Süddeutsche Zeitung

Forum:Im Vertrauen gesagt

Viele Menschen suchen Werte in der Arbeitswelt, die dort gar nicht hingehören. Das schafft nur Frustration. Ein Gastbeitrag.

Von Michael Bordt

Wenn über zwischenmenschliche Beziehungen in der Arbeit gesprochen wird, fällt auf, dass dabei zunehmend Begriffe benutzt werden, die ursprünglich vor allem im Kontext von Freundschaften oder anderen tiefen persönlichen Beziehungen gebraucht wurden. Vertrauen und Wertschätzung beispielsweise, Anerkennung oder auch einen Dialog auf Augenhöhe. Dass diese Werte auf einmal im Arbeitsleben so stark thematisiert werden, kann daran liegen, dass sie früher selbstverständlich waren, nun aber abhandengekommen sind. Auf grundlegende menschliche Bedürfnisse, so meint man, werde keine Rücksicht mehr genommen. Das könne so nicht weitergehen.

Es besteht die Gefahr, dass die Erwartungen unrealistisch werden

Dass persönliche Wertschätzung, Vertrauen und Anerkennung in der Arbeit gesucht werden, kann aber auch ein Ausdruck dafür sein, dass die Unterscheidung zwischen der Arbeitswelt und dem privaten Leben nicht mehr so klar gezogen werden kann und als Folge davon auch in der Arbeit partnerschaftliches Miteinander gesucht wird. Die Gefahr daran ist, dass damit verbundene Erwartungen unrealistisch werden, weil eine Arbeitsbeziehung sie per se nicht erfüllen kann - und vielleicht auch nicht erfüllen sollte. Besonders klar zeigt sich das daran, wie über Vertrauen gesprochen wird.

Vertrauen ist eine persönliche Kategorie, die im Wesentlichen durch drei Momente charakterisiert ist. Wenn ich mich entschließe zu vertrauen, akzeptiere ich erstens bewusst die Möglichkeit, verletzt zu werden, selbst wenn ich natürlich sehr stark hoffe, dass mein Vertrauen nicht enttäuscht und mir kein Schaden zugefügt wird. Wenn ich beispielsweise jemandem eine dunkle Seite meiner Biografie im Vertrauen darauf erzähle, dass er das für sich behält, gehe ich das Risiko ein, dass derjenige, dem ich mein Vertrauen schenke, sein Wissen gegen mich wenden könnte, mich öffentlich bloßstellt und verletzt.

Zur Person

Michael Bordt, 54, arbeitet seit 1997 an der Hochschule für Philosophie in München, ab 2004 als Professor für Ästhetik, philosophische Anthropologie und Geschichte der Philosophie.

Zum Vertrauen gehört zweitens die Annahme, dass derjenige, dem ich vertraue, meine Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt. Ich erwarte, dass er nicht einmal zu überlegen beginnt, was er mit dem Wissen anfangen und ob er einen persönlichen Gewinn daraus ziehen könnte. Mein Interesse daran, das Geheimnis zu wahren, ist ihm Grund genug, es für sich zu behalten.

Zum Vertrauen gehört drittens, dass ich anfange, ernsthaft an mir zu zweifeln, wenn mein Vertrauen schwer missbraucht worden ist. Natürlich bin ich fassungslos über denjenigen, der mein Vertrauen missbraucht hat, aber ich frage mich auch, wie es mir passieren konnte, ihm mein Vertrauen überhaupt geschenkt zu haben. Ich werde mir selbst fremd. Worin besteht meine Schwäche, die mich dazu gebracht hat, jemandem so blind und naiv zu vertrauen?

Diese drei Momente, die es uns erlauben, von Vertrauen zu sprechen, spielen in den allermeisten Arbeitsbeziehungen keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Wenn jemand sein Vermögen bei einer Bank anlegt, wenn jemand Verträge mit Zulieferern abschließt oder einen neuen Mitarbeiter einstellt, dann ist er nicht bewusst bereit, sich persönlich verletzen zu lassen. Natürlich geht man in allen Fällen ein Risiko ein, manchmal auch ein großes, aber nicht das Risiko, tief und persönlich verletzt zu werden. Man möchte sich auf die Bank, den Zulieferer oder seinen Mitarbeiter schlicht und einfach verlassen können. Man erwartet nicht Vertrauenswürdigkeit, sondern Professionalität.

Professionalität als Fundament von Verlässlichkeit. Ferner erwarte ich auch nicht, dass die Bank, der Zulieferer oder der Mitarbeiter meine eigenen Interessen und Bedürfnisse in ihrer Arbeit berücksichtigen. Ich verlasse mich viel mehr auf ihr Eigeninteresse. Es ist im Eigeninteresse der Bank, mein Vermögen gut anzulegen. Es ist das Eigeninteresse des neuen Mitarbeiters, gute Arbeit zu machen, weil ich davon ausgehe, dass er selbst Karriere machen oder im schlimmsten Fall seine Arbeit nicht verlieren möchte.

Wenn Banken, Zulieferer oder Mitarbeiter meine Erwartungen enttäuschen, dann stelle ich mich nicht selbst infrage. Ich fange nicht an, darüber nachzudenken, wie es mir nur passieren konnte, so blind gewesen zu sein und mein Vermögen einer großen Bank überlassen zu haben. Wenn ich einen ungeeigneten Mitarbeiter eingestellt habe, frage ich mich vielleicht, ob ich ihm zu viel zugetraut habe und ihm Aufgaben anvertraut habe, die ihn überfordert haben. Ich habe ihn vielleicht überschätzt. Aber ich beginne nicht, mich und meine Einschätzung von Arbeitskräften grundsätzlich infrage zu stellen.

Es gibt allerdings ein Interesse daran, professionelle Beziehungen als Vertrauensbeziehungen zu definieren. Aber dieses Interesse ist fragwürdig. Wenn der Bankangestellte mein Vermögen nicht so gewinnbringend anlegt, wie ich es mir erhofft habe, und ich dann von einem Vertrauensbruch rede, erhöhe ich den Druck auf ihn, weil ich ihn als ganzen Menschen für das Ergebnis verantwortlich machen möchte. Wenn ein Familienunternehmer von Vertrauensbeziehungen zu seinen Mitarbeitern spricht, dann vielleicht, weil die Arbeit ein Familienersatz für ihn ist und er seine Mitarbeiter auf diese Beziehung einschwören will, damit sie sich ihm auch persönlich verpflichtet fühlen. Freilich gibt es auch Arbeiten, die auf Vertrauensbeziehungen angewiesen sind. Das gilt vor allem, wenn Menschen eng zusammenarbeiten müssen. Beschäftigte in kleinen Unternehmen, Gründungen und Start-ups sind auf gegenseitiges Vertrauen ebenso angewiesen wie bei Arbeiten in festen Teams. Immer dann, wenn Menschen eng zusammenarbeiten, bekommen die Kolleginnen und Kollegen auch die Fehler mit, die jemand macht. Sie kennen über kurz oder lang die Schwächen des anderen - und könnten diese ausnutzen und gegen ihn wenden. Hier beginnen Vertrauensbeziehungen.

Die Unterscheidung zwischen Vertrauen und Verlässlichkeit ist keine begriffliche Petitesse, selbst wenn sie im Einzelfall nicht immer so scharf gezogen werden kann. Es macht aber einen großen Unterschied, ob ich jemandem vorwerfe, er sei nicht vertrauenswürdig oder nicht verlässlich. Der Vorwurf missbrauchten Vertrauens zielt auf die Person. Er ist eine kommunikative Sackgasse und vergiftet die Arbeitsatmosphäre. Der Vorwurf, nicht verlässlich zu sein, stellt uns als Person nicht infrage. Auf ihn können wir reagieren.

Wir können uns verteidigen und nach Lösungen suchen. Meine Empfehlung: Wir sollten das Vertrauen zwischen Menschen dort lassen, wo es hingehört, in enge persönliche Beziehungen, auch in enge Arbeitsbeziehungen. Es aber allzu oft in der Arbeitswelt suchen zu wollen, belastet diese unnötig und führt zu Frustration.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2015
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