Seit Jahren wartet man in der Berliner Konzernzentrale auf Zugang zum Milliardenmarkt Frankreich. Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz hatte bereits im März angekündigt, sein Unternehmen werde sich dort als Erstes den Regional- und Nahverkehr ansehen. Die Fernstrecken, wo SNCF mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV fährt, sind für die Deutschen zweitrangig. Am Mittwoch nun teilt die Bahn diplomatisch-gewunden mit, Frankreich sei "ein großer und interessanter Markt. Wir werden uns die Umsetzung der Pläne der französischen Regierung genau ansehen". Im französischen Güterverkehr ist der Konzern schon aktiv. Gemeinsam mit SNCF betreibt die Bahn zudem die Hochgeschwindigkeitszüge von und nach Frankreich.
Macron forciert indes nicht nur die Liberalisierung des Schienenverkehrs. Sein Finanz- und Wirtschaftsminister präsentiert Pläne zur Auflösung der Kontrollmehrheit am Pariser Flughafenbetreiber ADP. Bei einem Besuch des Unternehmens am Mittwoch wird er dafür von den Mitarbeitern ausgebuht. Wie die SNCF-Beschäftigten sorgen sie sich um arbeitsrechtliche Vorteile. Le Maire versucht zu beruhigen. Und er argumentiert ganz grundsätzlich: Er wolle "den Rang der Unternehmen und des Staates in der französischen Wirtschaft neu definieren". Nächste Woche bringt der Minister ein Gesetz ein, mit dem die Regierung von 2019 an neben ADP-Aktien auch Anteile am Gasversorger Engie und am Glückspiel-Monopol Française des Jeux verkaufen kann. Die erwarteten Milliardenerlöse sollen im Sinne von Macrons Effizienz-Doktrin besser verwendet werden - etwa für Schuldenabbau und für einen Innovationsfonds.
Der Präsident selbst hält währenddessen im südfranzösischen Montpellier eine Grundsatzrede zur Sozialpolitik. Zuletzt war er sogar von drei Ökonomen kritisiert worden, die 2017 an seinem Wahlprogramm mitgearbeitet hatten: Macrons Politik lasse es an "sozialem Ausgleich" fehlen. Sie ähnle zu sehr einem "klassischen Programm an Strukturreformen, das Wohlhabende begünstigt".
Der Staatschef gibt sich am Mittwoch prompt sozial, kündigt die volle Erstattung bestimmter Gesundheitskosten an. Doch er verteidigt zugleich seine Linie. Er wolle "die Status-Gesellschaft umstürzen", sagt Macron. Frankreichs Sozialsystem habe mit vielen Sonderregeln und Extrahilfen Ungleichheit nicht verhindert, sondern zementiert. "Die Lösung ist nicht, noch mehr Geld auszugeben", sagt Macron. Zurzeit lässt er das weit verzweigte Geäst staatlicher Leistungen - die nicht nur Bedürftigen und Langzeitarbeitslosen, sondern auch vielen Arbeitgebern zugutekommen - auf seine Wirksamkeit hin prüfen.
Sollte Macron sich tatsächlich daran wagen, Sozialleistungen und Subventionen zu kürzen, könnte der Widerstand allerdings heftig ausfallen. Weit heftiger als bei SNCF. In irgendeiner Form profitieren viele Franzosen von Staatsgeld; nur 40 Prozent, ergab eine Umfrage jüngst, sind der Meinung, es gebe zu viel davon. Die vielleicht größte Herausforderung schiebt Macron aber auf 2019 auf. Dann will er zwei besonders heikle Reformen angehen: die der Rente und die des öffentlichen Diensts. Spätestens dann zeigt sich, wie stark der Reformer Macron wirklich ist.