Süddeutsche Zeitung

Frankfurt:Angriff eines Geld-Giganten

Mit Vanguard drängt eine der mächtigsten Investmentfirmen nach Deutschland. Etablierte Vermögensverwalter geraten so noch mehr unter Druck

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Das Städtchen Malvern in Pennsylvania könnte ein ganz normaler Vorort sein, wie es so viele gibt in den USA. Etwa 3000 Einwohner, ein paar Kirchen, ein paar kleine Geschäfte, wenig Aufregung. Aber Malvern ist ein außergewöhnlicher Ort. Dort, eine gute halbe Autostunde nordwestlich von Philadelphia, residiert eine der mächtigsten Firmen der Finanzindustrie, einer der größten Gewinner der Finanzkrise, eine Firma, die der Welt des Geldes eine der wichtigsten Veränderungen seit dem Zweiten Weltkrieg gebracht hat.

Es ist die Firma von John Bogle, 88, einer Investoren-Legende, dessen Selbstverständnis bis heute das Unternehmen prägt, obwohl er längst nicht mehr Chef ist. Schon 1951 beschrieb Bogle in seiner Abschlussarbeit an der Elite-Universität Princeton ein Phänomen, das später für seinen Erfolg ausnutzte. Die meisten Fondsmanager schnitten damals schon schlechter ab als US-Index S&P 500. Lief ein Fonds doch einmal besser als der Markt, machten meist die hohen Gebühren die Rendite wieder zunichte. "Der Aktienmarkt ist ein Spiel für Verlierer", blieb immer eines seiner Mottos.

Fast ein Vierteljahrhundert später gründete Bogle Vanguard, 1975, als den Finanzmärkten die Computerisierung erst noch bevorstand. Kurz danach legte er den ersten Indexfonds auf. Zum ersten Mal entschied nicht mehr ein Manager, welche Wertpapiere er kauft. Der Fonds bildete einfach nur den S&P 500 nach. Stieg dieser, stieg auch der Wert des Fonds, und umgekehrt. Aus dieser anfangs skeptisch beäugten Idee hat sich mit den Jahren eine Multi-Billionen-Industrie entwickelt, die immer mehr Geld von Investoren einsammelt. Vanguard gilt derzeit als stärkster Geld-Magnet der Welt.

Allein Vanguard verwaltet mehr als 4,7 Billionen Dollar. Und jeden Tag wird es mehr

Lange hatte sich die Firma dabei fast ausschließlich auf die USA konzentriert. Seit einigen Jahren aber greift Vanguard auch in Europa an, bietet seine börsengehandelten Indexfonds (ETF) nach und nach auch hiesigen Anlegern an und verschärft damit den ohnehin heftigen Konkurrenzkampf in der Fondsbranche. Am heutigen Donnerstag startet Vanguard nach längerem Zögern in Deutschland: 23 Fonds der Amerikaner sind künftig an der Frankfurter Börse gelistet. "Natürlich steht die Fondsbranche schon unter einem gewissen Kostendruck", sagt Sebastian Külps, ein besonnener, freundlich lächelnder Ex-Banker, der seit dem Frühjahr das Deutschland-Geschäft von Vanguard aufbaut. "Aber wir lösen diesen Druck auch aus, das tun wir bewusst", sagt er. Weniger Gebühren zu verlangen als andere, das hatte bei Vanguard schon immer Tradition.

Vor allem der Siegeszug der ETFs hat die Vermögensverwaltung schneller verändert als jede andere Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Dank der Produkte kontrollieren allein die drei größten Fondsverwalter inzwischen mehr als 12 Billionen Dollar an Vermögen. Davon entfallen allein 4,7 Billionen auf Vanguard. Zum Vergleich: Das ist ein Drittel mehr als der Gegenwert der Wirtschaftsleistung Deutschlands in einem Jahr. Nur Konkurrent Blackrock verwaltet noch mehr als Bogles Erben, wächst aber nicht so schnell: Bis Ende September sammelte Vanguard in diesem Jahr fast so viel Geld ein wie im gesamten Jahr 2016 - weit mehr als eine Milliarde Dollar pro Tag.

Gute zwei Drittel der Vanguard-Gelder stecken in sogenannten passiven Produkten, zu denen auch ETFs zählen. In den USA ist der Markt für die börsengehandelten Fonds schon sehr groß, gute 40 Prozent der Gelder werden dort inzwischen passiv verwaltet. In Deutschland ist es erst als ein Viertel. Anders als aktiv verwaltete Fonds kommen klassische ETFs ohne Analysten aus, ohne hoch bezahlte Manager und ohne komplizierte Vertriebsmodelle.

Das macht die Produkte fast konkurrenzlos günstig: Im Durchschnitt des gesamten Angebots zahlen Anleger bei Vanguard nur 0,12 Prozent der Anlagesumme an Gebühren pro Jahr. Bei den größten ETFs der Gesellschaft ist es bereits deutlich weniger. Zwar sinken auch die Gebühren für klassische, aktive Investmentfonds allmählich, doch sie liegen immer noch im niedrigen einstelligen Prozentbereich und damit immer bei einem Vielfachen dessen, was ETF-Anbieter verlangen.

Bei Vanguard kommt noch eine Besonderheit hinzu: Die Firma ist genossenschaftlich aufgebaut, sie gehört den Fonds, die sie selbst auflegt und damit letzten Endes den Anlegern. Sobald ein wenig Spielraum entsteht, die Kosten weiter zu drücken, nutzt Vanguard das aus. Spielraum gibt es immer wieder, solange die Firma weiter wächst: Im Jahr 2007, bevor die Finanzkrise losbrach, hatte Vanguard etwa 12 000 Mitarbeiter und verwaltete eine Billion Dollar. Heute kümmern sich 15 000 Angestellte um das bald Fünffache. "Wir versuchen immer, kostenneutral zu arbeiten", sagt Thomas Merz, Vanguard-Vertriebschef für Europa. Von Konkurrenten, die wie Blackrock oder State Street selbst börsennotiert sind und damit gleichzeitig ihren Aktionären verpflichtet, wird man solche Sätze nicht hören. Für den Druck auf die Gebühren in der Fondsbranche hat sich auch der Begriff "Vanguard-Effekt" etabliert.

Diesen Effekt will Vanguard jetzt weltweit exportieren, denn erst etwa ein Zehntel des Anlagevermögens stammt aus Ländern außerhalb des USA. In Deutschland dürften vor allem die etablierten deutschen Fondsgesellschaften den Effekt spüren: Weil auch die Banken mehr als früher auf ihre Vermögensverwaltung setzen, ist der gesamte Markt so umkämpft wie nie. Den Markt für ETFs teilen sich bislang vor allem drei Anbieter. Aber in dieser Kategorie, so sieht es Vanguard, geht es ja gerade erst so richtig los.

Nicht wenigen wird bei dem neuen Gigantismus der Fondsfirmen mulmig. Und John Bogle beklagt, was die Wall Street aus seiner Erfindung gemacht hat: Inzwischen gibt es ETFs auf kleine Teilmärkte, solche, die bestimmten Trend folgen sollen, exotische ETFs auf Währungen oder Rohstoffe. Nicht unwahrscheinlich, dass die nächste Finanzkrise auch mit Bogles Erfindung zu tun haben wird.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2017
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