Süddeutsche Zeitung

Forum:Plädoyer für die berufstätige Mutter

Lesezeit: 3 min

In Deutschland gibt es noch erheblichen Nachholbedarf im Umgang mit Frauen, die arbeiten und Kinder erziehen. Innerhalb unserer Gesellschaft mangelt es an Respekt und Wertschätzung für diese Leistung.

Von Yasmin Mei-Yee Weiß

Wohlwollen, Empathie, Respekt, Wertschätzung - es sind Begriffe, die völlig zu Recht Eingang in die niedergeschriebenen Unternehmenswerte und Führungsleitlinien von Unternehmen und Organisationen gefunden haben, um die Art des gewünschten Umgangs miteinander zu beschreiben.

Doch wir alle wissen, dass nicht Worte Realitäten schaffen, sondern das tatsächliche Verhalten aller Mitarbeiter und Führungskräfte. Nicht gedruckte Hochglanzbroschüren, auf denen steht, dass man ein familienfreundlicher Arbeitgeber ist, sind ein Spiegel von vorbildlichem Verhalten gegenüber berufstätigen Müttern, sondern die reellen Erfahrungen der Betroffenen. Nicht das Gedruckte zählt, sondern das Erlebte. Wo stehen wir in Deutschland tatsächlich, wenn es um Einstellung und Verhalten von Kollegen, Vorgesetzten und auch der Gesellschaft gegenüber berufstätigen Müttern, insbesondere von noch kleinen Kindern geht, die den äußerst anspruchsvollen Spagat aus intensiver Familienzeit und Berufstätigkeit auf sich nehmen? Erfährt diese Zielgruppe in der gelebten Praxis ausreichend Wohlwollen, Empathie, Respekt und Wertschätzung? Werden Rücksichtnahme, Unterstützung und Verständnis großgeschrieben? Wohl kaum, wenn man die weitverbreiteten Probleme betrachtet, von denen eine Vielzahl der berufstätigen Mütter ein trauriges Liedchen singen kann.

Berufstätige Mütter kämpfen um Betreuungsplätze für ihre kleinen Kinder, oftmals schon pränatal und ohne Garantie, was die Verfügbarkeit und die Qualität der Betreuungsplätze betrifft. Sie kämpfen gegen das Image an, potenziell Rabenmütter zu sein, die zugunsten ihrer Karriere schnell wieder in den Job zurückkehren und dafür ihre Kinder in die Fremdbetreuung geben. Sie kämpfen gegen ein schlechtes Gewissen an, weil sie sich entgegen veralteten Rollen- und Familienmodellen verhalten, die in Deutschland und insbesondere in Bayern noch weitverbreitet sind. Und die zudem sehr oft von ihren eigenen Vorgesetzten und Kollegen gelebt und damit bewusst oder unbewusst für richtig befunden werden. Nach der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz - oftmals zwangsläufig in Teilzeit - kämpfen sie um interessante Aufgaben, die ihrem Potenzial entsprechen. Sie kämpfen darum, für weitere Personalentwicklungsmaßnahmen und Karriereschritte in Betracht gezogen zu werden. Sie kämpfen gegen eingeforderte Präsenzzeiten am Arbeitsplatz, die dank moderner Technologien im 21. Jahrhundert nicht mehr zwingend begründet sind und doch so oft von rückwärtsgewandten Kollegen und Führungskräften eingefordert werden. Sie kämpfen gegen ihre Müdigkeit an, weil sie ihre kleinen Kinder auch nachts betreuen müssen, da schon rein biologisch bei bestimmten Aufgaben die Mütter stärker als die Väter gefordert sind. Sie kämpfen gegen ein begrenztes Zeitbudget von 24 Stunden pro Tag an, in denen sie all ihre diversen Aufgaben unterbringen müssen, die sich aus der Kombination aus privaten und beruflichen Rollen ergeben. Sie kämpfen gegen Lohnungleichheit an, wenn Arbeitgeber Leistungsboni nicht an Leistung, sondern an Präsenz koppeln.

Führungskräfte sollten nicht fragen: Warum?, sondern sagen: Warum nicht?

Berufstätige Mütter sind tatsächlich an der ein oder anderen Stelle in ihrem vollen Leistungsvermögen vorübergehend eingeschränkt, sodass Kollegen stärker einspringen müssen. Ja, sie fallen während des Mutterschutzes und anschließender Elternzeit aus. Ja, sie können nicht an ihren Arbeitsplatz kommen, wenn eines der Kinder krank ist. Ja, sie arbeiten oftmals in Teilzeit und sind nicht nach Belieben für Präsenztermine verfügbar. Aber aus einer holistischen Makroperspektive heraus betrachtet sprechen viele individuelle sowie gesellschaftliche Gründe dafür, dass Frauen ihre Berufstätigkeit fortsetzen, wenn sie Kinder haben.

Erstens: Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, dessen ökonomische Stärke und gesellschaftlicher Wohlstand auf den intellektuellen Ressourcen seiner Arbeitskräfte beruht. Wir können es uns nicht leisten, auf die Leistungs- und Innovationskraft der Mütter zu verzichten. Zweitens: Durch die demografische Entwicklung entsteht eine erhebliche Fachkräftelücke, die noch schlimmer ausfällt, wenn wir qualifizierte Mütter verlieren. Drittens: Berufstätige Mütter leisten erhebliche Beiträge als Steuer-, Renten- und Krankenkassenbeitragszahler, ohne die unser umlagenbasiertes System nicht funktionieren würde. Viertens: Berufstätige Mütter setzen die nächste Generation an Steuerzahlern in die Welt und tun ihr Bestes, für ihre Kinder gute Vorbilder zu sein. Fünftens: Wir leben in Zeiten, in denen oftmals zwei Einkommen für ein auskömmliches und sicheres Familieneinkommen erforderlich sind. Sechstens: Berufstätige Mütter erhalten sich ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und sind in Krisenfällen sowie im Alter seltener von Zuwendungen aus dem Sozialsystem abhängig. Siebtens: Berufstätige Mütter bleiben am Ball, erhalten ihre Lernfähigkeit, zum Beispiel im Umgang mit neuen Technologien, und sind auf die Anforderungen unserer schnelllebigen Welt vorbereitet.

Natürlich gelten all diese Thesen gleichermaßen auch für alle berufstätigen Väter, wenn sie die Hauptlast bei den Familienaufgaben tragen. Und die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Selbstverständlich steht es jedem zu, individuelle Entscheidungen bezüglich Berufstätigkeit und Familienmodell zu wählen, aber die Vielzahl an individuellen Entscheidungen entfaltet eine gesamtwirtschaftliche Auswirkung. Und unser Gesamtsystem funktioniert ohne die berufstätigen Mütter nun mal nicht. Es ist also Zeit, eine Lanze für sie zu brechen. Und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern im täglichen Umgang mit ihnen. Was heißt das konkret? Zum Beispiel, ihnen Verständnis und erlebbare Unterstützung für ihre Mehrfachbelastungen entgegenzubringen. Ihnen unnötige Hürden aus dem Weg zu räumen, um ihnen das Spannungsfeld aus beruflichen und familiären Aufgaben zu erleichtern. Wenn berufstätige Mütter mit Vorschlägen an ihre Vorgesetzten herantreten, wie sich ihre beruflichen Aufgaben mit familiären Verpflichtungen besser vereinbaren lassen, zum Beispiel in Form von Telearbeit, sollte die Führungskraft nicht fragen: "Warum?", sondern sagen: "Warum nicht?"

Gefragt ist also ein Paradigmenwechsel, wie berufstätige Mütter gesehen werden. Dabei sollte ihre gesamtgesellschaftliche Leistung stärker in den Mittelpunkt rücken. Dann wird auch klarer, warum berufstätige Mütter es verdient haben, von ihren Führungskräften, Kollegen und der Gesellschaft so behandelt zu werden, wie es in den vielen Hochglanzbroschüren steht: mit Wohlwollen, Empathie, Respekt und Wertschätzung.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2017
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