Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Gegen Macrons Reformen scheint Widerstand zwecklos

Lesezeit: 3 Min.

Von Markus Balser, Berlin, und Leo Klimm, Paris, Berlin/Paris

Die Mitarbeiter von SNCF können demonstrieren und streiken, so viel sie wollen. Emmanuel Macron hat die grundlegende Reform der französischen Staatsbahn, an der vor ihm andere Präsidenten gescheitert waren, einfach durchgezogen. Und das so kompromisslos und schnell, dass Frankreichs Medien gar das unschöne deutsche Wort vom "Blitzkrieg" bemühen. Am Donnerstag wurde die Reform kaum vier Monate nach ihrer Ankündigung vom Parlament verabschiedet. Die kampferprobten Bahn-Gewerkschaften halten ihren Streikaufruf zwar aufrecht, doch sie haben die Machtprobe mit Macron verloren.

Der Präsident zieht schon weiter - auf die nächsten konfliktträchtigen Felder, auf denen er seinen wirtschaftspolitischen Veränderungseifer ausleben kann: Am Mittwoch leitete Macrons Regierung den Verkauf von Staatsbeteiligungen ein; der Präsident selbst skizzierte eine Modernisierung des französischen Sozialsystems, das er als "ineffizient" kritisiert. Nichts hasst Macron mehr als Ineffizienz.

"Wir stecken irre viel Kohle in Sozialleistungen", sagt der Staatschef flapsig in einem Onlinevideo. "Aber die Leute bleiben trotzdem arm, kommen da nicht raus." Dabei schwingt noch eine Botschaft mit: Der "Präsident der Reichen", wie seine Kritiker von links und ganz rechts ihn schmähen, hält unbeirrbar fest an seinem moderat-liberalen Kurs, der Frankreich auf etwas weniger Staat und etwas mehr Markt ausrichtet. Nach der Reform ist vor der Reform. Widerstand zwecklos.

Das erste Amtsjahr des jungen Präsidenten war geprägt von der umstrittenen Lockerung des Arbeitsrechts und von Steuererleichterungen besonders für Vermögende. Doch den Status als wahrhaftiger Großreformer, der aller Welt die oft bezweifelte Modernisierungsfähigkeit seines Landes beweist, soll ihm jetzt der symbolstarke Sieg gegen die Bahn-Gewerkschaften verschaffen. Denn die zählen zu den mächtigsten Interessengruppen Frankreichs. Dass es ihnen in diesem Konflikt nicht gelang, die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen, dürfte Macron als Ermutigung zu weiteren Reformen ansehen.

Der beamtenähnliche Status der Bahner soll abgeschafft werden

Ohne Mühe setzte seine Regierung den Plan durch, der SNCF wettbewerbsfähiger machen soll: Nach Vorbild der deutschen Bahnreform in den Neunzigern nimmt der Staat dem Unternehmen einerseits einen Großteil der Schulden ab - sage und schreibe 35 Milliarden Euro. Zugleich verspricht die Regierung eine Erhöhung der Investitionen, besonders in den maroden Nahverkehr. Erst am Mittwoch legte eine Riesenpanne wieder einmal den Betrieb in einem Pariser Bahnhof lahm. Auf der anderen Seite verordnet Macron die Umwandlung von SNCF in eine staatlich beherrschte Kapitalgesellschaft. Außerdem erhalten neu eingestellte Mitarbeiter von 2020 an nicht mehr den beamtenähnlichen Bahner-Status, der etwa eine Vorzugsrente beinhaltet.

Und vor allem: Frankreich beugt sich nach langer Verzögerungstaktik dem europarechtlichen Zwang, seinen Schienenmarkt für SNCF-Wettbewerber zu öffnen. Zwar wird sich die Liberalisierung in manchen Regionen bis ins Jahr 2033 hinziehen. In anderen Gegenden, wie der Grenzregion zu Deutschland und der Côte d'Azur, soll der Wettbewerb schon 2020 starten. Das schafft Chancen für SNCF-Rivalen - etwa für die Deutsche Bahn und deren Auslandstochter Arriva.

Seit Jahren wartet man in der Berliner Konzernzentrale auf Zugang zum Milliardenmarkt Frankreich. Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz hatte bereits im März angekündigt, sein Unternehmen werde sich dort als Erstes den Regional- und Nahverkehr ansehen. Die Fernstrecken, wo SNCF mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV fährt, sind für die Deutschen zweitrangig. Am Mittwoch nun teilt die Bahn diplomatisch-gewunden mit, Frankreich sei "ein großer und interessanter Markt. Wir werden uns die Umsetzung der Pläne der französischen Regierung genau ansehen". Im französischen Güterverkehr ist der Konzern schon aktiv. Gemeinsam mit SNCF betreibt die Bahn zudem die Hochgeschwindigkeitszüge von und nach Frankreich.

Macron forciert indes nicht nur die Liberalisierung des Schienenverkehrs. Sein Finanz- und Wirtschaftsminister präsentiert Pläne zur Auflösung der Kontrollmehrheit am Pariser Flughafenbetreiber ADP. Bei einem Besuch des Unternehmens am Mittwoch wird er dafür von den Mitarbeitern ausgebuht. Wie die SNCF-Beschäftigten sorgen sie sich um arbeitsrechtliche Vorteile. Le Maire versucht zu beruhigen. Und er argumentiert ganz grundsätzlich: Er wolle "den Rang der Unternehmen und des Staates in der französischen Wirtschaft neu definieren". Nächste Woche bringt der Minister ein Gesetz ein, mit dem die Regierung von 2019 an neben ADP-Aktien auch Anteile am Gasversorger Engie und am Glückspiel-Monopol Française des Jeux verkaufen kann. Die erwarteten Milliardenerlöse sollen im Sinne von Macrons Effizienz-Doktrin besser verwendet werden - etwa für Schuldenabbau und für einen Innovationsfonds.

Der Präsident selbst hält währenddessen im südfranzösischen Montpellier eine Grundsatzrede zur Sozialpolitik. Zuletzt war er sogar von drei Ökonomen kritisiert worden, die 2017 an seinem Wahlprogramm mitgearbeitet hatten: Macrons Politik lasse es an "sozialem Ausgleich" fehlen. Sie ähnle zu sehr einem "klassischen Programm an Strukturreformen, das Wohlhabende begünstigt".

Der Staatschef gibt sich am Mittwoch prompt sozial, kündigt die volle Erstattung bestimmter Gesundheitskosten an. Doch er verteidigt zugleich seine Linie. Er wolle "die Status-Gesellschaft umstürzen", sagt Macron. Frankreichs Sozialsystem habe mit vielen Sonderregeln und Extrahilfen Ungleichheit nicht verhindert, sondern zementiert. "Die Lösung ist nicht, noch mehr Geld auszugeben", sagt Macron. Zurzeit lässt er das weit verzweigte Geäst staatlicher Leistungen - die nicht nur Bedürftigen und Langzeitarbeitslosen, sondern auch vielen Arbeitgebern zugutekommen - auf seine Wirksamkeit hin prüfen.

Sollte Macron sich tatsächlich daran wagen, Sozialleistungen und Subventionen zu kürzen, könnte der Widerstand allerdings heftig ausfallen. Weit heftiger als bei SNCF. In irgendeiner Form profitieren viele Franzosen von Staatsgeld; nur 40 Prozent, ergab eine Umfrage jüngst, sind der Meinung, es gebe zu viel davon. Die vielleicht größte Herausforderung schiebt Macron aber auf 2019 auf. Dann will er zwei besonders heikle Reformen angehen: die der Rente und die des öffentlichen Diensts. Spätestens dann zeigt sich, wie stark der Reformer Macron wirklich ist.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2018
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