Französisches Defizit:Deutschland ist mit schuld an der Misere in Paris

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron (Foto: AFP)

Frankreich musste mehr neue Schulden machen als erwartet. Das liegt auch an der Bundesregierung: Sie rivalisiert mit dem Nachbarland statt gemeinsam am Erfolg der EU zu arbeiten.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Um nullkommazwei Prozentpunkte wird der französische Haushalt 2019 voraussichtlich über der erlaubten europäischen Neuverschuldungsgrenze liegen. Eine Winzigkeit, möchte man meinen; kein Anlass für ein großes Drama. Doch wer so kalkuliert, liegt falsch. Dass Frankreich entgegen allen Ankündigungen mehr neue Schulden machen muss als vorgesehen, ist eine niederschmetternde Nachricht. Für das Land selbst. Aber ebenso für Deutschland.

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU ist erneut daran gescheitert, wirtschaftlich zu Deutschland aufzuschließen. Statt dass sich der Abstand verringert zwischen der französischen Wirtschaft und dem Exportweltmeister, der seit Jahren ohne neue Schulden auskommt, wächst er weiter. Die nullkommazwei Prozentpunkte über dem Limit sind deshalb nicht bloß eine Rechengröße. Sie sind das Symbol, dass das gemeinsame Vorhaben, die Lebensverhältnisse innerhalb des Euro-Gebietes einander anzugleichen, auf dem besten Weg ist, krachend zu scheitern.

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Wer jetzt mit Häme über den geschrumpften Sonnenkönig Emmanuel Macron oder mit Vorwürfen wegen eines Regelverstoßes reagiert, verkennt den Ernst der Lage. Das französische Defizit hält der Bundesregierung den Spiegel vor. Zu sehen sind keine europäischen Partner, sondern nationale Konkurrenten.

Die deutsche Mitverantwortung an der Misere in Paris spiegelt sich in Zahlen wider

Die alte und die neue große Koalition in Berlin weigerten sich, die ausgestreckte Hand des französischen Präsidenten zu ergreifen. Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz lobten Macron für den Plan, das Defizit unter die erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Die Bitte des Franzosen, dies als Vertrauensbeweis zu sehen und gemeinsam die Euro-Zone zu reformieren, ließen sie fahrlässig abtropfen. Merkel tat nichts gegen den deutschen Handelsbilanzüberschuss. Sie warb weder für ein großes Investitionsbudget noch für einen Euro-Finanzminister. Macron verlor ein ums andere Mal. Dass man sich im Regierungsviertel jetzt freut, der Präsident sei gut in Visionen, man selbst aber im pragmatischen Umsetzen, zeigt, dass hier nationale Interessen vor europäischen stehen.

Sicher, jede Regierung ist zuerst ganz allein dafür verantwortlich, dass es wirtschaftlich gut läuft, dass reformiert wird und die Bürger am Wohlstand teilhaben. In einer Währungsunion sind aber die Probleme des einen Landes auch immer die der anderen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um die größten Ökonomien handelt.

Die deutsche Mitverantwortung für die Misere in Paris spiegelt sich in Zahlen wider. Bis zur Finanzkrise lagen die Volkswirtschaften etwa gleichauf. Danach ging es auseinander. Dies hatte vor allem einen Grund: In Deutschland wuchs der Niedriglohnsektor, die Reallöhne sanken. In Frankreich dagegen stiegen sie, inflationsbedingt und um die Höhe des Produktivitätszuwachses. Über die Jahre hat sich das in einen massiven Vorteil deutscher Unternehmen übersetzt. Deutschlands Exporte nach Frankreich sind doppelt so hoch wie die Importe aus Frankreich. Die Arbeitslosenrate hier liegt bei 3,4 Prozent, die in Frankreich bei 9,3 Prozent. Entsprechend ist die Stimmung.

Die Bundesregierung hat es am Montag vorgezogen zu schweigen. Lange wird sie sich das nicht leisten können. Spätestens dann, wenn Italien und Frankreich gemeinsam abdriften, muss Berlin die Bürger informieren, wie es weitergehen soll mit der Währungsunion. Oder ohne.

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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