Forum:Steht ein Bärenmarkt bevor?

Shiller

Robert J. Shiller, 71, Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2013, ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale.

(Foto: Pedro Pardo/AFP)

In den USA könnte den Aktienmärkten eine Phase anhaltender Kurssenkungen drohen.

Von  Robert J. Shiller

Der amerikanische Aktienmarkt ist gerade von einer Phase des starken Gewinnwachstums und sehr geringer Volatilität geprägt. Heißt das, dass sich die Vereinigten Staaten in Richtung eines "Bärenmarktes" bewegen, also auf anhaltend sinkende Kurse? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick auf die Vergangenheit werfen und definieren, was einen Bärenmarkt ausmacht.

Die Medien von heute beschreiben einen "klassischen" oder "traditionellen" Bärenmarkt als einen Rückgang der Aktienkurse um 20 Prozent. Woher diese Definition stammt, ist unklar; möglicherweise ist sie auf den 19. Oktober 1987 zurückzuführen, als der Aktienmarkt binnen eines Tages um etwas mehr als 20 Prozent einbrach. Jedenfalls ist diese 20-Prozent-Marke mittlerweile weithin als Hinweis auf einen Bärenmarkt anerkannt.

Weniger Einigkeit scheint hinsichtlich des zeitlichen Rahmens zu bestehen, innerhalb dessen dieser Rückgang stattfindet. In Zeitungsberichten wurde früher kein Zeitraum erwähnt; Journalisten, die über dieses Thema schrieben, dachten offensichtlich, das tue der Genauigkeit keinen Abbruch.

Bei meiner Untersuchung von Amerikas Bärenmärkten verwendete ich die traditionelle 20-Prozent-Marke und fügte meinen eigenen zeitlichen Rahmen hinzu. Laut meiner Definition bestand der Spitzenwert vor einem Bärenmarkt im letzten 12-Monats-Hoch eines Jahres, bevor die Werte im Folgejahr in irgendeinem Monat um 20 Prozent darunter lagen. Wenn es eine fortlaufende Abfolge von Spitzenmonaten gab, zog ich für meine Untersuchung den letzten heran.

Unter Verwendung monatlicher Daten des S&P Composite und ähnlicher Informationen stellte ich fest, dass es in den USA seit dem Jahr 1871 lediglich 13 Bärenmärkte gab. Die Spitzenmonate vor diesen Bärenmärkten traten in den Jahren 1892, 1895, 1902, 1906, 1916, 1929, 1934, 1937, 1946, 1961, 1987, 2000 und 2007 auf. Einige berüchtigte Börsenzusammenbrüche - der Jahre 1968 bis 1970 und 1973/74 - befinden sich nicht auf der Liste, weil es sich dabei um längere und stufenweise Entwicklungen handelte.

Nach der Ermittlung der Bärenmärkte war es Zeit, die Aktienbewertungen davor auszuwerten, wobei ich einen Indikator verwendete, den mein Harvard-Kollege John Y. Campbell und ich im Jahr 1988 entwickelten, um langfristige Aktienkursgewinne zu prognostizieren. Dieses zyklisch adjustierte Kurs-Gewinn-Verhältnis (Cape) wird ermittelt, indem man den realen (inflationsbereinigten) Aktienindex durch den Durchschnittsgewinn in zehn Jahren dividiert, wobei über dem Durchschnitt liegende Cape-Werte unterdurchschnittliche Renditen bedeuten. Unsere Untersuchungen zeigten, dass der Cape-Wert ein einigermaßen probates Mittel ist, um reale Gewinne in einem Zeitraum von zehn Jahren vorherzusagen.

Der Blick in die Vergangenheit könnte beruhigen, aber ganz so einfach ist die Sache nicht

In diesem Oktober liegt der Cape-Wert in den USA bei etwas über 30. Das ist ein hoher Wert. Tatsächlich lag der durchschnittliche Cape-Wert zwischen 1881 und heute bei lediglich 16,8. Außerdem überschritt er in diesem Zeitraum den Wert von 30 nur zwei Mal: im Jahr 1929 und in den Jahren 1997 bis 2002. Das heißt allerdings nicht, dass hohe Cape-Werte nicht mit Bärenmärkten in Zusammenhang stehen. Im Gegenteil: In den Spitzenmonaten vor vergangenen Bärenmärkten lag der durchschnittliche Cape-Wert mit 22,1 höher als der Gesamt-Durchschnittswert, was darauf hinweist, dass dieser Wert vor einem Bärenmarkt tendenziell steigt. Überdies traten die drei Bärenmärkte mit unterdurchschnittlichen Cape-Werten in den Jahren 1916 (während des Ersten Weltkriegs), 1934 (während der Großen Depression) und 1946 (während der Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg) auf. Somit impliziert ein hoher Cape-Wert eine potenzielle Anfälligkeit für einen Bärenmarkt, obwohl es sich dabei keinesfalls um einen vollkommenen Prädiktor handelt.

Aber es scheint einige vielversprechende Informationen zu geben. Meinen Daten zufolge stiegen die realen S&P Composite-Gewinne seit 1881 im Schnitt um 1,8 Prozent jährlich. Im Gegensatz dazu betrug das Gewinnwachstum vom zweiten Quartal 2016 bis zum zweiten Quartal 2017 13,2 Prozent und lag damit um einiges über dem historischen jährlichen Wert.

Allerdings sinkt mit diesem starken Wachstum nicht die Wahrscheinlichkeit eines Bärenmarktes. Tatsächlich zeigte sich in den Spitzenmonaten vor Bärenmärkten der Vergangenheit tendenziell ebenfalls ein hohes reales Gewinnwachstum: nämlich durchschnittlich 13,3 Prozent jährlich im Falle aller 13 Bärenmärkte. Überdies lag das reale Gewinnwachstum am Markthöhepunkt vor dem größten jemals verzeichneten Kurssturz der Jahre 1929 bis 1932 bei 18,3 Prozent.

Eine weitere vermeintlich gute Nachricht besteht darin, dass die durchschnittliche Aktienkurs-Volatilität - berechnet durch die Ermittlung der Standardabweichung der monatlichen prozentualen Änderungen der realen Aktienkurse im Vorjahr - bei überaus niedrigen 1,2 Prozent liegt. Zwischen den Jahren 1872 und 2017 lag die Volatilität mit 3,5 Prozent beinahe drei Mal so hoch.

Doch auch das heißt nicht, dass sich kein Bärenmarkt nähert. Tatsächlich lag die Aktienkurs-Volatilität in dem Jahr, das den Spitzenmonaten im Vorfeld der 13 US-Bärenmärkte der Vergangenheit voranging, unter dem Durchschnitt, obwohl der aktuelle Wert niedriger ist, als der Durchschnittswert dieser Zeiträume von 3,1 Prozent. Im Spitzenmonat vor dem Crash von 1929 lag die Volatilität bei lediglich 2,8 Prozent.

Fazit: Der US-Aktienmarkt von heute erinnert sehr stark an die Spitzenzeiten im Vorfeld der meisten der 13 Bärenmärkte der Vergangenheit. Das soll nicht heißen, dass ein Bärenmarkt mit Sicherheit kommt - derartige Entwicklungen sind schwer zu prognostizieren, und der nächste Bärenmarkt könnte noch lange auf sich warten lassen. Und selbst wenn ein Bärenmarkt eintritt, liegen die Verluste für alle, die nicht zu Spitzenzeiten kaufen und am Tiefststand verkaufen, tendenziell unter 20 Prozent.

Allerdings soll meine Analyse als Warnung dienen. Anleger, die aufgrund falscher Wahrnehmungen der Geschichte heute ein zu hohes Aktienrisiko auf sich nehmen, könnten erhebliche Verluste erleiden.

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