Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Adieu, Reichensteuer

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Von Lilith Volkert

Gérard Depardieu, einer der beliebtesten Schauspieler des Landes, wird Russe. Fußballprofis drohen mit Streik. Der britische Premier will einen roten Teppich für die Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Nachbarland ausrollen. Als die französische Regierung 2012 ankündigt, Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro mit einer Steuer von 75 Prozent zu belegen, gerät das Blut vieler besserverdienender Bürger in Wallung.

Nun wird die "taxe à 75 pour cent" nur ein Jahr nach ihrer Einführung still und leise wieder beerdigt - und damit eines der wichtigsten Versprechen aus dem Präsidentschaftswahlkampf von François Hollande. "Am 1. Januar 2015 wird es diese Steuer nicht mehr geben", hatte Premierminister Manuel Valls Anfang Oktober in einer Rede in London angekündigt.

Dabei war es äußerst mühsam gewesen, die Steuer überhaupt durchzusetzen. Der Verfassungsrat kassierte den ersten Entwurf, unter anderem, weil er sich auf das Einkommen von Einzelpersonen bezog, in Frankreich aber das Einkommen von Haushalten Bemessungsgrundlage ist. Dies umging Hollande, indem er die Unternehmen - und nicht die Arbeitnehmer - Steuern auf Gehälter über eine Million Euro zahlen lässt.

Etwa tausend Personen sollen davon betroffen sein. Dem Fiskus hat das bisher etwa 300 Millionen Euro eingebracht, 200 Millionen weniger als erwartet. Gerade einmal 0,5 Prozent der gesamten Einnahmen aus der Einkommenssteuer.

Zwar war die Reichensteuer von vornherein nur auf zwei Jahre angelegt. Dass sie nun auslaufen soll, zeigt, wie deutlich sich Frankreichs Wirtschaftspolitik im vergangenen Jahr verändert hat. Einen Monat nach Einführung der Abgabe, Ende Januar 2014, verkündet Hollande einen "Verantwortungspakt" mit den Unternehmen - eine radikale Kehrtwende des Sozialisten hin zu einer arbeitgeberfreundlicheren Politik. Für viele Parteigenossen Hollandes ist das ein krasser Verrat sozialistischer Ideale.

Mit Reichensteuer sei Frankreich "wie Kuba ohne Sonne"

Im August wirft Hollande den linken Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg aus seinem Kabinett, weil dieser offen gegen den Sparkurs der Regierung rebelliert. Dessen Nachfolger Emmanuel Macron soll über die Reichensteuer gelästert haben: Mit ihr sei Frankreich "wie Kuba ohne Sonne".

Bisher haben Hollandes Bemühungen wenig bewirkt. Auch wenn aktuelle Zahlen vage Hoffnung auf einen Aufschwung wecken, bleibt die Stimmung trübe. Das Wachstum stagniert, die Arbeitslosigkeit verharrt bei zehn Prozent, Frankreich wird 2015 zum dritten Mal gegen den EU-Stabilitätspakt verstoßen. Bisher hat die EU von Strafzahlungen allerdings abgesehen.

Doch wie genau sich die Situation bessern, mit welchen konkreten Schritten der Haushalt saniert werden soll, ist völlig unklar. Weniger Geld auszugeben ist schwierig: Bei einschneidenden Reformen und Budgetkürzungen sieht sich der Präsident sofort dem Druck der Straße ausgesetzt.

Und mehr Geld einzunehmen scheint kaum möglich angesichts Hollandes neuen Versprechens: Der Präsident, der seit seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren mehr als 80 neue Abgaben eingeführt hat, will bis 2017 keine einzige Steuer mehr erhöhen. Dass er sich daran hält, glauben allerdings die wenigsten Franzosen, das Vertrauen in den Präsidenten ist seit langem dahin.

Die Wirtschaftszeitung Les Echos erinnert das Ganze an eine Comic-Szene, die nahezu jeder Franzose kennt: Das Steuerversprechen sei für Hollande wie das Pflaster, das dem cholerischen Kapitän Haddock in "Tim und Struppi" zu schaffen mache. Egal, wie sehr er mit dem klebrigen Ding kämpfe, er wird es einfach nicht los.

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