Süddeutsche Zeitung

Forum:Vom Kunden zum Konkurrenten

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Die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Volksrepublik müssen neu definiert werden.

Von Rezzo Schlauch

In den vergangenen Jahrzehnten war die deutsche Diskussion um und über China nur von einem Aspekt beherrscht: Der chinesische Markt mit seinen 1,3 Milliarden Menschen als DER Absatzmarkt und als DAS Wachstumsfeld für die deutsche Industrie. Die Dollarzeichen blitzten in den Augen der Exporteure, und die Möglichkeiten schienen grenzenlos zu sein. Der legendäre Temperamentsausbruch von Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) 1969, in dem dieser dreimal mit dem Fingerknochen auf das Rednerpult eindrosch und "China, China, China" ausrief und damit die kommunistische Gefahr beschwören wollte, war längst Geschichte.

Die Gegenwart, beginnend mit der Öffnung der chinesischen Wirtschaft für den Handel mit dem Westen Ende der Siebzigerjahre, war alles andere als gefährlich. Im Gegenteil, sie lieferte in den vergangenen 30 Jahren immer weiter steigende exorbitante Exporterfolge, begründete unter anderem die Position Deutschlands als Exportweltmeister, und die Zukunft schien in rosigen Farben. Die Kanzlerin und ihre Minister inklusive der politischen Führungen der Bundesländer geben sich in Peking die Klinke in die Hand, um tatkräftig die Exportsteigerungsraten zu flankieren.

Vor der schleichenden Gegenbewegung, nämlich der Transformation Chinas vom reinen Abnehmerland von Konsum- und Industriegütern über die Rolle der verlängerten Werkbank deutscher Konzerne bis hin zur eigenständigen chinesischen Produktion von genau den Gütern, die man bis dato eingeführt hat, hat man in Deutschland lange, viel zu lange die Augen verschlossen. Die zuletzt negative deutsch-chinesische Handelsbilanz zulasten Deutschlands ist ein quantitatives Indiz dafür. Nicht nur das: Europa und vor allem Deutschland hat, um die Exportraten von Autos und hochwertigen Industriegütern nicht zu gefährden, es mit freundlicher Unterstützung zugelassen, dass China eine in Deutschland entwickelte Zukunftstechnologie, nämlich die Photovoltaik, mit staatlich subventionierten Dumpingpreisen binnen weniger Jahre buchstäblich plattgemacht hat. Ähnliche Entwicklungen folgten auf dem Stahlmarkt und zeichnen sich auch auf anderen Wirtschaftsfeldern ab.

Derzeit sind wir damit konfrontiert, dass China sich anschickt, auf dem Feld der E-Mobilität, spezifisch, was die für die Wertschöpfung des E-Mobils hoch relevante Batterieproduktion angeht, den Weltmarkt zu beherrschen und vergleichbar zur Photovoltaik kaputt zu machen. Im Bereich Künstliche Intelligenz gilt es als ausgemacht, dass China Deutschland um Nasenlängen voraus ist. Parallel dazu treibt China weltweit riesige Infrastrukturprojekte wie das Projekt "Neue Seidenstraße" voran und geht auf aggressive Einkaufstour von Hightech bis zur Dienstleistung mit klingenden Namen wie das Innovationsjuwel Kuka Augsburg, die Edelschmiede Daimler-Benz und die Deutsche Bank, um nur einige Namen zu nennen.

Dass für Kuka keine "deutsche" Lösung gefunden wurde, ist ein Sündenfall

Chinesische Direktinvestitionen in Deutschland nehmen, wenn auch abgebremst, nach wie vor zu - 2018 stiegen sie auf 2,1 Milliarden Euro. Der hundertprozentige chinesische Aufkauf von Kuka war ein Schlüsselereignis. Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Kommissar Günther Oettinger (CDU) waren aus dem politischen Raum einsame Rufer in der Wüste und plädierten und agierten dafür, dass für Kuka eine "deutsche" Lösung gefunden wird, was reflexhaft die Hohepriester der reinen Lehre der Marktwirtschaft auf den Plan rief, die in ihren Wirtschaftskommentaren mehrheitlich von der Gefahr der Staatswirtschaft und einem möglichen Sündenfall fabulierten.

Um es ganz klar zu sagen: Die Nichtintervention war der Sündenfall. Dabei mutet es besonders seltsam an, dass die baden-württembergische Firma Voith heute ihre kritische Stimme erhebt und davon spricht, dass man den mächtigen Champions aus China etwas entgegensetzen müsste. Seltsam deshalb, weil genau die Firma Voith, die als Anteilseigner von Kuka bei dem China-Deal 1,3 Milliarden Dollar erlöst hat, zusammen mit der Firma Siemens in der Lage gewesen wäre, Kuka als Schlüsselfirma in der Fertigungsrobotertechnik in deutscher Hand zu behalten. Und es ist wenig glaubwürdig und bezeichnend, dass die Firma Siemens, die sich in der Causa Kuka vornehm herausgehalten hat, selbstverständlich nach staatlicher Intervention zu ihren Gunsten ruft, wenn es im Wettbewerb mit China in der Eisenbahntechnik um ihr Eigeninteresse geht.

Immerhin spät, viel zu spät, auch befeuert durch die Thesen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zur Entwicklung einer Industriepolitik, ist eine Diskussion über die Frage des strategischen Umgangs mit China in Gang gekommen, in der die reflexhafte Phalanx der Marktapologeten mehr und mehr aufgebrochen wird. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der sich bisher in der Rolle des Marktschreiers der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen gefallen hat, tritt mit 54 Forderungen zur Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen auf die Bremse.

Es wird langsam auch schwierig, argumentativ die freie Marktwirtschaft als Ideologie durchzuhalten, wenn die "freien Märkte" von den Wählern wie beim Brexit, von autokratischen Egomanen wie Trump, von Putin mit seiner russischen Staatswirtschaft oder durch die chinesische kommunistische Führung mehr oder weniger verrammelt werden. Letzteres ist in erschreckender Deutlichkeit nachzulesen in den Beschlüssen des Volkskongresses der chinesischen KP vom Oktober 2017, in denen es heißt, dass China die ihm zustehende Rolle als globale Weltmacht anstrebt und sowohl wirtschaftliche, militärische wie auch kulturelle Dominanz erringen will.

Was das unter anderem heißt, hat der Bundestag zu spüren bekommen, als er die Umerziehungslager für mehr als eine Million Uiguren diskutierte und eine barsche Protestnote der chinesischen Botschaft in Berlin erhielt. Dieses und die sehr problematische Menschenrechtssituation sind kein Thema für die deutsche Automobilindustrie, die sich immer mehr mit chinesischen Partnern verknüpft und in China immer mehr produziert, um in der E-Mobilität nicht noch weiter abgehängt zu werden. Was auch heißt, dass in vielen Fällen Funktionäre der chinesischen KP in die Entscheidungsorgane deutscher Firmen abgesandt werden und die Firmenentscheidungen mitkontrollieren.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht um brachiale Zollpolitik à la Trump, es geht nicht um Protektionismus, es geht darum, endlich die Appeasement-Ecke zu verlassen und für Waffengleichheit in den wirtschaftlichen Beziehungen zu sorgen und diese auch durchzusetzen. Davon sind wir leider noch weit entfernt.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2019
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