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Algorithmen entscheiden über Nachrichten. Demokratien sollten aber die Meinungsbildung nicht allein sozialen Netzwerken wie Facebook überlassen.

Gastbeitrag von Josef Drexl

Für mehr als die Hälfte aller US-Amerikaner unter 35 soll schon heute Facebook die wichtigste Nachrichtenquelle sein, fast 80 Prozent aller US-Amerikaner bewegen sich inzwischen auf mindestens einer sozialen Plattform. Auch in Deutschland ist davon auszugehen, dass vor allem jüngere Menschen zunehmend Facebook und andere soziale Netzwerke als Informationsquelle der Zeitung und dem Fernsehen vorziehen. Wie wichtig etwa Facebook geworden ist, zeigte sich anlässlich des Münchner Amoklaufs Ende Juli. Die bayerische Polizei nutzte ihren Facebook-Auftritt, um die Bevölkerung über die aktuellen Entwicklungen zeitnah zu informieren sowie Fehlinformationen und Panikmache entgegenzuwirken.

Dass Facebook heute auch eine zentrale Rolle bei der Bildung von öffentlicher Meinung einnimmt, ist unbestritten. Art und Weise dieser Meinungsbildung werden dabei durch die Gesetze des Marktes bestimmt. Facebook ist daran interessiert, möglichst viel "Traffic" auf seinen Seiten zu generieren. Dies geschieht, indem der Algorithmus nur jene Nachrichten über den Newsfeed weiterverbreitet, die der Präferenz des jeweiligen Nutzers und seiner Freunde entsprechen.

Dies unterscheidet Facebook ganz entscheidend von den klassischen Medienunternehmen. Facebook trifft keine redaktionelle Entscheidung über die einzelne Nachricht und soll dies nach verbreiteter Ansicht auch nicht tun. Als vor einigen Wochen publik wurde, dass Facebook-Mitarbeiter über eine Veränderung des Algorithmus zu Lasten des US-Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump nachdachten, wurde schon dies als drohende Manipulation des Wahlkampfes kritisiert.

Aber auch der verwendete Algorithmus ist alles andere als neutral. Die Marktlogik der "Likes" scheint geradezu zu einer Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft zu führen. Über den Algorithmus von Facebook werden gerade jene Inhalte verbreitet, die aller Wahrscheinlichkeit nach den Nutzer und seine Freunde nicht nur "interessieren", sondern ihnen auch "gefallen". Mit entgegengesetzten politischen Positionen wird der Nutzer kaum mehr konfrontiert. Es entstehen sogenannte "Filterblasen" und "Echoräume", in denen Verschwörungstheorien prächtig gedeihen und radikale Ansichten sich in geschlossenen Communitys verfestigen und verstärken.

Jüngste Forschungen bestätigen diese Entwicklung. Eine italienische Studie belegt, dass sich über Facebook Verschwörungstheorien und Falschmeldungen schneller und nachhaltiger verbreiten. Von Facebook beschäftigte Wissenschaftler untersuchten kürzlich, wie 10,1 Millionen US-amerikanische Facebook-Nutzer Nachrichten und Meinungen über ihre sozialen Netzwerke weiterverbreiten. Diese Nutzer hatten sich auf ihren Seiten hinsichtlich ihrer politischen Grundeinstellung auf einer Skala zwischen extrem konservativ und extrem liberal geoutet. Entsprechend rankten die Wissenschaftler Nachrichten und Meinungen, die über den Facebook-News- feed verbreitet wurden. Es stellte sich heraus, dass die eigene politische Ausrichtung noch stärker darüber entscheidet, welche Nachrichten und Meinungen angeklickt und erst recht, welche mit den eigenen Freunden über Facebook ausgetauscht werden.

Facebook bietet den Anhängern der AfD, von Pegida und des Islamischen Staates ein Forum

Kurzum: Einerseits solle es zu keinen politisch motivierten Eingriffen in den Algorithmus von Facebook zu Lasten von Trump kommen; andererseits ist es aber vielleicht gerade dieser Algorithmus, der das Phänomen Trump erst möglich macht. In gleicher Weise konnte sich über Facebook ein weltweites Netz von Sympathisanten des "Islamischen Staates" entwickeln. Facebook bildet ein Forum für Pegida- und AfD-Anhänger, die sich von der "Lügenpresse" abwenden. Wen wundert es da noch, dass in Großbritannien die Brexit-Kampagne mit zahllosen Fehlinformationen Erfolg hatte?

Im Interesse der Demokratie scheint daher eine Debatte über die Rolle und Regulierung von sozialen Netzwerken notwendig zu sein. Das geltende Wirtschafts- und Medienrecht ist denkbar schlecht gerüstet. Ähnlich dem Kartellrecht denkt es in den Kategorien vorherrschender Meinungsmacht. Die Marktlogik der "Likes" setzt sich aber unabhängig von der Marktstellung des konkreten Anbieters durch. Es geht also keineswegs nur um Facebook, sondern um alle sozialen Netzwerke.

Die Bund-Länder-Kommission, die sich gegenwärtig mit der Zukunft der Medienregulierung befasst, bewegt sich noch sehr in der Tradition des geltenden Medienrechts. In Reaktion auf die Medienkonvergenz im Internet nimmt sie jetzt die Regulierung der Plattformbetreiber in den Blick, die Meinungsmacht über die von ihnen verbreiteten Inhalte ausüben können. Wenigstens beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe dieser Kommission mit der Rolle der sozialen Netzwerke für die Meinungsbildung und diskutiert sogar die Einführung eine Verpflichtung, die Nutzer über die Kriterien bei der Ausgestaltung des Algorithmus zu informieren. Die Effektivität einer solchen Regelung dürfte jedoch zweifelhaft sein. Die genannten Studien zeigen gerade, dass das zentrale Problem letztlich bei den Nutzern selbst liegt, die mehr oder weniger bewusst durch eigene Entscheidungen die Mechanismen des Algorithmus noch verstärken. Sollte man also die Verbreitung von Nachrichten über soziale Netzwerke gleich ganz verbieten? Dies dürfte verfassungsrechtlich im Lichte der Meinungs- und Informationsfreiheit nicht zulässig sein.

Zu begrüßen wäre ein wachsendes Problembewusstsein der Betreiber sozialer Plattformen. Facebook selbst scheint jedenfalls vor wenigen Jahren seinen Algorithmus angepasst zu haben und stellt nun nicht mehr allein auf das Kriterium der Präferenzen des Nutzers und seiner Freunde ab, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Nachricht der Wahrheit entspricht. So lässt sich jedenfalls Verschwörungstheorien entgegenwirken.

Gefordert bleibt aber vor allem der Bürger. Medienkompetenz im Internetzeitalter bedeutet, sich nicht nur über soziale Netzwerke zu informieren. Die Zukunft der Medienwirtschaft und damit der Meinungsbildung liegt im Internet. Nötig sind Plattformen, in denen Bürger Nachrichten und Meinungen unterschiedlichster Medienunternehmen auf eigene Initiative abfragen können. Voraussetzung hierfür ist aber, dass qualitativer und ausgewogener Journalismus auch im Internet finanziert werden kann, sei es durch private Medienunternehmen, wie bisher schwerpunktmäßig die Zeitungsverlage, oder - subsidiär - öffentlich finanzierte Träger. Manche sehen die Internetauftritte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kritisch. Die Marktlogik der "Likes" zeigt aber, dass man im demokratisch verfassten Staat die Meinungsbildung nicht allein den sozialen Netzwerken überlassen kann.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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