Nach der Wahl:Rutscht Frankreich in die Schuldenkrise?

Nach der Wahl: Anhänger von Emmanuel Macron warten darauf, dass der wiedergewählte französische Präsident zu ihnen spricht. Macron kündigt neue Staatsausgaben an.

Anhänger von Emmanuel Macron warten darauf, dass der wiedergewählte französische Präsident zu ihnen spricht. Macron kündigt neue Staatsausgaben an.

(Foto: Rafael Yaghobzadeh/AP)

Ökonomen sorgen sich, dass der alte und neue Präsident Macron zu viele Schulden macht. Eine Gefahr ist, dass ausländische Kreditgeber dem Land den Rücken kehren.

Von Michael Kläsgen, Paris

Marcel Fratzscher jedenfalls gibt sich tiefenentspannt. Eine Staatsverschuldung von fast 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Frankreich und geplante Milliardenausgaben trotz aktueller weltwirtschaftlicher Gefahren durch Ukraine-Krieg und Inflation? Das alles kann den Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht aus der Ruhe bringen.

"Haushaltsdisziplin kann in Zeiten von Klimawandel, Krieg, Pandemie und digitaler Transformation nicht weniger Staatsausgaben bedeuten, sondern erfordert eine deutliche Erhöhung von Zukunftsinvestitionen", sagt er. Nur: Wofür Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macrons jetzt Geld ausgeben will, das sind eher keine Zukunftsinvestitionen. Kurz nach seiner Wiederwahl am Sonntag kündigte er weitere Subventionen für Auto- und Lkw-Fahrer an. Und Lebensmittelschecks für die ärmsten acht Millionen Bürger sind auch im Gespräch. Diese Art von Ausgaben könnten die Inflation weiter anheizen.

In Frankreich selbst ist auch deshalb eine ganze Reihe von wirtschaftsliberalen Ökonomen wesentlich weniger relaxed. "Frankreich ist nicht das am höchsten verschuldete Land der Euro-Zone, aber unter den am höchsten verschuldeten Ländern hat es einen der höchsten Anteile an Schulden, die von nicht in Frankreich Ansässigen gehalten werden", sagt Agnès Verdier-Molinié, Chefin des Pariser Thinktanks Ifrap. Also etwa von ausländischen Banken. Sie halten laut Verdier 47,8 Prozent der Schulden, trotz der von der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgeführten Anleihekäufe. In der Schuldenkrise um Griechenland vor gut zehn Jahren hatten sich hohe Anteile ausländischer Gläubiger als problematisch erwiesen. Denn diese Kreditgeber trennen sich leichter von ihren Anteilen als heimische Gläubiger. Das kann auch in Frankreich geschehen, auch wenn es dafür noch keine Anzeichen gibt.

Frankreich könnte diesmal eindeutig zur südlichen Zone gehören

Hinzu kommt allerdings, dass Frankreich zu den Ländern mit den meisten Anleihen zählt, deren Zinssatz mit der Inflation steigt. Laut EZB waren das im März 223,5 Milliarden Euro, etwa neun Prozent des Bruttoinlandprodukts. "Wenn die Zinsen steigen, wird das die jährlichen Kosten für die Schuldenlast automatisch in die Höhe treiben, mit dem Risiko, dass diese Kosten unendlich hoch werden", sagt Verdier.

Die Gefahr für die Euro-Zone bestehe darin, dass sie wie vor gut zehn Jahren in zwei Zonen zerfalle, eine nördliche mit relativ wenig Schulden und größerer Haushaltsdisziplin. Und eine südliche Zone mit hoch verschuldeten Ländern, deren Zinsen explodieren. Mit einem nach Ansicht von Verdier wichtigen Unterschied: "Frankreich gehört diesmal zur südlichen Zone, obwohl es zusammen mit Deutschland die zweite Säule der Währungsunion bildet."

Damit es nicht so weit kommt, müsste Macron eigentlich nach Ansicht mancher Ökonomen die Steuern erhöhen. Das sieht der Franzose Patrick Artus genauso wie Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). "Eine breite Kompensation für die Kaufkraftverluste ist nicht finanzierbar und noch dazu energiepolitisch falsch, weil Anreize für einen geringeren Verbrauch konterkariert werden", sagt er. Macrons Rechnung werde nur aufgehen, wenn er die Angebotsbedingungen in Frankreich weiter verbessere und für höheres Wachstumspotenzial sorge.

Danach sieht es aber im Moment nicht aus. Im Juni stehen Parlamentswahlen an, und nach gegenwärtigem Stand muss Macron dann mit einer extrem linken oder extrem rechten Mehrheit im Parlament regieren, die alle Sparbemühungen, wenn es sie denn gäbe, blockieren könnte. Ein solches Szenario, Präsident regiert mit Opposition, "würde sowohl eine Senkung der Staatsausgaben - einer der blinden Flecken in der ersten Amtszeit von Emmanuel Macron - als auch eine nennenswerte Rentenreform in Richtung einer längeren Beitragszeit sehr erschweren", sagt Charles-Henri Colombier, Ökonom des Forschungszentrums Rexecode.

"Deutschland sollte seine Hausaufgaben erledigen und nicht andere belehren."

Bis auf die Rentenreform, deren Umsetzung in den Sternen steht, macht Macron aber im Moment überhaupt keine Anstalten zu sparen. Heinemann wertet das als "klare Absage an den Stabilitätspakt in seiner bisherigen Form". Der Pakt wurde geschaffen, um den Euro-Raum vor weiteren Schuldenkrisen zu schützen. "Macron weiß genau, dass er bei der EU-Kommission nach dem Wahlsieg gegen Le Pen Narrenfreiheit besitzt", sagt Heinemann. Weil Italiens Regierungschef Mario Draghi und Macron sich weitgehend einig seien, "den Stabilitätspakt nicht wieder aktivieren zu wollen, ist auf absehbare Zeit nicht mehr mit Druck zur Haushaltdisziplin aus Brüssel zu rechnen".

Im Ergebnis sieht das auch Fratzscher so, nur dass er die Entwicklung gutheißt. "Der EU-Stabilitätspakt ist schon seit einiger Zeit nicht mehr angemessen und zielführend, er muss grundlegend reformiert werden", sagt er. Er hält Zukunftsinvestitionen und Nachhaltigkeit für genauso wichtig wie Schuldenhöhen - und deshalb Deutschland für kein Vorbild. Der DIW-Chef empfiehlt der Bundesregierung, Zurückhaltung gegenüber dem Partner links des Rheins walten zu lassen. "Deutschland sollte seine eigenen Hausaufgaben erledigen und nicht andere belehren." Ökonominnen wie Angès Verdier-Molinié wird das kaum beruhigen. Sie sieht ein "reales Risiko einer Schuldenkrise, die zu außergewöhnlichen Steuern führen könnte". Aber das Gute am Schlimmsten ist ja, dass es nicht unbedingt eintreten muss.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: