Frankreich:Mobbing mit Todesfolge

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Didier Lombard, Ex-Chef von France Télécom, am Tag des Urteils vor dem Gerichtsgebäude. (Foto: dpa)
  • Ein französisches Gericht verurteilt den Ex-Chef von France Télécom wegen seiner Managementmethoden, die reihenweise Mitarbeiter in den Tod getrieben haben sollen.
  • Konkret untersucht wurden in dem Verfahren eine Serie von 19 Selbsttötungen, zwölf Suizidversuche sowie die Ursachen psychischer Leiden bei acht weiteren Ex-Beschäftigten.

Von Leo Klimm, Paris

Das Urteil ist ein Donnerschlag: Didier Lombard, Ex-Chef eines der größten Konzerne Frankreichs, soll ins Gefängnis. Er hat, so die Richter, in seiner Zeit an der Spitze von France Télécom mit seinen Managementmethoden reihenweise Mitarbeiter in den Tod getrieben.

Für Patrick Ackermann ist dieser Beschluss "ein großer Sieg". Ackermann ist Gewerkschafter und hat den Prozess, der am Freitag vor einem Pariser Gericht zu Ende ging, als Kläger maßgeblich vorangetrieben. Das Urteil, glaubt er, schreibt in Frankreich Rechtsgeschichte. Es mache Mobbing von Angestellten zu einem klar fassbaren Tatbestand der Wirtschaftskriminalität. Und zwar selbst dann, wenn es keine direkte Beziehung zwischen Täter und Opfer gibt. Sondern ein Konzernchef einfach nur für ein Unternehmensklima sorgt, an dem manche Mitarbeiter so verzweifeln, dass sie sich das Leben nehmen.

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Neben Lombard, von 2005 bis 2010 Chef des damaligen Staatskonzerns France Télécom, heute Orange, erhalten am Freitag sechs andere Ex-Topmanager des Unternehmens Haftstrafen wegen Mobbings. Lombard wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt; davon sind acht Monate zur Bewährung ausgesetzt. Auch das Unternehmen selbst wird verurteilt - zu einer Geldstrafe von nur 75 000 Euro. Mehr ließ der Strafrahmen nicht zu.

Die Signalwirkung des Urteils ist trotzdem stark. Konkret untersucht wurden in dem Verfahren eine Serie von 19 Selbsttötungen, zwölf Suizidversuche sowie die Ursachen psychischer Leiden bei acht weiteren Ex-Beschäftigten von France Télécom. Doch die 150 Nebenkläger machten das Verfahren darüber hinaus zum regelrechten Musterprozess über Sparprogramme mit phrasenhaften Namen, wie es sie in vielen Unternehmen gibt - und über die Malaise am Arbeitsplatz, die diese Stellenabbau-Pläne hervorrufen können. Lombards Programme hießen "Next" und "Act". Manche derer, die sich das Leben nahmen, bezogen sich in Abschiedsbriefen explizit auf das Mobbing, das mit den Sparprogrammen Einzug gehalten habe.

Die Richter urteilen, Lombard und andere Vorstände hätten Druck auf das Mittelmanagement ausgeübt mit dem Ziel, Mitarbeiter hinauszuekeln. Sie hätten "einen abgestimmten Plan aufgesetzt, um die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und so die Abgänge zu beschleunigen".

Als die Selbstmordserie in Gang war, sprach Lombard von einer "Suizid-Mode"

Unstrittig ist: Lombard wollte einst binnen drei Jahren ein Fünftel der 102 000 Stellen im Konzern abbauen. So wollte er die frühere Fernmeldebehörde mit den neuen, privaten Anbietern konkurrenzfähig halten. Er ging dabei nicht mit Glacéhandschuhen vor. "Ich werde die Rauswürfe durchziehen", wird Lombard in einem internen Protokoll von 2006 zitiert. "Auf die eine oder andere Art, sei es durchs Fenster oder durch die Tür." Später, als die Selbstmordserie schon in Gang war, sprach Lombard von einer "Suizid-Mode". Eine Äußerung, die er im Prozess als "Dummheit" bezeichnete. Ohne die Sparpläne aber, so Lombard vor Gericht, gäbe es seinen alten Arbeitgeber heute gar nicht mehr.

Das Gerichtsverfahren hatte phasenweise Züge einer Gruppentherapie. "Das Gericht hofft, dass es den Schmerz erträglicher macht, wenn er hier geteilt wird", sagte die Vorsitzende Richterin einmal. Ex-Beschäftigte von France Télécom berichteten im Zeugenstand von Demütigungen - etwa, wenn Ingenieure zu Callcenter-Mitarbeitern degradiert wurden. Oder wenn manche mit Arbeit überfrachtet wurden, während andere quälendem Nichtstun ausgesetzt waren. Lombard, der einst so wenig Empathie mit Mitarbeitern gezeigt hatte, brach an einem Verhandlungstag in Tränen aus: "Man denkt, dass ich kein Herz habe. Das stimmt nicht", sagte er.

Seine Verteidigung aber lief ins Leere. Die Richter ließen weder gelten, dass bei näherem Hinsehen die Suizidrate bei France Télécom unter Lombard nicht höher war als im gesamtfranzösischen Durchschnitt. Noch akzeptierten sie das Argument, dass es keine Beweise gebe für eine persönliche Verantwortung in den untersuchten Mobbing-Fällen. Sein Anwalt kündigte Revision an. Lombard muss also erst einmal nicht ins Gefängnis.

Gewerkschafter Ackermann glaubt nicht, dass Lombard in der Berufung besser davonkommt. Für ihn zählt jetzt der Blick nach vorn. Ackermann sagt: "Über das Strafmaß hinaus müssen wir vor allem über die Prävention von Suizid reden."

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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