Süddeutsche Zeitung

Frankfurt:Deutsche Bank muss Krisen-Szenario durchrechnen

  • Die EZB-Bankenaufsicht hat die Deutsche Bank angewiesen, die möglichen Kosten einer Abwicklung des riskanten Handelsgeschäfts durchzurechnen.
  • Es ist das erste Mal, dass die Behörde bei einer europäischen Großbank eine solche Maßnahme anordnet.
  • Dass die Bankenaufsicht die Deutsche Bank ausgewählt hat, ist wohl kein Zufall. Sie gilt wegen ihrer komplexen Geschäfte als eines der gefährlichsten Finanzinstitute der Welt.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Es war eine ungewöhnliche Anordnung, die die Europäische Bankenaufsicht der Deutschen Bank vor einigen Monaten gegeben hat. Das Kreditinstitut solle ein Szenario durchspielen, in dem die möglichen Kosten für die Abwicklung des riskanten Handelsgeschäfts berechnet werden. Die Bank steckt nun mitten drin in den komplizierten Berechnungen, deren Abschluss noch einige Zeit dauern wird. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist es das erste Mal, dass die Behörde bei einer europäischen Großbank diese Maßnahme angeordnet hat.

Zwar bemühen sich nun beide Seiten, den Vorgang kleinzureden. Die EZB teilte mit, die Aufsicht gebe Banken generell viele Aufgaben. Die Deutsche Bank sagte, man berechne für Regulatoren routinemäßig "die Konsequenzen einer geordneten Abwicklung von Positionen in unseren Handelsbüchern". Dennoch dürfte es kein Zufall sein, dass die EZB gerade die Deutsche Bank ausgewählt hat. Sie ist das größte Kreditinstitut der Euro-Zone. Außerdem gilt die Deutsche Bank aufgrund ihrer komplexen Geschäfte als eines der gefährlichsten Finanzinstitute der Welt. Eine Abwicklung könnte das globale Finanzsystem destabilisieren.

Die Bankenaufseher möchten deshalb wissen, wie sich der Wert des Kapitalmarkt- und Derivategeschäfts bei der Deutschen Bank entwickeln würde, wenn sie als solvente Bank ein abruptes Ende des Neugeschäfts simuliert. Es geht nicht darum, die Abwicklung im Fall einer Pleite zu simulieren, was um ein Vielfaches teurer und schwieriger wäre.

Die Ratingagentur S&P prüft eine Herabstufung der Bonität

Bei der Maßnahme spricht man vom "Wind down cost review", was sich mit Abwicklungskostenprüfung übersetzen lässt. Sie ist Ausfluss neuer EU-Gesetze, die eine Abwicklung von Banken ohne Einsatz von Steuergeldern ermöglichen sollen. Amerikanische und britische Aufsichtsbehörden haben ähnliche Prüfungen bereits auch bei anderen Banken durchgeführt. So hat die Bank of England die Kosten für den theoretischen Abwicklungsfall bei der britischen Tochtergesellschaft der Deutschen Bank durchgerechnet. Die aktuelle Prüfung der EZB geht allerdings weit über die Übung der Briten hinaus. An deren Ende dürfte man auch Aufschluss darüber erhalten, ob die Deutsche Bank aus dem Investmentbanking aussteigen könnte, ohne Staatsgarantien oder gar deutsche Steuergelder in Anspruch zu nehmen.

Die EZB wird später wohl auch andere europäische Großbanken beauftragen, ihre Abwicklungskosten zu berechnen. Von daher wirkt diese Maßnahme wie ein Teil des normalen Aufsichtsprozesses. Gleichwohl ist die Sache für die Deutsche Bank besonders heikel, denn es könnte der Eindruck entstehen, die Aufsicht sehe das Geldhaus unmittelbar in Gefahr. Zwar ist die Bank spätestens nach der Kapitalerhöhung im vergangenen Jahr vergleichsweise auskömmlich mit Eigenkapitalreserven ausgestattet. Eine Schieflage droht daher nicht. Zumindest mit Blick auf den Aktienkurs, der seit Jahresanfang von 16 auf zwölf Euro gefallen ist, wirkt die Lage des Instituts aber weiterhin fragil. Die Ratingagentur S&P drohte vergangene Woche mit einer eventuellen Herabstufung der Bonität. Hintergrund sei der vorige Woche überraschend erfolgte Chefwechsel. Christian Sewing hat in einer Übernachtaktion den Briten John Cryan an der Vorstandsspitze beerbt. Die Ratingagentur befürchtet, dass die Sanierung des Geldhauses noch teurer wird und sich weiter hinzieht.

Die Aufseher haben die Investmentbank der Deutschen Bank schon lange im Blick. Vor allem die Risiken der Derivate gelten als beträchtlich und von außen als schwer einzuschätzen. Einige dieser Wertpapiere sind an den Finanzmärkten gar nicht handelbar. Daher gibt es keinen Marktpreis. Die Bank schätzt den Wert dieser Derivate auf Basis von Modellen. Da kann man auch mal danebenliegen.

Die G- 20-Staaten haben nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 recht zügig entschieden, die Regeln für Banken zu verschärfen. Mittlerweile müssen vor allem Großbanken, deren Kollaps das globale Finanzsystem destabilisieren könnte, viel mehr Eigenkapital als Verlustpuffer zurücklegen. Eine chaotische Situation wie nach der Pleite von Lehman Brothers 2008 soll künftig vermieden werden. Die EU hat mit dem Einheitlichen Abwicklungsausschuss SRB eine eigene Abwicklungsbehörde gegründet. Banken müssen dort ihre Abwicklungspläne einreichen, in denen ein geordnetes Ende der Bank oder eines Teils durchgeplant wird. Man spricht vom Banken-Testament. Auch die Deutsche Bank hat ein solches verfasst. Nun will die Bankenaufsicht auch noch die möglichen Kosten der Abwicklung des Handelsgeschäfts erfahren.

Ein renommierter Analyst regte bereits eine Aufspaltung des Finanzkonzerns an

Es kommt relativ häufig vor, dass Bereiche von Banken abgewickelt werden müssen. Dem geht auch nicht unbedingt eine Pleite voraus. Solche Aktionen sind nötig, wenn Banken Teile ihres Geschäfts, zum Beispiel die Finanzierung von Schiffen oder Immobilien, beenden wollen. Sei es, weil dies nicht mehr zur Strategie passt oder man dort keine großen Chancen vermutet. Der einfache Weg, sich von Bereichen zu trennen, ist der Verkauf, was oft aber nur mit Verlusten möglich ist. Günstiger kann es sein, das Neugeschäft einzustellen, die Kredite oder Wertpapiere auslaufen zu lassen und über viele Jahre die Zinsen oder Dividenden einzustreichen. Nach der Finanzkrise schoben viele Banken faule Kredite in interne Bad Banks. Fallen weniger Kredite aus als befürchtet, können solche Bad Banks am Ende sogar mit Gewinn aufgelöst werden.

Bei der Deutschen Bank gibt es derzeit keine Pläne, das Handelsgeschäft abzuwickeln, denn das wäre eine völlige Abkehr von der bisherigen Strategie einer globalen Universalbank mit großem Investmentbanking. Es wäre auch riskant und teuer, weil es Milliarden kosten würde, die rund 10 000 Mitarbeiter abzufinden.

Dennoch wird das Szenario einer Abwicklung des Handelsgeschäfts durchgespielt. Der renommierte Analyst Stuart Graham von Autonomous Research, ein ausgewiesener Kenner der Deutschen Bank, hatte im vergangenen Jahr eine Aufspaltung des Finanzkonzerns angeregt. Das Handelsgeschäft solle an Chinesen verkauft oder abgewickelt werden. Letzteres würde die Bank ungefähr 26 Milliarden Euro kosten; eine Summe, die unglaublich hoch klingt, die das Geldhaus seiner Ansicht nach aber verkraften könnte.

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SZ vom 16.04.2018/jps
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