Forum:Länger arbeiten?

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Die Union will das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln, um die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren. Das kann aber nur mit einem wirksamen Schutz vor Altersarmut funktionieren.

Von Johannes Geyer und Peter Haan

Lebt man länger, sollte man auch länger arbeiten. So die eigentlich ziemlich einleuchtende Idee hinter dem jüngsten Vorschlag der Union, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, um die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren. Ohne zusätzliche Maßnahmen wäre aber eine solche Reform zu kurz gegriffen.

Durch eine Anhebung des Renteneintrittsalters wird die Rentenkasse gleich doppelt entlastet: die Versicherten zahlen länger Beiträge, die Rentner beziehen die daraus resultierende höhere Rente über eine kürzere Zeit. Eine Kopplung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung würde diesen entlastenden Effekt dauerhaft sicherstellen. So würde das Rentenniveau nicht unter 43 Prozent sinken - wie aktuell prognostiziert - und könnte langfristig auf einem Niveau von über 46 Prozent gehalten werden, ohne dass der Beitragssatz zu stark steigen müsste.

Die Erfahrungen aus früheren Rentenreformen stützen diese Erwartung. So führte die Anhebung des Renteneintrittsalters in der Vergangenheit zu deutlichen Beschäftigungseffekten bei den Älteren und einer Erhöhung des tatsächlichen Renteneintrittsalters.

Allerdings ist diese Sichtweise sehr einseitig, denn sie unterschlägt, dass es vielen Menschen nicht möglich ist, bis ins höhere Alter erwerbstätig zu bleiben. Deswegen stehen den positiven fiskalischen Effekten einer Anhebung des Rentenalters erhebliche Risiken für eine Zunahme von Renteneintritten nach vorhergehender Beschäftigungslosigkeit und mit Abschlägen gegenüber. Diese könnten zu einer zunehmenden Ungleichheit der Alterseinkünfte und zu Altersarmut führen. Insbesondere besteht das Risiko solch "prekärer Übergänge" für Menschen mit gesundheitlichen Problemen, die nicht bis ins höhere Alter arbeiten können. Oft liegt es einfach an der belastenden körperlichen Arbeit beispielsweise in Berufen mit einem hohen Anteil manueller Tätigkeiten, die Ältere nicht mehr ausführen können.

Ob es diesen Menschen gelingt, im höheren Alter den Beruf zu wechseln, oder ob sie an altersgerechten Arbeitsplätzen im gleichen Betrieb weiterarbeiten können, ist mehr als unsicher. Bei geringen Wiederbeschäftigungschancen sind sie gezwungen, entweder mit Abschlägen in die Rente zu gehen, oder aber die Zeit bis zum Renteneintritt in Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Neben einer Beschäftigung in belastenden Berufen ist auch ein niedriges Bildungsniveau oft mit einem vorzeitigen Erwerbsaustritt verknüpft. Diese Menschen haben im gesamten Erwerbsleben niedrige Beschäftigungschancen, die sich in unterbrochenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen zeigen. Deswegen können sie ihre ohnehin schon geringen Renten in der Regel auch nicht durch private Vorsorge kompensieren.

Bei dem Risiko Erwerbsminderung ist die Problematik ähnlich. Durch einen Anstieg des Renteneintrittsalters wird das Risiko der Altersarmut für Menschen mit gesundheitlichen Problemen vermutlich zunehmen, da die Zeit bis zum regulären Renteneintritt steigt.

Bereits 2015 waren 17 Prozent aller Rentenzugänge Erwerbsminderungsrenten, das Renteneintrittsalter lag für die Betroffenen bei gut 51 Jahren. Durch die vergangenen Rentenreformen, insbesondere durch Abschläge und Absenkung des Rentenniveaus, hat sich das Armutsrisiko im Falle einer Erwerbsminderung bereits heute stark erhöht. Dieses Risiko würde durch eine weitere Verlängerung des Erwerbslebens zunehmen. Die geschilderte Problematik ist im Zusammenhang mit der Rente mit 67 oft diskutiert worden, aber außer einer Erhöhung der Zurechnungszeit bei Erwerbsminderung im Jahr 2014 ist jedoch wenig passiert, um dem entgegenzuwirken.

Der jüngste Bericht der Bundesregierung zur Anhebung des Rentenalters betont in erster Linie die Chancen eines längeren Erwerbslebens, ohne ausreichend auf diese Probleme einzugehen. Stattdessen wird die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte als Mittel dargestellt, besonders gefährdeten Personen mit langen harten Erwerbsbiografien zu helfen. Wer sich aber für die Rente mit 63 qualifiziert, hat "Glück" gehabt. Die Tatsache, dass diese Personen eine lange Versicherungszeit aufweisen, deutet darauf hin, dass sie lange gesund geblieben sind und ihre Qualifikation am Arbeitsmarkt nachgefragt wurde. Beschäftigte in besonders belastenden Berufen schaffen es oft gar nicht, im höheren Alter erwerbstätig zu bleiben.

Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters oder gar eine Kopplung der Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung könnte zwar das Rentensystem nachhaltig stabilisieren - aus sozialpolitischer Sicht birgt diese Reform jedoch massive Risiken. Gleichwohl muss der Unionsvorschlag nicht gleich abgelehnt werden, wie es die SPD und die Gewerkschaften getan haben. Vorstellbar wäre, dass man den Vorschlag in ein Gesamtkonzept einbettet, um ihn so sozialverträglicher zu gestalten.

Wenn es politisch gewollt ist, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln, muss diese Politik durch Maßnahmen flankiert werden, die die sozialen Risiken abfedern. Dazu müsste der Rentenzugang stärker flexibilisiert werden: Starre Altersgrenzen werden dem zukünftigen Bedarf nicht gerecht. In vielen Berufen ist der Bedarf nach einem Aus- oder Umstieg schon vor dem Alter von 60 Jahren gegeben. Hier sind Lösungen gefragt, die es Beschäftigten erlauben, auch im höheren Alter ihren Beruf noch einmal zu wechseln, und Regelungen, die den gleitenden Übergang in die Rente erleichtern. Ein Beispiel wäre die Möglichkeit des Bezugs der Teilrente auch vor dem Alter von 63. Es muss darüber hinaus eine Erwerbsminderungsrente geben, die Gesundheitsrisiken auch wirklich abdeckt, also neben verstärkter Prävention einen ausreichend hohen Einkommensschutz bietet. Die weiter bestehenden Armutsrisiken sollten durch eine Verbesserung der steuerfinanzierten Grundsicherung abgesichert werden. Neben einer Erhöhung der zu niedrig bemessenen Regelsätze ist es notwendig, Freibeträge für Einkommen aus Vermögen und der gesetzlichen Rente zu schaffen.

Zugegeben, solche Maßnahmen wären teuer und würden einen Teil der positiven fiskalischen Effekte einer Anhebung des Renteneintrittsalters wieder wettmachen. Sie sind aber zwingend notwendig, um Altersarmut künftig nicht ansteigen zu lassen und das Vertrauen in die soziale Sicherung zu erhalten.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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