Nach der Wahl:Frankreich könnte zum Problemfall für Europa werden

Nach der Wahl: Anhänger des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach Bekanntgabe der ersten Wahlprognosen am Sonntag. Macron konnte sich bei der Stichwahl durchsetzen.

Anhänger des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach Bekanntgabe der ersten Wahlprognosen am Sonntag. Macron konnte sich bei der Stichwahl durchsetzen.

(Foto: Thibault Camus/AP)

Emmanuel Macron liebt das Geldausgeben. Die EU-Kommission stört das wenig. Der Stabilitätspakt erscheint - um es mit dem französischen Präsidenten zu sagen - "hirntot".

Kommentar von Michael Kläsgen

Natürlich ist es für Deutschland und Europa eine gute Nachricht, dass nicht das rechtsradikale Irrlicht Marine Le Pen Staatsoberhaupt Frankeichs geworden ist. Der Pro-Europäer Emmanuel Macron ist eindeutig die bessere Wahl. Wirtschaftspolitisch darf man sich allerdings keine Illusionen machen. Macron ist nicht der große Reformer, als der er im Ausland gern gesehen wird - und vor allem hat er es mit dem Sparen nicht so.

Er hat zwar eine Vielzahl von Reformen angestoßen, doch letztlich wenig positiv verändert. Im Gegenteil: Es erwies sich als ausgesprochen ungeschickt, vor fünf Jahren als Erstes die Vermögensteuer zu kippen. Das war haushaltspolitisch überflüssig - die Steuer bringt dem Staat kaum was -, politisch-taktisch war es geradezu töricht. Seitdem gilt Macron in großen Teilen der Bevölkerung als "Präsident der Reichen", und seine Handlungsoptionen sind stark beschränkt.

Sein zweiter großer Fehler war, im Übermaß mit Geld um sich zu werfen, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Ja, Kredite bereitzustellen, war richtig. Macron jedoch verlor dabei jedes Augenmaß und missachtete, dass Frankreich bereits vor Ausbruch der Krise hoch verschuldet war. Er berieselte nicht nur wahllos alle Wirtschaftszweige mit großen Summen, sondern weitete noch die Sozialleistungen aus. Damit erhöhte er die Staatsverschuldung Frankreichs um 600 Milliarden Euro. Bisher toppte das nur ein französischer "Reformer" vor ihm: Nicolas Sarkozy. Der Schuldenstand des Landes liegt heute bei fast 115 Prozent des Bruttoinlandprodukts, also meilenweit von den Zielen des EU-Stabilitätspakts entfernt.

In Zeiten billigen Geldes und hohen Wachstums wäre das ein geringeres Problem. Doch die Welt und auch Frankreich rutschen in eine Phase schwachen Wirtschaftswachstums. Gleichzeitig ist absehbar, dass die Zinsen steigen werden. Frankreich erinnert immer mehr an Italien. Pläne zur Haushaltskonsolidierung sind derzeit nicht sichtbar. Vielmehr will Macron die Ausgaben weiter massiv erhöhen.

Frankreich sonnt sich in der Lebenslüge, die Atomenergie sei umweltfreundlich

So will er weiter die Energiekosten der Bürger subventionieren und die Spritpreise rabattieren. Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Denn damit finanziert er in Zeiten aufkommender Stagflation den Privatkonsum und riskiert, die Inflation weiter anzuheizen. Und zweitens konterkariert er damit eine auch in Frankreich notwendige Energiewende hin zur Klimaneutralität.

Die richtige Alternative wäre, die Menschen zu einem geringeren Energiekonsum anzuleiten und sie weg vom Fahrzeug mit Verbrennungsmotor zu lotsen. Dazu dient in vielen Ländern eine Kohlendioxidsteuer. Die plante Macron auch einmal, beerdigte sie aber nach den "Gelbwesten"-Protesten und grub sie nie wieder aus - ein weiterer Fehler. Stattdessen sonnt sich Frankreich in der Lebenslüge, die Atomenergie sei umweltfreundlich.

Weil Frankreich diese Fehleinschätzung auch in der EU erfolgreich vertritt, leitet es die Union auf einen falschen Kurs. Schlimmer für Europa und die jüngere Generation ist Frankreichs Haushaltspolitik. Wegen seiner innenpolitischen Ungeschicklichkeit wird es Macron bald mit einer Opposition zu tun haben, bei der es zum Geldausgeben gar keine Alternative geben wird. Schon jetzt reagieren die Finanzmärkte nervös darauf.

Die EZB steht vor eine Bewährungsprobe

Frankreich droht damit zum Problemfall in der EU zu werden. Dem zweitgrößten Land der EU scheinen die öffentlichen Finanzen weitgehend egal zu sein. Für die Haushaltsdisziplin aller anderen Mitgliedsländer ist das ein fatales Signal. Der EU-Stabilitätspakt erscheint, um es mit Macron zu sagen, "hirntot".

Die EU-Kommission stört das offenbar wenig. Die Europäische Zentralbank könnte das zumindest pro forma vor ein Dilemma stellen. Sie müsste aus deutscher Sicht die Zinsen erhöhen, aus französischer und italienischer Sicht eben das aber tunlichst vermeiden. Das stellt nicht nur die EZB vor eine Bewährungsprobe, sondern auch die deutsch-französischen Beziehungen vor neue Herausforderungen.

Schade, Frankreich hat sich wieder in eine Sackgasse manövriert. Das Land hätte alles, um zu glänzen: gut ausgebildete Menschen, die Infrastruktur, die Technik, die Ambition, das Potenzial. Doch wieder schlägt es ökonomisch den Weg der Selbstverzwergung ein.

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