Forum:Und jetzt noch mal mit Integrität

Gegen Korruption und Betrug in der Wirtschaft hilft keine gesetzliche Wohlfühlpackung.

Von Matthias Jahn und Charlotte Schmitt-Leonardy

Dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vor wenigen Tagen einen Referentenentwurf für ein Verbandssanktionengesetz vorgelegt hat, kann man besonders mutig oder ausgesprochen unzeitgemäß finden. Dass er sich im Vergleich zu dem halboffiziellen Vorgängerentwurf aus dem vergangenen Sommer im Titel nicht mehr der "Bekämpfung von Unternehmenskriminalität" widmet, sondern der "Stärkung der Integrität der Wirtschaft", ist ein durchsichtiges semantisches Manöver, das die Zweifel eines großen Teils der deutschen Wirtschaft und des CDU-geführten Wirtschaftsministeriums zu zerstreuen helfen sollte. Es fügt sich in eine von Vordergründigkeit geprägte strafrechtspolitische Landschaft ein, in der man sich demnächst auch auf ein Untersuchungshaftchancengesetz einzurichten haben könnte. Tatsächlich sind aber die Inhalte für das Wirtschaftsleben zu bedeutsam, als dass man sie nur mit polemischer Zuspitzung beantworten sollte. Trotz unruhiger Zeiten dürfte der nunmehr in der Großen Koalition konsentierte Entwurf in absehbarer Zeit und in den Grundzügen unverändert seinen Weg ins Bundesgesetzblatt finden.

Mit dem Argument, dass das klassische, an Individuen gerichtete Strafrecht nicht länger geeignet ist, verbandsbezogene Straftaten angemessen zu adressieren und die Praxis der Bußgeldverhängung im Ordnungswidrigkeitenrecht zu einer uneinheitlichen Ahndung geführt habe, soll nun die "Verbandsverantwortlichkeit" eingeführt werden. Der Kerngedanke ist: Dem Unternehmen wird das Versagen der Leitungsebene zugerechnet. Das überzeugt nicht - ausschlaggebend ist aber, dass bereits die Grundbedingung der Sanktionierung im Strafrecht nicht erfüllt ist. Zurechnung und Verurteilung müssen auf dieselbe Person bezogen sein. Doch ist der Gesetzentwurf an dieser Frage desinteressiert. An keiner Stelle wird offengelegt, worin die genuine Verbandsverantwortung liegen soll. Das ist nicht nur ein akademischer Schönheitsfehler. Auf dieser schwankenden Grundlage kann nicht überzeugend zwischen den Verantwortungsanteilen des Unternehmens und denen der Mitarbeiter unterschieden werden. Dass auf Ebene der Zumessung der Verbandssanktion gesunde Unternehmensstrukturen, ein hochgezüchtetes Compliance-System und, vor allem, die rückhaltlose Kooperation bei der Aufklärung der Vorwürfe Milderungsfaktoren darstellen, vermag dies nicht auszugleichen.

Forum 27.4.

Prof. Dr. Matthias Jahn ist Direktor des Instituts für das Gesamte Wirtschaftsstrafrecht (IGW) und seit 15 Jahren nebenamtlich Richter am Oberlandesgericht.

(Foto: oh)

Man mag einwenden, dass die automatische Haftung für Leitungsversagen vielleicht im Einzelfall - und dies auch im monetären Sinn - unbillig, aber rechtsstaatlich nicht fundamental problematisch ist, weil das Justizministerium keinen Paradigmenwechsel hin zum echten Unternehmensstrafrecht will. In der Tat wird das Wort "Strafe" im Zusammenhang der Sanktionen ängstlich vermieden. Was aber reichlich zu finden ist, sind die Begriffe Kriminalität, Spezialprävention, Legalitätsprinzip und zahlreiche Verweise auf und Änderungen des Strafverfahrensrechts sowie ein robustes Sanktionsregime mit Beträgen von bis zu zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes bei großen Unternehmen. Trotz semantischer Distanzierung sprechen wir de facto über ein Unternehmensstrafrecht, das aus Rücksicht auf den Koalitionspartner so nur nicht heißen darf. Der Umstand, dass Verbände zuweilen von einer Individualtat profitieren, legitimiert einen zivilrechtlichen Haftungszusammenhang und den Entzug des Vorteils, nicht aber Strafe. Nutznießerschaft begründet keine Tatherrschaft. Nach monatelangem zähen Ringen zwischen Wirtschafts- und Justizministerium wurde immerhin als einziger Paragraf die "Todesstrafe für Unternehmen", die Auflösung des Verbandes, gestrichen. In der Tat war nie erkennbar, wie diese Sanktion mit dem Ziel der Resozialisierung von Unternehmen vereinbar sein sollte. Und das Zugeständnis hat vor allem symbolische Strahlkraft. Im produktionsorientierten Sektor mit hohen Umsätzen bei kleinen Gewinnmargen dürfte die Zehn-Prozent-Sanktionsregelung in ihrer Wirkung der "Todesstrafe" zuweilen funktional äquivalent werden.

Und auch prozessual ist der rechtsstaatliche Firnis dünn. Zwar "soll" nach dem aktuellen Entwurf die Sanktion bei Kooperation im Rahmen interner Untersuchungen gemildert werden, was im Vergleich zur früheren "Kann"-Regelung zu begrüßen ist. Doch muss die Weichenstellung zugunsten der Zusammenarbeit in einem frühen Ermittlungsstadium erfolgen, sodass eine Unternehmensverteidigung, die auf seriöse Sachverhaltsaufklärung gründet, nicht leicht denkbar ist. Und im Ganzen zeigt sich, keine 15 Jahre nach der Siemens-Korruptionsaffäre, bei der zum ersten Mal großflächig strafrechtliche Ermittlungen in die Hände von Anwaltsfirmen gelegt und damit teilprivatisiert wurden, dass die Abschmelzung des staatlichen Gewaltmonopols vom Gesetzgeber nicht nur aufgrund Ressourcenknappheit im Justizsystem stillschweigend geduldet, sondern aktiv umworben wird. So werden Unternehmen zwar Strafrechtsadressaten, müssen aber auf wesentliche Errungenschaften der strafprozessualen Stellung eines Beschuldigten verzichten.

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Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy ist Habilitandin am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt. Gemeinsam mit Prof. Dr. Matthias Jahn forscht sie zu Fragen der Sanktionen gegen Unternehmen.

(Foto: oh)

Zutreffend ist, dass einstürzende Textilfabriken in den Hinterhöfen Asiens keine bloße "Panne" sind - das kann die Bezeichnung "Unternehmenskriminalität" verdienen, die als Zugeständnis nun aus dem Entwurf eliminiert wurde. Auch im Zusammenhang mit systemischen Korruptions- und Betrugsvorwürfen gegen Dax-Unternehmen kann es in gravierenden Fällen angebracht sein, von strafrechtlichem Unrecht zu sprechen und es angemessen zu adressieren. Dieses im Einzelfall legitime Ziel rückt mit dem Branding des Berliner Entwurfs in den Hintergrund. Dabei hätte es eine ausgewogene kriminalpolitische Gesamtstrategie verdient. Sie müsste das Verhältnis von Individual- und Unternehmensverantwortung austarieren und dürfte die Findung der gerechten Balance nicht, wie jetzt, einer in weiten Bereichen überlasteten Strafjustizpraxis überlassen und über die Einführung des Strafverfolgungszwangs sogar noch forcieren, nur, um Zähne zu zeigen. So ist der Entwurf nach langem politischen Hin und Her eine Wohlfühlpackung, die hinter einem weiteren Arbeitsauftrag des Koalitionsvertrags einen Haken ermöglicht. Integrität wäre durch ein klares Konzept von Unrecht und Schuld in einem deutschen Unternehmenssanktionenrecht gefördert worden.

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