Süddeutsche Zeitung

Frank Bsirske:Verdi-Chef Effenberg

Diese Idee hatte noch kein Gewerkschaftsboss: Verdi-Chef Frank Bsirske schimpft nicht bloß mit der Zunge, sondern auch mit den Mittelfingern. Die Geste geht in Ordnung - offenbart aber zugleich ein grundlegendes Problem.

Detlef Esslinger

Eine Gewerkschaftsdemo wird nach anderen Regeln abgehalten als die Feierstunde zum Volkstrauertag; insofern waren die Darbietungen schon in Ordnung, die der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske an den vergangenen beiden Wochenenden abgeliefert hat. Um diesen Gewerkschafter müsste man sich geradezu Sorgen machen, käme er plötzlich im Kammerton daher; andererseits: Um sich zu versteigen, reichte ihm bisher stets sein Mundwerk. Neuerdings braucht er dazu auch noch die Hände, respektive einen sehr speziellen Teil davon.

Am vorvergangenen Wochenende sprach der Verdi-Chef schon einmal bei einer Herbstdemo des DGB gegen Schwarz-Gelb. Da verlangte er, in Deutschland müsse der Generalstreik wieder erlaubt sein; Bsirske verglich die Situation hierzulande mit der französischen - und meinte, von der Protestkultur im Nachbarland könnten sich die Deutschen "mal eine Scheibe abschneiden". Wirklich? Das Wesen der Protestkultur in Frankreich ist, dass es sie nicht gibt. In dem weitgehend mitbestimmungsfreien Land gelten Generalstreiks und Betriebsblockaden als Mittel der Arbeiter, um Gespräche zu erzwingen.

Der Wunsch des Verdi-Vorsitzenden war so absurd, dass er von der Öffentlichkeit zu Recht mit Missachtung gestraft wurde. Bsirske zog daraus die Konsequenz, bei seinem nächsten Auftritt noch einen draufzulegen - nicht inhaltlich, wohl aber stilistisch. Und zeigte am vergangenen Wochenende mit gestreckten Mittelfingern, was er von manchen Zuständen in diesem Land hält. In Bsirskes Diktion: Er hat sich von der Protestkultur des Fußballers Effenberg eine Scheibe abgeschnitten. Mangel an Resonanz ist jetzt nicht mehr sein Problem.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2010/aum
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