Bei den Sondierungsgesprächen hat man sich auf den Vorschlag der SPD geeinigt, eine "Solidarrente" einzuführen. Sie soll nun "Grundrente" heißen. Urheber der Idee ist die frühere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die als Erste eine "Lebensleistungsrente" gefordert hat. Allerdings haben sich ihre Vorschläge nicht umsetzen lassen. Auch das jetzt vereinbarte Modell wird scheitern. Es benachteiligt diejenigen, die eine gesetzliche Rente beziehen, gegenüber denjenigen, die eine betriebliche oder private Rente erhalten. Das darf nicht sein.
Die "Grundrente" will Altersarmut bekämpfen und eine "Lebensleistung" anerkennen. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, soll, wenn sein Einkommen im Alter nicht reicht, mehr haben als nur die subsidiäre, von der Bedürftigkeit abhängige sozialhilferechtliche Grundsicherung. Deshalb soll die neue Rente langjährig Beschäftigten im Alter ein Einkommen in Höhe von zehn Prozent oberhalb des regional durchschnittlichen Bruttobedarfs der Grundsicherung gewährleisten, 2018 wären es rund 880 bis 900 Euro im Monat. Voraussetzung sind 35 Jahre mit Pflichtbeiträgen und (vor allem) Kinderberücksichtigungszeiten (je Kind meist sieben Jahre). Der Berechtigte muss zudem bedürftig sein, sein Einkommen und das seines Partners werden angerechnet. Zuständig soll die Rentenversicherung werden, die wohl auch ordnungspolitisch falsch die Kosten für diese nicht beitragsgedeckte Hilfeleistung zu tragen hat.
Das gleiche Problem stellt sich, wenn betriebliche oder private Renten bei der Grundsicherung zu berücksichtigen sind. Für sie ist jedoch von 2018 an ein Freibetrag für Altersvorsorge eingeführt worden. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei der Grundsicherung werden bis zu 208 Euro (2018) monatlich aus einer freiwilligen zusätzlichen Altersvorsorge des Berechtigten nicht als Einkommen angerechnet. Besondere zeitliche Voraussetzungen gibt es keine. Zuständig sind die Sozialhilfeträger. Dieser Freibetrag soll ein Anreiz für Geringverdiener sein, mehr zusätzlich für das Alter vorzusorgen. Freibeträge gibt es auch, wenn der Hilfebedürftige Erwerbseinkommen erzielt. Sie sind je nach Art des Einkommens unterschiedlich hoch. Auch bei der Anrechnung von Vermögen kennt das Sozialhilferecht Freibeträge.
Der Freibetrag sollte auch für gesetzliche Renten gelten
Käme die neue "Grundrente", gäbe es für das gleiche Grundproblem, Anrechnung von Renten auf Sozialhilfeleistungen, verschiedene Lösungsansätze mit unterschiedlichen Auswirkungen: Die Grundrente käme wegen der langen zeitlichen Voraussetzungen nur wenigen Rentnern zugute, könnte also nur in sehr geringem Maße Altersarmut beseitigen. Gezahlt würden jedoch Beträge, die zumeist höher wären als der Freibetrag für Altersvorsorge. Davon würden aber, da nirgendwo gespeichert ist, ob jemand vollzeit- oder teilzeitbeschäftigt war, in den nächsten Jahrzehnten überwiegend nur Personen profitieren, die langjährig nur halbtags oder geringfügig beschäftigt waren. Der sozialhilferechtliche Freibetrag für Altersvorsorge hilft hingegen allen Betriebsrentnern, die im Alter ergänzend auf die Grundsicherung angewiesen sind, da keine 35 Beitragsjahre vorausgesetzt werden. Dass es einen Freibetrag nur für Betriebsrenten, nicht aber auch für gesetzliche Renten gibt, ist kaum zu erklären und nur schwer mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Deshalb mehrten sich die Stimmen, die eine Freibetragsregelung auch für gesetzliche Renten vorgeschlagen haben.
Die Sondierer hätten auf sie hören sollen. Die neue Leistung, auf die sie sich verständigt haben, ist unsystematisch und benachteiligt die gesetzlich Rentenversicherten. Eine sachgerechte Lösung kann nur im Sozialhilferecht gefunden werden; dort ist das Problem angesiedelt und zwar bei der Bestimmung des auf die Hilfe zum Lebensunterhalt beziehungsweise auf die Grundsicherung anzurechnenden Einkommens. Dabei Freibeträge einzuführen, ist ein systemkonformer Ansatz, der in das Gesamtkonzept der Regelungen für das Zusammentreffen von Einkommen beziehungsweise Einkommensersatzleistungen und Vermögen auf die Sozialhilfe beziehungsweise Grundsicherung hineinpasst. Es besteht kein Grund, nur bei dem Zusammentreffen von gesetzlicher Rente und Sozialhilfe hiervon abzuweichen. Diese Abweichung wäre umso weniger einsichtig, als sie die Personen, die eine gesetzliche Rente beziehen, auch noch erheblich benachteiligt. Ihnen steht, weil sie pflichtversichert waren, im Fall der Not der Freibetrag für Altersvorsorge nicht zu, er setzt eine freiwillige zusätzliche Altersvorsorge voraus; die "Grundrente" erhalten sie nur, wenn sie 35 Pflichtbeitragsjahre aufweisen können, wenn nicht, bekommen sie weder das eine noch das andere, sie gehen leer aus. Würde der Freibetragsansatz auch für gesetzliche Renten gelten, würde er allen Rentnern helfen und nicht nur, wie bei der "Grundrente" vorgesehen, den langjährig Versicherten. Daher käme der auch hier vorgeschlagene Freibetrag wesentlich mehr Versicherten und vor allem auch Frauen zugute, die nur selten Anspruch auf die Grundrente hätten. Er wäre ein wirksamer Ansatz gegen Altersarmut.
Er würde zudem Brüche vermeiden. Freiwillig in der Rentenversicherung Versicherte können den Freibetrag erhalten, von der Grundrente wären sie ausgeschlossen. Da trotz der Grundrente in vielen Fällen ergänzende Leistungen der Sozialhilfe notwendig sind, wird eine Doppelprüfung der Bedürftigkeit bei Sozialhilfe- und Rentenversicherungsträgern zur Regel. Wie die bundesweit agierende Deutsche Rentenversicherung Bund ortsnah die Bedürftigkeit prüfen soll, ist ohnehin ein Rätsel.
Die Politik muss einsehen, dass sie mit der im Ansatz richtigen Einführung von Freibeträgen für Altersvorsorge ungewollt das Konzept der "Grund-" oder "Solidarrente" endgültig hat obsolet werden lassen. Alle Vorgängermodelle sind gescheitert. Weil die "Grundrente" nun auch noch die gesetzlich Rentenversicherten im Vergleich zu Betriebsrentnern deutlich schlechterstellen würde, lässt auch sie sich nicht realisieren. Das Konzept ist gescheitert.
Der richtige Lösungsansatz ist, die zu enge Beschränkung der geltenden Freibetragsregelung nur auf freiwillige Vorsorge aufzugeben und die Regelung auf alle Vorsorgeformen, insbesondere auch auf die gesetzliche Rente, auszudehnen. Der Gesetzgeber könnte dann auch überlegen, ob er Hilfebedürftigen - es sind zumeist Frauen, die Kinder erziehen - nicht auch eine entsprechende Vergünstigung einräumt. Es bieten sich ihm also weitere Wege an, Altersarmut zu vermeiden, er muss sich nur richtig entscheiden. Noch ist es nicht zu spät.