France Télécom:Selbstmord in Serie

Der Stress muss weg: Bei der France Télécom haben sich seit Anfang des Jahres 20 Mitarbeiter das Leben genommen. Jetzt pocht der Konzern auf Aufklärung.

M. Kläsgen, Paris

Seit Anfang des Jahres haben sich 20 Mitarbeiter von France Télécom das Leben genommen, im Schnitt jeden Monat mehr als zwei. Hinzu kommen weitere zwölf Selbstmordversuche seit Februar 2008.

France Télécom: Frau in einer Telefonzelle der France Telecom in Nizza: Im Konzern kann etwas nicht stimmen.

Frau in einer Telefonzelle der France Telecom in Nizza: Im Konzern kann etwas nicht stimmen.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Zahlen bestürzen und lassen nur ahnen, wie schlecht das Arbeitsklima bei der französischen Firma sein muss. Die Zahlen erinnern außerdem an die Serie von Selbstmorden im Jahr 2007, als sich in mehreren großen französischen Konzernen ein Dutzend Mitarbeiter umbrachten.

Die meisten Opfer hatten damals die Auto-Hersteller Renault und Peugeot zu beklagen. Aber was heißt: zu beklagen? Beide wiesen jegliche Verantwortung von sich und verdrängten, dass die Arbeit manchem Mitarbeiter offensichtlich unerträglich geworden war.

Immer mehrere Ursachen

Sie argumentierten zu Recht, Selbstmorde hätten immer mehrere Ursachen. Die Arbeitsbelastung allein könne nicht der Auslöser gewesen sein. Sie taten dies selbst, wenn die Mitarbeiter Abschiedsbriefe hinterließen, in denen sie ihre Vorgesetzten beschuldigten, sie systematisch terrorisiert zu haben.

Die Geschäftsführung von France Télécom gibt sich aufgeschlossener. Bei der hohen Zahl von 20 Toten in acht Monaten ist wohl auch bei insgesamt 90.000 Mitarbeitern nur schwer zu leugnen, dass etwas im Konzern nicht stimmen kann.

Die Direktion kündigte in einem internen Schreiben an, die Hintergründe jedes einzelnen Freitods aufklären zu wollen und setzte sich mit den Gewerkschaften zusammen, um mit ihnen darüber zu beraten. Weitere Gespräche zur Verbesserung des Arbeitsklimas sind geplant.

Für die Gewerkschaften ist die Lage klar: Der Stress muss weg. Die Arbeitsbelastung mache die Mitarbeiter kaputt. Als Beleg führen sie eine Studie aus dem Jahr 2008 an, wonach sich zwei Drittel der Mitarbeiter für "gestresst" halten und 15 Prozent "unter Stress leiden". Auffälligstes Merkmal des Unwohlseins ist das Krankfeiern.

Einen Monat im Jahr krank

Insbesondere die Beamten des ehemaligen Staatsmonopolisten, und das sind immerhin 70 Prozent der Belegschaft, lassen sich häufig krankschreiben - und zwar jeder von ihnen im Schnitt gut einen Monat im Jahr. Viele würden nicht damit fertig werden, so die Gewerkschaften, statt im Außendienst auf einmal unter Zeit- und Erfolgsdruck in einer Telefonzentrale zu sitzen und etwa Kunden Angebote aufschwatzen zu müssen.

Druck entsteht auch, weil der Ex-Monopolist die Zahl der Beamten sukzessive verringert. Allein 2008 schieden 4000 von ihnen "freiwillig" aus der Firma, was immer darunter zu verstehen ist.

Die Selbstmordserie erklärt dies freilich nicht. Auch die Frage, warum die Suizide am Arbeitsplatz immer wieder in Frankreich Schlagzeilen machen, lässt sich nicht leicht beantworten. Beim Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel jedenfalls hält man die traurige Serie nicht für ein französisches Phänomen.

Einfach verschwiegen

Anderswo in Europa werden solche Selbstmorde von den Unternehmen einfach verschwiegen. In Japan, so ist bekannt, sind sie so weit verbreitet wie nirgends. In Deutschland wiederum werden sie schlicht nicht gezählt und tauchen daher in keiner Statistik der gesetzlichen Unfallversicherung auf.

In Frankreich können Selbstmorde sogar als Arbeitsunfall gelten. Gelingt den Hinterbliebenen aber der Nachweis, dass das Unternehmen für den Tod verantwortlich ist, kommt ihm das teuer zu stehen. Verwitwete Ehepartner haben dann einen Anspruch auf 40 und Kinder auf 20 Prozent des Gehalts des Verstorbenen.

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