Bundesverfassungsgericht genehmigt ESM:Was der Rettungsschirm kann und was er kostet

Es ist schon fast 80 Tage her, da sollte der dauerhafte Rettungsschirm über Europa aufgespannt werden. Doch durch Eilanträge mehrerer Kläger wurde das Gesetz zur Rettung des Euro verschoben. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht den Euro-Rettungsschirm unter Vorbehalten genehmigt - und er tritt wohl schon bald in Kraft.

Nach mehr als zwei Monaten herrscht nun Klarheit über die Zukunft des dauerhaften Rettungsschirms: Das Bundesverfassungsgericht hat den ESM unter Auflagen gebilligt. Es müsse sichergestellt sein, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle im Urteilsspruch. Damit kann Deutschland dem permanenten Rettungsschirm beitreten. "Ich plane, das erste Treffen des ESM-Gouverneursrats am Rande des Eurogruppen-Treffens am 8. Oktober in Luxemburg einzuberufen", erklärte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Junker nach dem Urteil. Der Rettungsfonds trete gleichzeitig in Kraft.

Mehrere Kläger hatten im Vorfeld der Entscheidung Bedenken geäußert und Verfassungsbeschwerde eingelegt, darunter auch der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und die Fraktion der Linken im Bundestag. Die Kläger befürchteten, dass durch die Ende Juni beschlossenen Schritte zur Euro-Rettung unkalkulierbare Risiken auf Deutschland zukämen: Die finanziellen Belastungen seien kaum abzuschätzen und die Budgethoheit des Parlaments werde ausgehoben, steht in der Klageschrift (Hier im Original).

Doch das Gericht zeigte sich unbeeindruckt von dem Druck der Regierung und ließ sich Zeit, um die Eilanträge zu prüfen. "Die wirtschaftlichen und politischen Folgen, die mit einem deutlich verzögerten Inkrafttreten der angegriffenen Gesetze aufgrund des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verbunden sein könnten, sind kaum verlässlich abschätzbar", begründete Voßkuhle die lange Prüfzeit. Deswegen habe man erst jetzt, mehr als zwei Monaten später, eine Entscheidung fällen können. Was bedeutet der Urteilspruch nun für Deutschland? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen zum ESM.

Was ist der ESM?

Durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zahlungsgefährdete Mitglieder der Eurozone mit Krediten und Bürgschaften unterstützt werden. Dazu wird eine Art "Europäischer Währungsfonds" gegründet. Die Krisenländer bekommen allerdings nur Geld, wenn sie bestimmte Auflagen erfüllen. Dazu zählen auch angemessene Reformen, damit die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des Landes langfristig behoben werden. Der ESM sei damit ein wichtiger Bestandteil des Gesamtpakets zur dauerhaften Stärkung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, sagt die Regierung.

Was unterscheidet den ESM vom EFSF?

Während die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) unter dem Druck der griechischen Krise initiiert wurde, um möglichst rasch die Finanzmärkte zu beruhigen und sich Zeit zu verschaffen, soll der ESM auf Dauer angelegt sein. Eine einfache Verlängerung des EFSF wäre nicht nachhaltig genug, um die Staatschuldenkrise zu lösen, meint die Bundesregierung. Stattdessen beschlossen die Finanzminister mit dem Fiskalvertrag ein umfassendes Regelwerk. Ein weiterer Unterschied liegt in der Finanzierung: Während der ESM über eingezahltes Kapital verfügt, wurde die EFSF nur durch Gewährleistungen der Euro-Staaten finanziert. Darüber hinaus besitzt der dauerhafte Rettungsschirm einen Reservefonds als Kapitalpuffer, der die Haftungsrisiken der ESM-Mitglieder reduziert. In diesen Fonds fließen Strafzahlungen, die Euro-Staaten aufgrund übermäßiger Defizite oder makroökonomischer Ungleichgewichte zahlen müssen. Macht der ESM Verluste, werden sie zunächst aus diesem Fonds bezahlt, dann aus dem eingezahlten Kapital und erst an letzter Stelle aus dem genehmigten, aber noch nicht eingezahlten Kapital. Deutschland hat 190 Milliarden Euro bewilligt.

Wie funktioniert der ESM?

Der Fiskalvertrag im Rahmen des ESM gibt Regeln vor, wie die Länder Schulden langfristig abbauen und künftig vermeiden können. Außerdem wird der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt gestärkt, ein gesamtwirtschaftliches Überwachungsverfahren eingeführt und die Wirtschaftspolitik stärker koordiniert.

Sollte ein Mitgliedsstaat finanzielle Unterstützung fordern, hat der ESM fünf verschiedene Varianten, um das Land zu stabilisieren: Der ESM kann...

[] direkte Darlehen vergeben, wie sein Vorgänger EFSF

[] sogenannte Kreditlinien gewähren und das Land vorsorglich stützen

[] Kredite vergeben, die den Banken eines Landes zugutekommen

[] neu ausgegebene Anleihen von Euro-Ländern kaufen, um die Zinsen auf dem Kapitalmarkt für andere Länder zu senken

[] bereits im Umlauf befindliche Papiere erwerben.

Über wie viel Geld verfügt der ESM?

Das maximale Kreditvolumen beträgt 500 Milliarden Euro. Um diese Finanzhilfe sicherzustellen, verfügt der ESM über ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro. Dieses Stammkapital soll eine hohe Bonität und niedrige Zinsen sichern. 80 Milliarden Euro davon zahlen die Mitgliedsstaaten direkt an den ESM. Die restlichen 620 Milliarden Euro gelten als "abrufbares Kapital" und müssen erst nach einem gemeinsamen Beschluss der Euro-Staaten an den ESM gezahlt werden.

Was bedeutet das für den deutschen Steuerzahler?

Wie viel die einzelnen Mitgliedsstaaten finanzieren müssen, hängt von ihrem Anteil am Kapital der Europäischen Zentralbank (EZB) ab. Dadurch ergibt sich für Deutschland ein Anteil von 27,15 Prozent und damit ein Haftungsumfang von 190 Milliarden Euro. Sollte ein Land allerdings ausfallen, zum Beispiel weil es selbst finanzielle Hilfen benötigt, müssen die anderen Staaten das fehlende Kapital zusätzlich ausgleichen. Deutschland haftet für bis zu 778 Milliarden Euro, errechnete das Ifo-Institut. Rechtsexperten des Deutschen Bundestages warnen allerdings davor, dass der permanente Euro-Rettungsschirm das Budgetrecht des Parlaments verletzen könnte. Es sei nicht gerechtfertigt, die "Legitimation von Staatsgewalt und deren Ausübung durch Fesselung des Haushaltsgesetzgebers infolge von Verbindlichkeiten aus internationalen Übereinkünften praktisch zu entleeren", so das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes.

Wer entscheidet über die Hilfen?

Über Finanzhilfen des ESM entscheidet ein Gouverneursrat, der aus den Finanzministern des Euro-Raums besteht. Grundlegende Entscheidungen werden in der Regel einstimmig gefasst. Muss es besonders schnell gehen, reicht auch eine qualifizierte Mehrheit von 85 Prozent aus. Das deutsche Stimmgewicht entspricht dabei dem EZB-Anteil von rund 27 Prozent.

Wie unterscheiden sich ESM-Anleihen und Eurobonds?

Mit den ESM-Anleihen werden die Kredite an die Krisenstaaten refinanziert. Da der Rettungsschirm seine Finanzhilfen aber nur gegen strenge Auflagen vergibt, besteht ein besonders hoher Reformzwang für die Kreditnehmer. Anders die Eurobonds: Durch diese würden die EU-Staaten gemeinsam Schulden am Finanzmarkt aufnehmen und müssten dafür auch gesamtschuldnerisch haften. Da allerdings keine Gegenleistung für die gewährten Kredite erwartet wird, könnten Reformen auf der Strecke blieben. Die Bundesregierung lehnt die Eurobonds daher ab.

Kann der ESM die Krise beenden?

Klaus Regling, Chef des Eurorettungsschirms EFSF hält ein nahes Ende der Eurokrise für durchaus möglich. "Wenn alle Staaten in der Währungszone ihre Konsolidierungsvorgaben strikt einhalten und ihre Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich weiter verbessern, dann kann die Krise in ein bis zwei Jahren überwunden werden", sagte Regling dem Spiegel. Weniger optimistisch ist hingegen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier: "Die Gefahr, die ich jetzt sehe, ist, dass die gefassten Beschlüsse möglicherweise nicht ausreichen, um die entscheidenden Schritte aus der Krise zu machen", sagte er der Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung. Dem ESM stünden zwar 700 Milliarden Euro zur Verfügung, doch die reichten gerade mal für Spanien - kaum aber für Italien. Deshalb diskutieren Politiker schon länger, ob der ESM eine Banklizenz bekommen sollte, mit der sich die EZB praktisch unbegrenzt Kredit verschaffen kann.

Wie würde eine Banklizenz funktionieren?

Durch eine Banklizenz könnte der ESM Staatsanleihen abkaufen und sie, wie eine Bank, bei der EZB als Sicherheit für einen Kredit einreichen. Mit dem neuen Kredit kann der ESM wiederum neue Staatsanleihen kaufen - und die EZB würde unbegrenzt Geld für marode Staaten drucken. Kanzlerin Merkel und Bundesbankpräsident Jens Weidmann erteilten Forderungen nach einer Banklizenz in der Vergangenheit deswegen immer wieder Absagen.

Was wird am ESM-Vertrag kritisiert?

Die Banklizenz ist ein wesentlicher Kritikpunkt des ESM-Vertrags. "Eine Banklizenz für den Rettungsschirm ESM ist eine Inflationsmaschine und eine Vermögensvernichtungswaffe. Das ist weder im deutschen noch im europäischen Interesse", sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle der Welt. Außerdem kritisierten Kläger, dass der Rettungsschirm auf Dauer angelegt ist und es kein Austrittsrecht für ESM-Mitgliedstaaten gibt. Zudem könne das ESM-Kapital von zunächst 700 Milliarden Euro unbegrenzt erhöht werden, sollte der deutsche Vertreter zustimmen. Für Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, stellt der Rettungsschirm außerdem ein unkalkulierbares Abenteuer" dar und "eine sichere Wachstumsbremse". "Wird der Rettungsschirm Gesetz, übernimmt Deutschland de facto die Gewährleistung für die Schulden der anderen Eurostaaten", erklärt Sinn. Kritiker monieren außerdem, dass der Rettungsschirm die Budgethoheit des Bundestages erheblich beschneide. "Der Weg, der gegenwärtig beschritten wird, ist der eines Sozial- und Demokratieabbaus, sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi im Juni. Er warf Merkel Verfassungsbruch vor.

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