Französischer Arbeitsmarkt:Die Frau, die Frankreich "verwandeln" soll

French Labour Minister Penicaud attends a news conference after presenting the government's labour reform bill to the union leaders at the prime minister's Hotel Matignon office in Paris

Arbeitsministerin Muriel Pénicaud wird es nicht leicht haben, die Reformen durchzusetzen. Der Großteil der Bevölkerung will am bisherigen System festhalten.

(Foto: REUTERS)
  • Frankreichs Präsident Macron will den Arbeitsmarkt reformieren. In dieser Woche soll seine Regierung die ersten Verordnungen beschließen.
  • Eine entscheidende Rolle hat dabei Arbeitsministerin Pénicaud, ehemalige Managerin des Lebensmittelkonzerns Danone.
  • Sie steht vor einer schwierigen Aufgabe. Ein großer Teil der Franzosen lehnt die Reformen ab, Hunderttausende gingen bereits demonstrieren.

Von Leo Klimm, Paris

Über dem Kopf von Muriel Pénicaud hängt ein mächtiger Kronleuchter. Die Wände ihres Büros im Stadtpalais Hôtel du Châtelet sind mit goldenem Stuck und großen Spiegeln verziert. Alles wirkt wie altes - man könnte sagen: erstarrtes - Frankreich, und es wäre ein Leichtes, die Arbeitsministerin mit ihrer konservativen Pariser Eleganz hier gleich mit einzusortieren. Aber das wäre ein Fehler.

Pénicaud arbeitet mit Feuereifer an dem, was sie und Präsident Emmanuel Macron ganz unbescheiden die "Transformation" ihres Landes nennen - die Verwandlung in ein neues, dynamisches Frankreich. Die Kulisse des Ancien Régime soll sie daran nicht hindern. Auch sonst nichts. "Leute, die am liebsten gar nichts ändern wollen, sind nicht meine besten Freunde", sagt die Ministerin. "Aber in der Bevölkerung ist der Wunsch nach Erneuerung stärker als die Reformverweigerung."

Diese Woche beschließt die Regierung Verordnungen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die Pénicaud vorgelegt hat. Vier Monate nach der Präsidentenwahl soll das der Beginn der Verwandlung sein. Im Herbst und Winter startet Pénicaud fünf weitere Reformen, um Macrons Versprechen einzulösen, Frankreichs Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen und die hohe Arbeitslosenquote von 9,5 Prozent bis 2022 auf sieben Prozent zu drücken.

Pénicaud, 62 Jahre, Ex-Personalvorstand beim Lebensmittelkonzern Danone und Neu-Politikerin, ist die derzeit wichtigste Ministerin des jungen Präsidenten. Die zentrale - und umkämpfte - Figur, die ihn zum Erfolg tragen soll. Sie soll schaffen, woran so viele Regierungen zuvor gescheitert sind: das vermeintlich unreformierbare Frankreich zu reformieren. Möglichst ohne große Streiks und Blockaden. Im Kern geht es darum, Frankreich eine andere, liberalere Wirtschafts- und Sozialordnung zu verpassen, weil die gegenwärtige hoch entwickelt ist, aber gerade den Schwächsten wenig hilft. "Die Transformation bedeutet die Reform des gesamten Sozialmodells", sagt Pénicaud im Gespräch mit deutschen Journalisten. Brisante Worte, die sie beschwingt ausspricht. Sie ist bekannt für unerschütterliche Fröhlichkeit.

Die Lockerung des Arbeitsrechts, das manche Firma bisher angeblich von Neueinstellungen abhielt, kann sie als erledigt abhaken. Für Unternehmen sind Abfindungen nach Kündigungen jetzt berechenbarer und sie bekommen mehr Spielräume, etwa bei der Arbeitszeit. Als Nächstes nimmt sich Pénicaud die Arbeitslosenversicherung vor, die auf Selbständige ausgeweitet und anders finanziert werden soll. Das Arbeitslosengeld sei "kein Tabu", sagt sie; alle Veränderungen wolle sie aber gemeinsam mit den Sozialpartnern erarbeiten. Auch die Aus- und Weiterbildung möchte sie umkrempeln, weil das System Jugendliche und Geringqualifizierte nicht vor Arbeitslosigkeit bewahrt. Und dann ist auch noch eine Rentenreform geplant.

"Das ist wie ein Rubik's Cube", sagt Pénicaud - wie einer dieser kniffeligen Zauberwürfel, deren Flächen man nach Farben ordnen muss. "Eine Reform allein reicht nicht aus. Um Erfolg zu haben, müssen wir den Würfel innerhalb von 18 Monaten lösen." Sie sagt, sie sei gut in Rubik's Cube.

Macron und Pénicaud wollen das Land womöglich überrumpeln

Pénicaud und Macron haben es eilig. Womöglich wollen sie das Land auch überrumpeln. Gar nicht erst riskieren, dass sich mit der Zeit unüberwindbare Widerstände aufbauen. Umfragen zufolge missbilligen die meisten Franzosen schon das flexiblere Arbeitsrecht. "Wir tun genau, was vor der Wahl angekündigt wurde", sagt Pénicaud trotzig.

Ist Frankreich wirklich bereit? Zumal, wenn diese Liberalisierung auch noch von einer vermögenden Frau unternommen wird, deren Gegner ihr gleich zwei Finanzskandale anhängen wollen? Im Sommer wurde Pénicaud von radikalen Linken und Rechten als skrupellose Hire-and-fire-Kapitalistin hingestellt. Sie behaupteten, Pénicaud habe als Personalvorstand den Wert ihrer Danone-Aktien um eine Million Euro gesteigert, indem sie 900 Stellen strich. Das war etwas konstruiert, weil der Verkauf der Aktien und der Stellenabbau zeitlich weit auseinanderlagen.

In einer anderen Sache aber wird sogar ermittelt. Wegen des Verdachts auf "Günstlingswirtschaft": 2016 - da leitete Pénicaud Frankreichs Agentur für Standortwerbung - organisierte sie auf der Elektronikmesse von Las Vegas einen Empfang für den damaligen Wirtschaftsminister Macron. Ihr wird vorgeworfen, den Auftrag über 300 000 Euro ohne Ausschreibung an eine Eventfirma vergeben zu haben. Sie räumt Fehler ein, beruft sich aber darauf, die Überprüfung des Vorgangs selbst veranlasst zu haben. "Ich bin in dieser Angelegenheit sehr entspannt", sagt sie. Und lächelt. Doch sollte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, wird sie ihren Posten räumen müssen. Es wäre ein harter Rückschlag. Vor allem für Macron.

ArcelorMittal steel workers dressed in protective work suits attend a national strike and protest against the government's labour reforms in Marseille

Eine von vielen Demonstrationen in Frankreich: Stahlarbeiter protestieren in Marseille gegen die Arbeitsmarktreform.

(Foto: Jean-Paul Pélissier/Reuters)

Von den Gewerkschaften hat Pénicaud nichts zu befürchten, bisher jedenfalls. Das verdankt sie just ihrem Vorleben als Personalmanagerin eines Konzerns. "Ich kenne mich aus in der Materie und ich kenne meine Verhandlungspartner schon", sagt sie. "Das schafft Vertrauen." In der Tat: Die Gewerkschaftsbosse zollen ihr öffentlich Respekt. Die meisten sahen es ihr sogar nach, als sie einen Mann vom Arbeitgeberverband Medef zu ihrem Stabschef machte. Bei der Arbeitsreform stellte sich allein die kommunistisch geprägte CGT gegen Pénicaud. Die gemäßigten Gewerkschaften zog sie dagegen mit kleinen Zugeständnissen geschickt auf ihre Seite.

Oft beruft sie sich auf Danone-Gründer Antoine Riboud, für den wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Fortschritt zusammengehörten. Bei dem Joghurtkonzern hat Pénicaud alle 100 000 Mitarbeiter weltweit mit einer Krankenversicherung versorgt - Jobabbau hin oder her. Auch als Ministerin, so beteuert sie, will sie Ribouds Leitsatz folgen. "Ich weiß, dass es viel schwieriger ist, ein Land zu verändern als ein Unternehmen", sagt sie. Aber die Idee ist die gleiche: Geben und Nehmen, Flexibilität und Schutz. Pénicaud will Frankreich von Protest- auf Dialogkultur umpolen. Dass sie gern verglichen wird mit dem umstrittenen deutschen Reformer Peter Hartz, der auch mal Personalchef bei einem großen Konzern war, findet sie nicht ehrrührig.

Energiegeladen, aber kontrolliert. Freundlich, aber bestimmt. So ist sie. Man kann sich vorstellen, dass sie eine nervenstarke Verhandlerin ist, die meist bekommt, was sie will. Sie ist ja nicht nur studierte Historikerin, sondern auch Psychologin. Und wenn sie ihren eigenen Stress abbauen muss, geht sie raus in die Natur und fotografiert Vögel. Das ist ihr Hobby. "Da braucht man Geduld - und darf den entscheidenden Augenblick nicht verpassen", erzählt Pénicaud. In ihrem Büro hat sie zwei große Schwarz-Weiß-Bilder von Vögeln aufgestellt, die sie gemacht hat.

Sie hat gefährliche Gegner

Sie kennt dieses Büro eigentlich schon lang. In den Neunzigern hatte sie als Personalexpertin den Sprung in das Team der damaligen sozialistischen Arbeitsministerin Martine Aubry geschafft. Aubry bescherte Frankreich die 35-Stunden-Woche - Pénicaud macht sie nun en passant zu Makulatur. "Man sagt, dass ich sie ausgebildet habe. Aber ich finde sie ziemlich missgebildet", ätzt Aubry über ihre Amtsnachfolgerin. Pénicaud sagt, so etwas treffe sie nicht.

Sie hat gefährlichere Gegner als ihre Ex-Mentorin: Vergangene Woche gingen landesweit 223 000 Menschen auf die Straße, diese Woche folgen neue Demos. Allmählich schwillt der Protest gegen Pénicaud an. "Wir weichen nicht zurück", sagt sie. Sie müsse sich nichts mehr beweisen. Habe nichts zu verlieren. Weder Demos noch vermeintliche Skandale sollen sie aufhalten - bei der "Verwandlung Frankreichs".

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