Süddeutsche Zeitung

Forum:Schumpeter in der Corona-Krise

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Schöpferische Zerstörung und Querdenken: Die Pandemie kann einen Innovationsschub in Deutschland ausgelöst haben. Wie erfolgreich, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Von Friederike Welter

Seit gut einem halben Jahr beeinflusst die Corona-Pandemie unseren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alltag: Als im März der exogene Schock über die deutsche Volkswirtschaft hereinbrach, galt es zunächst, der schnellen Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken. Es kam zu weitgehenden Einschränkungen im Alltagsleben und in vielen Wirtschaftszweigen zu zeitweiligen Betriebsschließungen. Die nationalen Grenzschließungen verschärften die wirtschaftliche Lage in vielen mittelständischen Unternehmen, da ihnen auch der europäische Binnenmarkt nicht mehr zur Verfügung stand.

Um unmittelbar die negativen ökonomischen Folgen wie mangelnde Liquidität und untragbare Personalkosten abfangen zu können, brachte die Bundesregierung zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen für Selbstständige und Unternehmen auf den Weg. Für die meisten mittelständischen Unternehmen in Deutschland zahlte es sich zudem aus, dass sie ihre Eigenkapitalquote seit der Finanzkrise 2008/09 dank der guten Gewinnsituation deutlich gesteigert hatten. Nur unter den Kleinstunternehmen war der Anteil der Unternehmen hoch, die über kein Eigenkapital verfügten - und somit deutlich schneller in finanzielle Schwierigkeiten geraten konnten.

Sehr schnell bestätigte sich aber auch, dass Krisen "Zeiten des Ausprobierens und Herantastens" sind, wenn es um das wirtschaftliche Überleben geht: Ein Teil der mittelständischen Unternehmen konnte durch die zügige Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen eigenständig erste unmittelbare wirtschaftliche Folgen abfedern. Beispielsweise intensivierte der stationäre Handel seine Bemühungen, Produkte und Dienstleistungen über digitale Plattformen anzubieten. In vielen Unternehmen konnten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Homeoffice auf die Daten zugreifen; Videokonferenzen wurden für Vertriebs- und Serviceaktivitäten genutzt. Andere Unternehmen entwickelten neue Lieferkonzepte oder produzierten nun dringend benötigte Güter wie Desinfektionsmittel, Schutzmasken bzw. Komponenten für medizinische Geräte.

Mit anderen Worten: In der akuten Krise zeigte sich vielerorts, was Joseph Schumpeter als eigentliches unternehmerisches Handeln definierte: Innovatives Unternehmertum zeichnet sich durch schöpferische Zerstörung und Querdenken aus. Unter Umständen kann die Covid-19-Pandemie daher auch einen Innovationsschub in Deutschland ausgelöst haben. Inwieweit dies der Fall ist, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Von Mai an stellte der Ausstieg aus dem Lockdown angesichts der allgegenwärtigen komplexen sektoralen und internationalen Verknüpfungen einer modernen Volkswirtschaft sehr hohe Anforderungen an die politischen Gestalter: Ein asynchroner Ablauf musste unter Zeitdruck möglichst optimal geplant, durchgeführt und angepasst werden. Schließlich wäre ein möglicher Fehlschlag mit erheblichen Risiken verbunden gewesen. Nicht zuletzt die zügige Öffnung der innereuropäischen Grenzen trug dazu bei, dass der Binnenmarkt und der internationale Warenverkehr europaweit zur Wiederbelebung der mittelständischen Wirtschaft führen konnten.

Mit der Umsetzung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets im Sommer wurden weitere Schritte zur wirtschaftlichen Bewältigung der Covid-19-Krise eingeleitet. Die asynchrone weltweite Entwicklung der Pandemie und die immer wieder aufflammenden regionalen Hotspots machen jedoch die Wiederbelebung bzw. Aufrechterhaltung der Unternehmenstätigkeit zu einer kontinuierlichen Herausforderung für Politik und Wirtschaft: Solange es keinen nachweislich wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 gibt, wird die Lage einzelner Wirtschaftsbereiche aufgrund von verschärften Kontakteinschränkungen auch weiterhin angespannt bleiben. Hierzu zählen sowohl die Veranstaltungswirtschaft als auch das Gastgewerbe oder die Kultur-, Unterhaltungs- und Freizeitwirtschaft. Gleichwohl kann es aber auch in bislang weniger krisenbetroffenen Wirtschaftsbereichen zu Liquiditätsengpässen kommen - insbesondere, wenn strukturprägende Unternehmen insolvent werden und hierdurch ein Domino-Effekt auf andere Wirtschaftsunternehmen ausgelöst wird.

Es sollten vor allem solche Firmen unterstützt werden, die den Aufschwung tragen

Ebenso besteht weiterhin die Gefahr, dass international tätige Unternehmen unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, wenn ihre Lieferketten und Absatzmärkte durch neue Lockdowns in anderen Staaten zusammenbrechen. Dennoch gilt es dem gelegentlich laut werdenden Ruf nach "nationalen Wertschöpfungsketten" entschieden entgegenzugetreten: Eine Re-Nationalisierung verringert schließlich sowohl die Produktivität als auch die Fähigkeit, auf Krisen wirksam reagieren zu können. Bestrebungen nach stärkerer nationaler - auch europäischer - Isolierung gehen daher in die falsche Richtung.

Schwierig gestaltet sich die Frage nach der weiteren Ausgestaltung der Mittelstandspolitik in der Pandemie. Die breite und massive Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft, die seit März in Form von Liquiditätshilfen, Kurzarbeitergeld sowie Einkommensersatzleistungen für Unternehmerinnen und Unternehmer erfolgte, ist zu befürworten. Schließlich hat sie deutlich stärkere wirtschaftliche Verwerfungen aufgefangen. Gleiches gilt für die Lockerung von gesetzlichen Regelungen, wie beispielsweise der vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Gleichwohl dürfen ordnungspolitische Aspekte bei der Verlängerung von Unterstützungsmaßnahmen und der Einführung neuer Programme nicht gänzlich aus dem Blick geraten. Idealerweise sollten im weiteren Krisenverlauf vor allem solche Unternehmen unterstützt werden, die den wirtschaftlichen Aufschwung während und nach der Pandemie mittragen können. Weniger empfehlenswert ist es, auf Dauer diejenigen Bestandsunternehmen zu stützen, deren Perspektiven am Markt aufgrund des zu erwartenden Strukturwandels zweifelhaft sind.

Stattdessen könnte die Politik im Hinblick auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen prüfen, inwieweit die vorübergehenden bürokratischen Erleichterungen nicht beispielhaft für dauerhafte Lösungen sein könnten. Angesichts der kumulativen Wirkung, mit denen neue bürokratische Vorgaben meist verbunden sind, wäre es umso wichtiger, mögliche neue Regulierungen äußerst zurückhaltend anzugehen bzw. ganz zu vermeiden. Dies gilt sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Hierdurch könnte die mittelständische Wirtschaft besonders nachhaltig gefördert werden.

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