Forum zum "Internationalen Tag der Demokratie":Chefs, lasst uns mal reden

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Elisabeth Niejahr ist seit einem Jahr Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung. Die Journalistin engagiert sich gegen Hassreden und Verschwörungsmythen im Netz. (Foto: Anatol Kotte/oh)

Warum und wie Unternehmen Zusammenhalt fördern sollten.

Gastbeitrag von Elisabeth Niejahr

Wenn frühere DDR-Bürger den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen politischen System erklären sollen, bringen sie mitunter einen Vergleich. Unter Erich Honecker habe man seinen Chef hart kritisieren können, aber nicht die Regierung - im neuen System sei es genau umgekehrt. Viele Arbeitgeber würden das bestreiten, oft zu Recht. Moderne Vorgesetzte holen sich kritisches Feedback ihrer Mitarbeiter und arbeiten nicht nach dem Maulkorb-Prinzip.

Trotzdem steckt hinter dem Vergleich ein richtiger Gedanke: Die Demokratie mit ihrem Gleichheitsversprechen steht in einem natürlichen Spannungsverhältnis zur Marktwirtschaft mit ihrem Trend zur Ungleichheit. Und wer das demokratische Prinzip der Meinungsfreiheit missversteht als Einladung, jederzeit kritische Anmerkungen zu machen, bekommt im Arbeitsalltag schnell ein Problem. Auch in einer liberale Demokratie gilt das Mehrheitsprinzip nur in klar beschriebenen Sphären. Der Soziologe Ulrich Beck schrieb daher schon in den Siebzigerjahren, in Deutschland bestehe wegen der Hierarchien in der Wirtschaft nur eine "halbe Demokratie".

In den vielen Debatten über die Zukunft des politischen Systems, über Reformversuche und Gefährdungen, kommt die Wirtschaft dennoch selten vor. Einzelne Spitzenmanager positionieren sich, viele Unternehmer engagieren sich in konkreten Projekten, aber die Mehrheit schweigt. Das ist erstaunlich, weil sich momentan so viele andere gesellschaftliche Akteure auf die Demokratie berufen, dass die Zahl der Initiativen, Bündnisse und Förderer ist schwer zu überschauen ist. Vertreter aller Parteien fühlen sich zuständig: Vertreter der Linken wie der AfD, Demonstranten für strenge Corona-Regeln wie für lockere. Dabei haben auch Unternehmen originäre Interessen, wegen derer sie sich mit dem Erhalt einer lebendigen, liberalen Demokratie beschäftigen sollten. Pluralismus ist ein Standortfaktor. Videos von Rechtsextremen, die mit Geschrei und Reichsbürger-Fahnen auf den Reichstag zulaufen, befremden internationale Kunden, Investoren, hochklassige Bewerber. Das gilt insbesondere für alle, denen die Herkunft aus anderen Teilen der Welt auf den ersten Blick anzusehen ist. Der Uhrenhersteller Nomos aus der sächsischen Kleinstadt Glashütte bekam nach Wahlerfolgen der AfD in der Heimatregion Briefe von besorgten US-Kunden: Was my watch built by a Nazi?, fragten sie. Haben Nazis diese Uhr gebaut?

Bei Begegnungen im Betrieb können unterschiedliche Denkweisen aufeinandertreffen

Zu den unmittelbaren ökonomischen Interessen einer Exportnation, die empfindlich getroffen wird, sobald Abschottung im Denken zu einer Abschottung der Märkte führt, kommen andere Faktoren. Die meisten Werte und Umgangsformen, von denen eine liberale Demokratie profitiert, nützen auch Unternehmen. Respekt vor Andersdenkenden, Höflichkeit, Empathie, Kenntnis von Normen und sozialen Codes, selbstkritisches Hinterfragen der eigenen Position, Verständnis für Instrumente des Interessenausgleichs: Der Kanon, der die Demokratie stabilisiert, hilft auch in der Arbeitswelt. Denn anders, als es der Vergleich mit der Kritik in Ost- und Westdeutschland vermuten lässt, ist eben nicht nur die Fähigkeit zum Widerspruch in einer Demokratie wichtig. Zur guten, fairen Debatte, das können Jugendliche nicht früh genug lernen, gehört die Fähigkeit, zuzuhören. Idealerweise werden bürgerlichen Umgangsformen ergänzt durch Fähigkeiten, auf die es im digitalen Zeitalter für Mündigkeit ankommt: Medienkompetenz, Recherchetechniken, Umgang mit Pöbelei im Netz. Das gefällt auch Kunden.

Und wo, wenn nicht im Umgang mit Kollegen, die anders geprägt sind oder bei wichtigen Fragen anders ticken, könnte Ambiguitätstoleranz trainiert werden? Wenn schon die Vertreter unterschiedlicher Milieus immer seltener dieselben Warenhäuser aufsuchen, dieselben Gerichte essen und seltener dieselben Parteien wählen, ist es umso wichtiger, an dem Ort Gemeinsamkeiten zu pflegen, an dem viele Menschen einen Großteil ihrer Lebenszeit verbringen: am Arbeitsplatz. Je weniger andere Orte es gibt, an denen sich Vertreter unterschiedlicher Denkweisen begegnen, desto wichtiger ist die Begegnung im Betrieb.

Was bisher fehlt, ist die Bereitschaft von Unternehmen, diese Rolle offensiv anzunehmen. Engagement für Demokratie - darunter verstehen viele Manager Spenden für Vereine oder Ehrenämtern in Parteien und Verbänden, vielleicht noch Erklärungen zur sozialen Marktwirtschaft. Oder sie verweisen auf agile Arbeitsformen, die veränderten Kommunikationsformen im Betrieb. Manchmal wird gestritten über die These des amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, wonach Marktwirtschaft und Kapitalismus ein Zwillingspaar sind - als hätte Fukuyama sich nicht längst selbst schon dementiert. Nichts davon ist falsch, im Gegenteil. Aber die Techniken, auf die es in der Demokratie ankommt, können Unternehmen auch gezielt entwickelt. Sie müssen das Thema nur für sich entdecken.

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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