Frage nach Neutralität:Einigung der EU mit Google auf der Kippe

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Wie neutral ist Google? Die EU-Kommission soll Berichten zufolge ihre Entscheidung dazu überdenken.

(Foto: AFP)

Verstößt Google gegen Wettbewerbsregeln? Vor einem halben Jahr hatte die EU-Kommission sich mit dem Internetkonzern geeinigt - jetzt könnte der Kompromiss allerdings kippen. Denn die Konkurrenz macht mächtig Druck.

Von Javier Cáceres, Berlin

Noch ist es nicht bestätigt, noch sind es vor allem Zeitungsberichte. Angeblich ist der spanische Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia dabei, eine erst vor einem halben Jahr präsentierte, vorläufige Einigung mit dem kalifornischen Suchmaschinengiganten Google wieder zu kippen. Das heißt: Der Suchmaschinen- und Datensammelkonzern konnte sich schon in Sicherheit wiegen - nun drohen ihm aber doch noch ziemlich große Probleme.

Der Deal war eigentlich konstruiert worden, um Vorwürfe, Google habe gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, zu entkräften; eine milliardenschwere Strafe stand im Raum. Sollte die Einigung noch scheitern, müsste Google also einen späten Rückschlag hinnehmen. Für Almunia selbst wäre es eine bittere Entscheidung: Er selbst hatte die Konzessionen Googles, die nach drei Verhandlungsrunden zustande kamen, noch im Februar als hinreichend interpretiert. "Im Lichte der bis dahin vorgetragenen Argumente sehe ich nicht, warum ich meine Meinung ändern sollte", erklärte der Spanier.

Rolle rückwärts

Und nun das: Rolle rückwärts. Es sieht fast so aus, auch wenn ein Sprecher Almunias betonte, dass die Untersuchung andauere und eine Entscheidung noch nicht getroffen sei. Was passiert da gerade zwischen Brüssel und Kalifornien? Versuch einer Erklärung: Die überraschende Volte könnte etwas mit dem heftigen Widerstand von 20 Google-Konkurrenten zu tun haben, die schon seit Jahren gegen die monopolähnliche Marktstellung des US-Konzerns ankämpfen. Und - siehe da - die zuletzt sehr viel Unterstützung von der deutschen und der französischen Regierung, aber auch von Almunias Kommissionskollegen erhalten hatten.

An vorderster Front der Anti-Google-Rebellen: das britische Unternehmen Foundem, das im Internet Preisvergleiche anbietet - zum Beispiel von Elektronikgeräten. Diese Preisvergleicher waren es nun, die am Mittwoch nicht nur einen offenen Brief an Almunia publik machten, sondern gleich auch eine Stellungnahme zu den Google-Vorschlägen mitlieferten. Ihr Urteil: Eine Einigung, wie sie von Almunia unterbreitet wurde, hätte "katastrophale Konsequenzen für die digitale Wirtschaft Europas", die Vorschläge Googles würden die Lage nicht verbessern. Sondern verschlechtern. Was der öffentlichkeitsscheue Google-Konzern - so schreibt es zumindest das Wall Street Journal - natürlich bestreitet.

BELGIUM-EU-ALMUNIA-COMPETITION

EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia ist offenbar dabei, seine Haltung zu Google zu überdenken.

(Foto: AFP)

Einsichten in die Welt der mächtigen IT-Konzerne und Lobbyisten

Der Brandbrief hat es in sich. Demnach sei das Papier, in dem die Kommission die Google-Rivalen über den angedachten Deal unterrichtete, "mit dermaßen vielen Fehlern, Unterschlagungen und Widersprüchen" behaftet, dass man sich vorbehalte, im Laufe des Sommers weitere Einsprüche einzulegen, schreiben die Foundem-Gründer Adam und Shivaun Raff. Sie beklagen zudem, dass die Kommission gegenüber Google größere Transparenz habe walten lassen als gegenüber den Beschwerdeführern. Es sind dies allesamt Einsichten in eine interessante Welt: die der mächtigen IT-Konzerne und ihrer Lobbyisten - und wie sie versuchen, politische Entscheidungen zu beeinflussen.

Die Klagen kreisen vor allem um die Frage, wie Google Suchanfragen von Verbrauchern anzeigt. Sprich: wie neutral Google ist, wenn ein Internetnutzer nach Hotels, Flügen, Kleidung oder einem neuen Bügeleisen sucht. Das ist ein wichtiger Punkt, weil Google in Europa etwa 90 Prozent des Suchverkehrs im Internet abdeckt - also eine nahezu totale marktbeherrschende Stellung hat und selbst spezialisierte Suchmaschinen betreibt, etwa "Google Shopping" oder "Google Places". Weil es aber grundsätzlich so ist, dass Verbraucher sich nicht lange durch die unendliche Welt der Google-Seiten blättern, sondern im Zweifelsfall auf die Offerten eingehen, die auf der, bestenfalls auf den ersten Seiten angezeigt werden, ist die Frage der Platzierung der Angebote also nicht ganz unwichtig.

Googles Konkurrenten fühlen sich mehrfach brüskiert

Google beteuert zwar, dass die Anzeige der Ergebnisse einer komplexen, aber nun einmal mathematischen und damit neutralen Formel gehorchen. Doch Googles Konkurrenten, zu denen neben Foundem auch Softwaregiganten wie Microsoft, das Reiseportal Expedia oder auch der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) zählen, klagen seit Jahren darüber, dass sie auf den hinteren Ergebnisseiten verschwinden. Im Einigungsvorschlag hatte sich Google nun unter anderem dazu verpflichtet, Konkurrenzangebote "sichtbarer" zu machen: Wer nicht "automatisch" auf der ersten Seite erscheint, könne sich zur Not auch einen Platz auf einem farblich unterlegten (Werbe-)Feld sichern - und zwar per Auktion.

Google-Konkurrenten fühlten sich dadurch gleich mehrfach brüskiert. Schon jetzt gibt es die Möglichkeit, sich durch Werbung einen Platz auf einer der vorderen Google-Ergebnisseiten zu sichern. Außerdem: War es nicht das Ziel der Beschwerde, dass man aufgrund der Relevanz oder Qualität der eigenen Angebote bei Google vorne landen kann? Zudem, so die Kritiker, würden sich die Google-Konkurrenten durch den Auktionsmechanismus schlicht kaputtbieten. Mit fatalen Folgen für das eigene Geschäft und damit, klar, zugunsten des Google-Angebots. Für die Kalifornier wird es so nun noch einfacher, ihre Marktposition auszubauen. Und das wiederum verheißt nichts Gutes für den Endverbraucher.

Anwalt schließt Zerschlagung Googles aus

David gegen Goliath und ein EU-Kommissar mittendrin. Und nun? Nach Einschätzung des Berliner Rechtsanwalts Thomas Höppner, der in dem Verfahren die deutschen Zeitungsverleger vertritt, gibt es nur einen Weg: Die Kommission müsse sich auf ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für Angebote von Google-Konkurrenten einlassen. Dies lasse sich kurz und bündig formulieren. An eine Zerschlagung Googles, wie sie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) unlängst in den Raum gestellt hatte, also eine Aufteilung Googles in Suchmaschine und Unternehmen, mag Höppner nicht denken - noch nicht.

Sollte das Google-Paket doch noch einmal aufgeschnürt werden, wird es für Google ungemütlich. Dann würde eine endgültige Entscheidung über die Zukunft Googles in die Hände der künftigen Kommission fallen, der Almunia, das steht schon jetzt fest, dann nicht mehr angehören würde. "Es käme ein dringend nötiger frischer Wind in den Fall", meint Höppner.

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