Süddeutsche Zeitung

Haushaltspolitik:Macron opfert den Gelbwesten seine Ziele

Lesezeit: 3 min

Von Leo Klimm, Paris

Haushaltspolitische Verlässlichkeit - das sollte ein Markenzeichen Emmanuel Macrons gegenüber den EU-Partnern sein. Doch jetzt, inmitten der scharfen Proteste der Gelbe-Westen-Bewegung gegen die Wirtschaftspolitik des französischen Präsidenten, rückt Macron von seiner Defizitplanung ab.

Das heißt, der zuständige Budgetminister Gérald Darmanin tut es für ihn: Da die Regierung kostspielige Zugeständnisse macht, um wütende Demonstranten zu besänftigen, muss Darmanin das Ziel aufgeben, 2019 ein Staatsdefizit in Höhe von 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung auszuweisen - und lässt sogar erkennen, dass Frankreich den EU-Grenzwert von drei Prozent überschreiten könnte. "Ich bin kein Zahlenfetischist", sagt Darmanin. "Ob 2,9 oder 3,1 Prozent, das ist nicht so, dass auf der einen Seite die Hölle liegt und auf der anderen das Paradies." Anfang der Woche hatte die Regierung noch auf ein Defizit von maximal 2,8 Prozent gepocht.

Zu Beginn seiner Amtszeit 2017 hatte Macron die Einhaltung der EU-Stabilitätsregeln zur obersten finanzpolitischen Priorität erhoben. So wollte er nach zehn Jahren des Regelbruchs nicht zuletzt das Vertrauen der Bundesregierung in Frankreich zurückgewinnen. Auf dieser Grundlage wiederum stellte Macron weitgehende Forderungen nach einer Reform der Euro-Zone. 2017 hatte Frankreich die Neuverschuldung auf 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt; für 2018 ist derselbe Wert angepeilt. 2019 nun sollte das Minus kontrolliert auf 2,8 Prozent steigen, um Firmen zu entlasten. Die Aufgabe des Konsolidierungskurses dürfte Macron jetzt umso leichter fallen, da Berlin seine Euro-Zonen-Reformen in den vergangenen Monaten fast komplett abgeblockt hat.

Vor allem aber haben die heftigen, teils gewalttätigen Proteste der Gelbwesten den Präsidenten und seine Regierung massiv unter Druck gesetzt. Die Demonstranten fordern weniger Steuern und allgemein die Kaufkraft von Beziehern geringer und mittlerer Einkommen zu steigern. Mitte der Woche hat Macron einer ihrer Kernforderungen nachgegeben, indem er darauf verzichtet, eine Ökosteuer auf Sprit anzuheben.

Dennoch sind für diesen Samstag neue Proteste geplant. Dass die Demonstrationen zunehmend in Gewalt ausufern, ändert bisher wenig an der Unterstützung einer breiten Bevölkerungsmehrheit für die Gelbwesten. Mehr noch: Einer Umfrage des Instituts Elabe zufolge wünschen sich 69 Prozent der Franzosen, dass Macron seine Wirtschaftsreformen unterbricht. Nur acht Prozent sind der Meinung, er solle sein hohes Reformtempo fortsetzen. Seine Beliebtheitswerte erreichen wöchentlich neue Tiefstwerte. Auch das dürfte die Aufgabe des Defizitziels begünstigt haben.

Allein der Verzicht auf die Ökosteuer-Erhöhung bedeutet für den Staat 2019 Mindereinnahmen von vier Milliarden Euro. Das entspricht einer Defizitsteigerung um 0,2 Prozent. Hinzu kommen Ausgaben für Heizkostenzuschüsse und andere Hilfen, die von der Regierung schon zu Beginn der Gelbwesten-Krise zugesagt wurden.

Überraschend milde zeigt sich angesichts des höheren Defizits die EU-Kommission: Budgetminister Darmanin habe "nicht unrecht" mit seinem undogmatische Ansatz, sagt EU-Währungskommissar Pierre Moscovici - der selbst Franzose ist. Es sei nicht an Brüssel, Frankreich Vorgaben zum richtigen Umgang mit den Protesten zu machen.

Budgetminister Darmanin sucht Möglichkeiten, die Zugeständnisse zu kompenisieren

Immerhin sucht Darmanin nach Möglichkeiten, die Zugeständnisse an die Demonstranten teilweise zu kompensieren. Der Zeitung Les Echos zufolge könnten fehlende Milliarden bei Frankreichs Unternehmen wieder hereingespielt werden. Die Regierung diskutiere, eine 2019 geplante Senkung der Körperschaftsteuer auszusetzen. Auch eine Reduzierung der Sozialabgaben könnte verschoben oder ganz aufgegeben werden. Die umstrittene Reichensteuer wieder einzuführen, die Macron 2017 abgeschafft hatte, schließt der Präsident dagegen aus.

Vor den Protesten am Wochenende ging in Frankreich die Angst vor Gewaltexzessen um. Innenminister Christophe Castaner rief "vernünftige Gelbwesten" auf, nicht auf die Straße zu gehen. Er rechtfertigte die teils harten Polizeieinsätze - selbst solche gegen Gymnasiasten, die sich aus Protest gegen ein System zur Vergabe von Studienplätzen den Gelbwesten angeschlossen haben. Bilder aus Mantes-la-Jolie westlich von Paris hatten am Freitag für Empörung gesorgt. Darauf ist zu sehen, wie Polizisten etwa 150 Schüler festnehmen und dabei zwingen, auf die Knie zu gehen und die Arme hinter dem Kopf zu verschränken. Castaner warf den Schülern vor, sich mit Eisenstangen und Baseballschlägern für schwere Gewalttaten gerüstet zu haben. Zugleich versprach er eine Untersuchung des umstrittenen Einsatzes.

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SZ vom 08.12.2018
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