so gut wie nie gestellt wird, verfestigt ebenfalls bestehende Denkmuster. In Politik und Wirtschaft ist die Vereinbarkeitsfrage in der Regel eine weibliche. Das mag die Realität abbilden, es führt aber dazu, dass Frauen den Status quo als unveränderlich hinnehmen - und viele Unternehmen offenbar auch. Das Ergebnis nennen Soziologen statusbasierte Diskriminierung. Einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2007 zufolge wird das Muttersein auf dem Arbeitsmarkt bestraft, beim Gehalt wie bei den Chancen auf ein Vorstellungsgespräch. Für Männer dagegen zahlt es sich oft sogar aus, Kinder zu haben.

Eine OECD-Studie zeigt, dass in Partnerschaften, in denen Mann und Frau gleich viel arbeiten, hierzulande trotzdem die Frauen den größeren Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen. Zu schaffen ist das nur mit Selbstausbeutung - oder eben gar nicht, was erklärt, warum fast jede zweite Frau in Teilzeit arbeitet, aber nur jeder zehnte Mann. Teilzeit aber ist eine Karrierebremse, auch weil über Karrieren meist Männer in Vollzeit entscheiden: Laut der schwedisch-deutschen Allbright-Stiftung entsprach 2017 der Zuwachs an Frauen in den deutschen Vorständen in etwa dem Zuwachs an Männern mit dem Vornamen Thomas.

Väter gingen gerne länger in Elternzeit, wenn vier statt zwei Partnermonate Voraussetzung für die komplette Förderung wären

Eine faire Teilhabe von Frauen wird nicht funktionieren ohne eine partnerschaftlichere Arbeitsteilung daheim. Politik und Wirtschaft müssen deshalb aufhören damit, um die Männer herumzuschleichen wie um den berühmten heißen Brei. Deren Rolle auszublenden, ist ein Webfehler der Familienpolitik. Denn wie Paare Erwerbsarbeit aufteilen, sei nicht reine Privatsache, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Lena Hipp, sondern maßgeblich von politischen Rahmenbedingungen abhängig. Eine möglich Stellschraube: die Elternzeit. Derzeit nehmen gut 36 Prozent aller Väter Elternzeit. Vier von fünf aber bleiben nur die zwei Monate zu Hause, die notwendig sind, um den vollen Förderrahmen auszuschöpfen.

Studien zeigen jedoch, dass Väter gerne länger in Elternzeit gingen und das auch täten, wenn vier statt zwei Partnermonate Voraussetzung für die komplette Förderung wären. Offenbar erleichtert es den Gang zum Chef ganz ungemein, wenn man sich durch eine gesetzliche Regelung legitimiert fühlt. Schön ist das zwar nicht; besser wäre eine Unternehmenskultur, in der Männer ermutigt würden, sich Familie und Beruf mit ihrer Partnerin zu teilen. Für die Frauen aber wäre auch eine Auszeit der Männer aus weniger edlen Motiven heraus ein Gewinn. Denn laut Hipp zeigen Untersuchungen, dass Väter nach einer Elternzeit weniger Zeit im Büro und mehr mit ihren Kindern verbringen. Nach zwei Monaten Elternzeit verringerten Väter ihre Arbeitszeit um drei Stunden pro Woche, nach längeren Auszeiten um fünf. Den Frauen verschafft das Luft.

Die gute Nachricht ist: Das Bewusstsein wächst, welche Folgen stereotype Denkmuster für das Weiterkommen von Frauen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft haben können. Das nützt aber nichts, wenn dieser Erkenntnisgewinn sich auf die üblichen Frauenzirkel beschränkt. Frauen können sich noch hundert Jahre lang gegenseitig vergewissern, dass die Spielregeln ungerecht sind. Oder, wie Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) kürzlich auf einer weitgehend nur von Frauen besuchten Gender-Konferenz des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Friedrich-Ebert-Stiftung sagte: "Wir hier müssen uns nicht gegenseitig darüber aufklären, dass es eine Schweinerei ist, dass wir so einen Gender-Pay-Gap in Deutschland haben."

Und was nun? Zentral ist, dass Frauen sich selbst weniger zensieren; in Sprache, Gedanken, Verhalten und Entscheidungen. Das beginnt bei der Berufswahl. Kürzlich sind die Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und das Handwerk der "Initiative Klischeefrei" beigetreten, einem Bündnis, das sich für eine Berufsorientierung frei von Geschlechterklischees einsetzt. Mädchen aber müssen auch selbst dahinterkommen, dass es eine verheißungsvolle Welt jenseits von Friseursalon und Sekretariat gibt. Auch ihre selbst gewählte Rolle zu Hause sollten Frauen ab und zu hinterfragen. Natürlich muss niemand der Emanzipation zuliebe vom Kreißsaal ins Büro. Es ist aber auch nicht alternativlos, nach einer bewusst gewählten längeren Babypause automatisch einen 15-Stunden-Job anzutreten. Wer die Auseinandersetzung darüber nicht wagt, wird nie ausgetretene Pfade verlassen.

Eine der möglichen Lösungen: aussteigen. Im Sinne von "Ich mache mein eigenes Ding"

Die Politik wiederum muss endlich die Lebensentwürfe unterstützen, die viele, vor allem junge Paare, ohnehin leben wollen: die wahrhaftig gleichberechtigten. Dazu gehört, das Elterngeld nur dann über den vollen Zeitraum auszuzahlen, wenn der Vater mindestens vier Monate mit von der Partie ist. Dazukommen muss eine echte Familienarbeitszeit; also die Förderung des Modells, dass beide Eltern vollzeitnah in Teilzeit arbeiten - statt einer voll und einer kaum. Bislang aber wird Letzteres belohnt, vor allem durchs Ehegattensplitting. Eine Familienarbeitszeit war politisch zwar schon mal im Gespräch, hat es aber nie über diesen Status hinaus geschafft. Dabei spiegelt sie die Wünsche vieler Paare wider: Viele Männer würden Umfragen nach gerne etwas weniger arbeiten, viele Frauen dagegen etwas mehr.

Überhaupt müssen in der Familienpolitik endlich diejenigen ganz entschieden mit ins Boot, ohne die es schlicht nicht gehen wird: die Männer. Die OECD hat das erkannt. "Männer verstetigen die Ungleichheit der Geschlechter", sagte Generalsekretär Angel Gurría Anfang Oktober auf einer Barbershop-Konferenz seiner Organisation in Paris - einer Veranstaltung, die sich darum drehte, Männer zu mobilisieren für eine geschlechtergerechte Welt.

Und dann gibt es für Frauen noch einen weiteren Ausweg, einen reizvollen, der allerdings nur für eine Minderheit funktioniert: aussteigen. Nicht im Sinne von Selbstfindungstrommeln auf La Gomera, sondern im Sinne von: Ich mache mein eigenes Ding. Female Empowerment, also die Ertüchtigung von Frauen durch Frauen in einer Männerwelt, ist zentraler Bestandteil des New Feminism, des neuen Feminismus, bei dem immer auch ein bisschen Pop und Hipstertum mitschwingt. Manche Frauen wollen eben nicht warten, bis der Wind in der Wirtschaft sich zu ihren Gunsten gedreht hat.

Noch gründen mehr Männer als Frauen, gerade im Technologiebereich. Doch auch viele Frauen machen sich selbständig und vernetzen sich. Sie ziehen ihre Strippen anders als die Jungs es tun, mit ihren Boys-Clubs und Anzugträger-Verbänden. Aber auch sie organisieren Konferenzen, Weiterbildung und Networking-Events. Sie gründen Bürogemeinschaften mit Kinderbetreuung, schreiben Blogs, treten auf und nutzen geschickt die sozialen Medien, um sich und ihre Sache gegenseitig zu bewerben, Einfluss zu gewinnen, sich zu helfen. Das ist noch nicht die Welt des "Man who has it all". Aber ein Anfang.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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