Forum:Warum Spitzenmanager tricksen

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Prof. Dr. Dieter Frey ist Leiter des Center for Leadership and People Management der Ludwig-Maximilans-Universität München (LMU) und ehemaliger Leiter der Bayerischen Eliteakademie. Dr. Janina Mundt ist Mitarbeiterin von Dieter Frey am Forschungsinstitut der LMU.

Es gibt psychologische Erklärungen dafür, wenn führende Mitarbeiter manipulieren.

Von Dieter Frey und Janina Mundt

Manager in Spitzenpositionen der Wirtschaft sind verantwortlich für den laufenden Erfolg und Fortbestand ihrer Organisation. Unter hohem Druck müssen sie eine Vielzahl von intern und extern festgesetzten Zielen und Standards erreichen. Auch Spezialisten, etwa Ingenieure und Fachexperten, haben eine hohe Verantwortung.

Man kann davon ausgehen, dass Spitzenmanager und Spezialisten meist integre Menschen sind. Reichen die traditionellen Lösungen zur Erreichung von Zielen jedoch nicht mehr aus, stoßen beide an ihre Grenzen. Hierbei sind zwei psychologische Grundmotive dominant: Die Angst vor dem Versagen, entsprechend dem Nobelpreisträger Kahneman, ist mit hohen Verlusterlebnissen verbunden. Zweitens das Streben oder gar die Gier nach Erfolg. In einer Mischung aus Hörigkeit, Ratlosigkeit, dem Streben nach Erfolg und der Angst vor Misserfolg müssen Manager und Spezialisten Lösungen finden. Dabei nehmen sie in Kauf, dass sich diese möglicherweise ethisch, moralisch oder juristisch in einem Graubereich befinden.

Es folgen mehrere Stufen des "Hineinschlitterns". Ein Trickser nimmt sich nicht bewusst vor, "ich will tricksen und manipulieren". Stattdessen findet ein Prozess statt, der meist ähnlich abläuft und mehrere Akteure verbindet:

1. Das Unternehmen fühlt sich in seinem Erfolg und Fortbestand bedroht. Den Druck, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln, gibt das Management an die Spezialisten weiter.

2. Die Spezialisten werden mit den entsprechenden Zielvorgaben konfrontiert und sehen, dass sie mit traditionellen Lösungsstrategien nicht weiterkommen.

3. Der Chef akzeptiert dies nicht. Es muss eine Lösung geben, sonst ist der eigene sowie der Gesamterfolg der Organisation gefährdet.

4. Verzweifelt suchen die Spezialisten Lösungen. Bald gibt man sich auch mit Strategien zufrieden, die nicht den anfänglichen Ansprüchen genügen und sogar im roten Bereich liegen. Der Spezialist kann immerhin einen Erfolg vorweisen, dem Chef wird eine zufriedenstellende Lösung präsentiert.

5. Den Chef interessieren am Ende die Details der Problemlösung nicht. Er wendet sich anderen, wichtigeren Themen zu.

Im Prozess des Hineinschlitterns kommen unterschiedliche psychologische Theorien und Phänomene zum Tragen: Rechtfertigungsdenken und Verantwortungsdiffusion: Ausgangspunkt ist das Jonglieren zwischen dem Bestreben, moralisch und gesetzestreu zu agieren, und der Wahrnehmung, dass es in diesem Moment keine gesetzestreue Lösung gibt. Da Menschen nicht immer rationale, wohl aber rationalisierende Wesen sind, kommt es zu Rechtfertigungsverhalten mit der Illusion, dass Abweichungen gerade noch vertretbar sind, die Tricksereien nicht so schnell auffallen werden und man schon noch Lösungen finden wird, die nicht im Graubereich liegen. Damit verbunden ist eine sogenannte Verantwortungsdiffusion. Meistens tragen mehrere Menschen die Verantwortung, was psychisch entlastet.

In hierarchischen Organisationen gilt eine Null-Fehler-Kultur

Vergleichsprozesse und pluralistische Ignoranz: Das eigene Verhalten wird stets mit dem der anderen Personen und Organisationen verglichen. "Wenn die anderen allem Anschein nach manipulieren, dann gibt das auch uns die Legitimation dazu." In der Vergangenheit hat niemand negativ reagiert, sodass sich eine pluralistische Ignoranz breitmacht, im Sinne von "ganz so schlimm kann es nicht sein, sonst hätte ja schon längst jemand reagiert".

Ehrfurcht vor Hierarchie und Angst vor Misserfolg: Die beauftragten Spezialisten stehen unter Erfolgsdruck. Vor allem in hierarchischen Organisationen gilt eine Null-Fehler-Kultur: Jedes Problem ist lösbar, Fehler und Zweifel haben keinen Platz, Kritik am Chef gibt es nicht. Besonders autoritäre Chefs fördern Angst vor Versagen.

Groupthink, Sorglosigkeit und illusionäre Kontrolle: Je unausweichlicher die Lage, umso höher wird die Identifikation mit der eigenen Gruppe. Die Gruppe bestärkt sich in ihrem Glauben, dass sich alles zum Guten wenden wird. Kritische Stimmen werden nicht gehört, die Binnengruppe fühlt sich unverwundbar. Es entwickelt sich eine gewisse Sorglosigkeit: Was in der Vergangenheit geklappt hat, wird auch in der Zukunft funktionieren. Außerdem entwickelt sich das Gefühl illusionärer Kontrolle: Wenn es Probleme gibt, dann werden wir diese irgendwie lösen.

Viele Außenstehende stellen sich die Frage: Warum muss hier niemand haften? Warum bekennen sich die Leute nicht zu ihrem Fehlverhalten? Warum entschuldigt sich niemand bei den Betroffenen? Warum bleiben die meisten Manager trotzdem in ihrem Job? Warum schämen sie sich nicht? Auch hier mag der Nobelpreisträger Kahneman mit seiner Prospect Theory die Antwort geben. Die Betroffenen versuchen, jede Art von Verlustrealisationen zu vermeiden, sie haben Angst, dass sich hieraus Nachteile wie verminderte Karrierechancen oder sozialer Abstieg ergeben.

Was lernen wir aus diesen Vorgängen? Es hilft, die psychologischen Mechanismen zu erkennen. Statt einer Führungs- und Unternehmenskultur, die auf Befehl und Gehorsam, Angst und Druck baut, brauchen wir Kulturen, welche die Mündigkeit des Einzelnen, Zivilcourage, die Möglichkeit, inakzeptable Zustände offensiv anzusprechen, fördern. Mit dieser Unternehmenskultur ist eine Innovationskultur verbunden, in der experimentiert und Fehler gemacht werden dürfen, in der langfristiges, nachhaltiges Denken stärker in den Köpfen verankert ist als kurzfristige Profit-gier. In dieser neuen Kultur muss im Sinne Roman Herzogs ein Ruck durch die deutschen Unternehmen gehen: Vorsprung durch Kultur!

Neben der Führungs- und Unternehmenskultur kann auch das Belohnungssystem Anreize für integres, innovatives Handeln schaffen. Wir sollten das Experimentieren und Ausprobieren stärker honorieren. Dadurch können bekannterweise die besten Innovationen entstehen. Eine Reflexion über unser kapitalistisches Wirtschaftssystem ergibt weitere Ansatzpunkte. Wozu führt der allseits präsente Gedanke des "Immer höher, schneller, weiter"? Sind die Ursachen und das Wiederkehren des Tricksens auch darin begründet?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns existiert nach wie vor. Die sogenannte Elite der deutschen Wirtschaft, die durch Vorbild, Verantwortung und Verpflichtung geprägt ist, muss sich jedoch stärker gegenüber der kleinen Minderheit positionieren, die versucht, durch Manipulationen und Trickserei kurzfristigen Profit zu schlagen.

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