Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Frankreich und Deutschland wollen ein neues Kartellrecht

  • Frankreich und Deutschland streben nach der gescheiterten Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom eine Änderung des EU-Wettbewerbsrechts an.
  • Le Maire will, dass die EU künftig die Gefahr marktbeherrschender Stellungen fusionierter Unternehmen im Weltmaßstab beurteilt, nicht im europäischen.
  • Auch EU-Wettbewerbskommissarin Vestager sagt: "Wir brauchen eine Änderung unserer Wettbewerbsregeln."

Von Leo Klimm, Paris, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist eine große Niederlage - nicht nur für Siemens und Alstom, sondern auch für die Regierungen von Deutschland und Frankreich. Die EU-Kommission lehnte am Mittwoch offiziell die Fusion der Bahnsparten der zwei Konzerne ab. Die Reaktion, die aus Berlin und Paris darauf kommt, wirkt wie die Ankündigung einer Revanche: Die Wirtschaftsminister beider Länder verkünden unisono, sie strebten eine Änderung des strengen europäischen Wettbewerbsrechts an, das der Fusion von Siemens Mobility und Alstom jetzt im Weg stand. Nach französischer Vorstellung könnte das sehr weit gehen - und sogar zu einer Entmachtung der EU-Kommission führen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagt, er wolle "für die Zukunft Zusammenschlüsse ermöglichen, die für die Wettbewerbsfähigkeit von Europa auf den internationalen Weltmärkten notwendig sind". Eine deutsch-französische Reforminitiative solle "zu einer zeitgemäßen Anpassung des europäischen Wettbewerbsrechts führen". Im Wettbewerb mit China und den USA müssten europäische Branchengrößen entstehen können, meint der Deutsche.

Sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire zeigt sich weniger diplomatisch. Mit ihrer Blockade des Zusammenschlusses werde "die EU-Kommission die industriellen Interessen Chinas bedienen", schimpft Le Maire. Für ihn versagt Brüssel dabei, Europas Wirtschaft zu verteidigen. Das Hauptargument, das Siemens, Alstom und die Minister seit Monaten für die Fusion ins Feld führen, ist die Konkurrenz des schnell wachsenden chinesischen Weltmarktführers CRRC. Deswegen will Le Maire, dass EU-Kartellentscheidungen künftig die Gefahr marktbeherrschender Stellungen fusionierter Unternehmen im Weltmaßstab beurteilen, und nicht vor allem im europäischen. Innerhalb der EU wären Siemens und Alstom zusammen bei der Bahntechnik dominant geworden.

Politisch brisant ist ein Vorschlag, den Le Maire am Mittwoch macht: Er will, dass die Staats- und Regierungschefs der EU ein Mitspracherecht bei Brüsseler Kartellentscheidungen erhalten. Faktisch läuft das darauf hinaus, eine der wichtigsten Befugnisse der EU-Kommission zu beschneiden. Solch ein politisches Vetorecht, heißt es in Le Maires Umfeld, rechtfertige sich "aus Gründen der europäischen Souveränität". Das Interesse der Verbraucher an Wettbewerb sei nicht alles.

In Brüssel lässt sich Margrethe Vestager von dieser Drohung nicht beeindrucken. Bislang läge gar kein französischer Vorschlag vor, sagt die EU-Wettbewerbskommissarin kühl. Es sei klar, dass Deutschland und Frankreich ein besonderes Interesse an der Fusion gehabt hätten. Aber es gebe noch 26 andere EU-Mitgliedsstaaten, die ihrerseits ein Interesse an einem funktionierenden Markt hätten. Und damit Bürger, die eben nicht wollten, dass "Preise steigen und Wettbewerb gehemmt wird", sagt Vestager. Für sie ist der Markt noch immer der beste Gradmesser für Fairness.

Nichtsdestotrotz zeigt sich die EU-Kommissarin offen für die von Altmaier und Le Maire angestoßene Reformdebatte. Der Fall Siemens-Alstom habe eines gezeigt, sagt Vestager: "Wir brauchen eine Änderung unserer Wettbewerbsregeln." Sie sei bereits dabei, eine "deutliche Empfehlung für die nächste EU-Kommission" auszuarbeiten, die nach der Europawahl im Mai gebildet werden soll.

Während zwischen Brüssel, Berlin und Paris über neue Wettbewerbsregeln gestritten wird, geben sich die Chefs der zwei betroffenen Konzerne am Mittwoch betont gelassen. Er nehme die Entscheidung der Kommission "zur Kenntnis", die "ein europäisches Leuchtturmprojekt" beende, sagt Siemens-Chef Joe Kaeser nüchtern. Derselbe Kaeser hatte Vestager noch vergangene Woche, als sich die Ablehnung schon abzeichnete, scharf angegriffen. Der Konzern will sich jetzt Zeit nehmen, die Optionen für seine Bahnsparte zu prüfen.

Es gibt auch Gewinner der gescheiterten Fusion

Und Alstom-Lenker Henri Poupart-Lafarge erklärt trotzig, wie kämpferisch er sei. Alstom könne sehr wohl auch allein am Markt bestehen. Poupart-Lafarge schließt nicht aus, Vestagers Beschluss anzufechten: "Aber das bringt nicht mehr, als die intellektuelle Befriedigung, nach Jahren juristisch Recht zu bekommen." Das Fusionsprojekt ist, so die Botschaft der zwei Chefs, gestorben - ganz egal, ob das Wettbewerbsrecht irgendwann zu ihren Gunsten verändert wird. Das wäre zu spät.

Von all dem wenig betrübt zeigen sich die Gewerkschaften. Die Entscheidung führe "nicht in die Katastrophe", sagt Jürgen Kerner, Mitglied im Vorstand der IG Metall und Siemens-Aufsichtsrat. Geradezu erleichtert reagieren die französischen Arbeitnehmervertreter: Vestagers Veto verhindere Stellenkürzungen, sagt ein Alstom-Gewerkschaftsfunktionär. "Alstom und Siemens sind zwei Unternehmen, die jede für sich weiterleben können." Dem EU-Wettbewerbsrecht sei dank.

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SZ vom 07.02.2019/lüü
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