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Forum:Warum der Kreislauf wichtig ist

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Für die Elektromobilität werden Spezialrohstoffe und Seltene Erden gebraucht, die Lieferkette muss dokumentiert werden.

Elektrofahrzeuge sind das große Thema in Deutschland, wenn es um klimaschonende Mobilität geht. Die Automobilindustrie investiert getrieben durch die Öffentlichkeit und neue Marktteilnehmer massiv in die neue Technologie. Bereits in naher Zukunft sollen hierzulande Elektroautos serienmäßig und in großer Stückzahl vom Band laufen und durch die Straßen rollen. Damit verbunden ist ein rapide wachsender Bedarf an Batterien und Elektromotoren aller Bauformen sowie der noch stärkere Einsatz von Elektronikbauteilen. Deshalb rücken Rohstoffe und Materialien in den Fokus, die zuvor in der Automobilwirtschaft eine weniger wichtige Rolle spielten. Nun werden sie aber dringend benötigt.

Die Rede ist insbesondere von Seltenen Erden und Spezialrohstoffen wie Lithium, Grafit oder Kobalt. Die steigende Nachfrage etwa nach Kobalt, das in den Lithium-Ionen-Akkus für eine größere Energiedichte sorgt und bisher ein Nebenprodukt beim Abbau von Nickel und Kupfer war, ließ bereits die Preise nach oben schnellen. Gleichzeitig rückt in den Fokus, dass deren Abbau nicht nur kostenintensiv und oft auf sehr wenige verfügbare Quellen beschränkt ist, sondern vielfach auch negative Folgen für die Umwelt hat. Mit der Konsequenz, dass betroffene Gebiete durch die Minen dauerhaft belastet werden. Hinzu kommt, dass die Vorkommnisse dieser Rohstoffe zum Teil in Regionen liegen, die als politisch instabil gelten und auch mit Kinderarbeit in den Minen in Zusammenhang gebracht werden.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte hier bereits vor einer Rohstoffknappheit für Zukunftstechnologien "made in Germany". Gemeint war damit vor allem die Produktion von Elektroautos. Denn ohne die Gewissheit, dass Ressourcen nicht nur grundsätzlich, sondern vor allem auch in ausreichender Menge abbaubar sind, kann die Industrie erfolgreiche Geschäftsmodelle für innovative Technologien langfristig nur schwer umsetzen.

Vor diesem Hintergrund sehen wir eine gewaltige ressourcenökonomische Herausforderung, die zu einem grundsätzlichen Umdenken zwingt und einen Ansatz benötigt, der eine wahrhaft nachhaltige Rohstoffnutzung in den Mittelpunkt stellt: die Abkehr von der Linearwirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft.

Ziel muss sein, dass Rohstoffe nach der Verwendung in den jeweiligen Produkten nicht entsorgt, sondern soweit wie möglich systematisch in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. Die Ressourceneffizienz würde drastisch steigen, der Bedarf an neuen Rohstoffen proportional sinken. Die Logik: Ressourcenverbrauch und wirtschaftliches Wachstum gehen nicht länger Hand in Hand. Dies hat gerade mit Blick auf die gefragten Metalle eine hohe Relevanz für die Zukunftsfähigkeit der Automobilwirtschaft. Es geht auch darum, Abhängigkeiten vom Import nicht erneuerbarer Ressourcen zu reduzieren.

In den rund 2500 Bauteilen eines Autos befinden sich etwa eine Million chemische Komponenten

Grundlage für diese Art von Kreislaufwirtschaft ist jedoch die vollständige Digitalisierung von Produkten, ihren Rohstoffkomponenten und der gesamten Lieferkette. Damit geht zwingend der Bedarf an Technologien wie digitalen Zwillingen einher, die über das Produkt hinausgehen und gesamte Produktsysteme abbilden. Solche Simulationsmodelle bilden nicht nur in Echtzeit die Zusammensetzung ihres realen Zwillings ab, sondern aktualisieren sich auch, wenn sich das entsprechende physische Objekt verändert. Neben der spezifischen Zusammensetzung des jeweiligen Produkts lässt sich auch die Herkunft aller verwendeten Materialien und Komponenten eindeutig aufzeigen, sofern diese erfasst werden. Erst mit einer solchen Transparenz sind gute Entscheidungen in diesen komplexen Systemen möglich.

Daher ist es gerade bei langen Lieferketten über eine Vielzahl von Stationen wichtig, diese Daten von Beginn an umfassend zu erheben. Denn der Weg vom Abbau in der Mine bis zur fertigen Batterie im Elektroauto ist lang: Eine Lieferkette in der Automobilindustrie hat zwischen sieben und 13 Ebenen bis zur Materialquelle. Insgesamt befinden sich in den rund 2500 Bauteilen eines Autos etwa eine Million chemische Komponenten. Nur wer dabei systematisch erhebt, welche Rohstoffe zum Einsatz kommen, kann in einer Kreislaufwirtschaft den Rohstoffwert für eine spätere Wiederverwendung kalkulieren. Solche Betrachtungen starten daher bereits in der Entwicklung und im Produktdesign - für zukünftige Akkugenerationen bedeutet dies etwa, dass bereits während der Entwicklung der gesamte Lebenszyklus simuliert und mitgedacht wird. Mit dem Ziel, dass die Elemente aus Batterien nach ihrer Nutzung konsequent wieder in neue Produkte eingebracht werden.

Die positiven Folgen dieses Paradigmenwechsels wären nicht nur für die Umwelt enorm. Die EU-Kommission hat errechnet, dass Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft ihre Kosten bis zum Jahr 2030 um bis zu 600 Milliarden Euro senken könnten und mit ihrer Umsetzung die Aussicht auf bis zu 580 000 neue Arbeitsplätze besteht. Dabei wird auch der Einsatz der Blockchain eine zentrale Rolle spielen. Diese ist Stand heute die effizienteste Möglichkeit, um einerseits verlässliche Daten und Transparenz in Materialströmen und Lieferketten zu schaffen. Zugleich lässt sich der Schutz vertraulicher Informationen gewährleisten, womit sie Unternehmen eine Lösung für die Frage nach der Datensicherheit und Datenhoheit bieten kann.

Dies ist längst keine Zukunftsmusik mehr: Projekte für einen Blockchain-basierten Rückverfolgbarkeitsprozess in Mineralienlieferketten in Konflikt- und Hochrisikogebieten laufen bereits. Sie sollen verifizierte, kryptografisch gesicherte Transaktionen sicherstellen und Endnutzern somit zuverlässige Informationen geben, zum Beispiel über Gewicht und Herkunftsmine oder Arbeitszeiten.

Für die Automobilwirtschaft bietet sich die Chance, Kreislaufwirtschaft auf die Agenda zu setzen und bestehende Initiativen weiter voranzutreiben, um einerseits einen nachhaltigen Abbau von Ressourcen zu fördern und diese andererseits in den eigenen Produktionszyklus zurückzuführen. Wenn Kreislaufwirtschaft ganzheitlich gedacht wird, bietet sie nicht nur die Chance für eine effizientere Materialwahl, höhere Sammel- und Verwertungsquoten und eine Reduktion des Ressourceneinsatzes. Sie bietet auch die Chance, wirtschaftlichere Produktion und den digitalen Wandel der Industrie in Deutschland als positiven Standortfaktor voranzutreiben.

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Quelle:
SZ vom 04.03.2019
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