Die Corona-Krise ist ein einzigartiges Ereignis, das auf einen Schlag unsere Art zu leben und zu arbeiten verändert hat. Zwar fährt die Wirtschaft langsam wieder hoch, doch die Gefahr erneuter Ansteckungswellen bleibt bestehen. Wie lange diese Unsicherheit noch besteht, kann niemand sagen. Nur eines scheint sicher: Ein Zurück in den Modus vor Covid-19 ist nicht möglich. Mittlerweile hat sich der Begriff der "neuen Normalität" etabliert. Doch es geht um mehr. In einem dynamischen Krisengeschehen, in diesem befinden wir uns trotz aller Lockerungen, kann es kein "normal" geben. Wir müssen eine "neue Realität" definieren.
Es ist nicht nur die Gefahr einer zweiten Welle, die uns beschäftigen muss. Auch strukturelle Schwachstellen treten in Krisen besonders deutlich zutage. Das ist auch jetzt so: Unser Schul- und Bildungssystem, strukturell und didaktisch nicht auf dem Stand der Zeit, die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt oder der Personalnotstand in der Pflege sind Beispiele dafür. Diesen Herausforderungen müssen sich Führungskräfte in Wirtschaft und Politik jetzt stellen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Dabei dürfen sie nicht nur konventionelle Interessen in den Vordergrund stellen. Natürlich ist es wichtig, dass Betriebe erst einmal ihre Produktion wieder hochfahren und natürlich ist es wichtig, dass Unternehmen rentabel arbeiten. Die aktuell schwierige Situation darf aber nicht dazu führen, die strukturellen Schwächen zu ignorieren und sie auch noch zu verschärfen. Genau das geschieht aber: Die Krise wird als Argument genutzt, mühsam erreichte Fortschritte wieder zurückzudrehen - beispielsweise die Klimaziele, Investitionen in alternative Antriebe oder die Gleichstellungsquote. Mittelfristig kann dies die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft gefährden.

Führungsposition:Wie Jobsharing funktionieren kann
Eigentlich eine gute Idee: Zwei Menschen teilen sich eine anstrengende Führungsposition. Doch Jobsharing an der Spitze ist nach wie vor selten. Warum macht dieses Modell nicht Schule?
Wo müssen also jetzt unsere Prioritäten liegen? Während viel und ausführlich über die Öffnung von Autohäusern, Freizeitparks und Biergärten diskutiert wurde, bildeten Kindertagesstätten und Schulen eher ein untergeordnetes Thema. Dies hat weitreichende, teils noch nicht absehbare Folgen. Solange die meisten Kitas geschlossen sind und Schulen auf Minimalbetrieb laufen, ist ein normaler Arbeitsalltag nicht möglich. 56 Stunden müssen Eltern in Deutschland derzeit Woche für Woche für Kinderbetreuung und Haushalt aufbringen. Das ist doppelt so viel wie vor dem Lockdown. Die Hauptlast tragen die Frauen, so die Ergebnisse einer Studie, für die BCG rund 3000 berufstätige Eltern in Deutschland, den USA, Großbritannien, Italien und Frankreich befragt hat. Die Folge: Frauen ziehen sich aus dem Arbeitsleben zurück. Jede fünfte Frau in Deutschland hat ihre Arbeitszeit reduziert.
30 Jahre Rückschritt für die Gleichberechtigung durch die Corona-Krise prognostizierte die Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, und erntete dafür viel Kritik. Gerade jetzt hätten wir Wichtigeres zu tun, so das Totschlagargument. Eben nicht, das Gegenteil ist der Fall. Berufstätige Eltern - insbesondere Frauen - brauchen die Unterstützung ihrer Arbeitgeber. Es gibt viele Möglichkeiten, den aktuellen Druck zu verringern, beispielsweise, wenn Leistungsbeurteilungen angepasst oder ausgesetzt werden. Einige Unternehmen haben sich entschlossen, Teilzeitanträge nicht zu bearbeiten. Ihre Angestellten bekommen mehr Zeit für die Kinderbetreuung bei vollem Lohn. Flexibilität und Unterstützung brauchen aber auch die vielen Menschen, die am Arbeitsplatz erscheinen müssen, wie in der Produktion, im Handel oder in der Pflege. Sie stellen 80 Prozent der Beschäftigten in Deutschland.
Wenn Mitarbeiter so radikale Veränderungen erleben wie zurzeit, bedeutet dies immer auch eine große emotionale Belastung. Empathie und Flexibilität sind jetzt dringende Führungsqualitäten. Es ist notwendig, die Sorgen und Nöte der eigenen Belegschaft zu verstehen, um schnell und unbürokratisch Lösungen zu finden und neue Wege zu gehen. Es ist ebenfalls Führungsaufgabe, lebendige Zukunftsvisionen zu entwickeln und einen klaren Weg zum Erfolg aufzuzeigen. In unserem Schulbeispiel haben wir bislang vor allem die Perspektive der Eltern eingenommen. Aber wie sieht es mit den Kindern und Jugendlichen aus? Es sind die jungen Menschen, die in unserem Land die Zukunft gestalten werden. Viele Schüler haben durch die lange Schulschließung den Anschluss verloren, weil sie niemanden haben, der sie schulisch unterstützen kann. Aufgrund Einstellungsstopps werden in diesem Jahr auch viele Jugendliche und Hochschulabsolventen keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bekommen. In erster Linie sind hier Politik und Verwaltung gefragt, aber eben auch die Wirtschaft.
Unternehmen müssen sich weiter Gedanken darum machen, wie sie angesichts von Facharbeitermangel - und der wird weiter bestehen bleiben - Mitarbeiter für die Arbeitsplätze der Zukunft befähigen. Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Berufseinsteiger bleiben wichtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss - es sind mehr als 50 000 pro Jahr - weiter ansteigt. Wir müssen endlich den Mut haben, auch Neuerungen anzustoßen.
Die Covid-19-Pandemie mit all ihren tragischen und beängstigenden Entwicklungen bietet uns auch die Chance, Probleme anzupacken und es besser zu machen. Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen - für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, für die Gesellschaft, deren Teil sie sind. Dafür brauchen sie Führungskräfte, die gleichermaßen einfühlsam, entschlossen und umsetzungsstark sind. Sie müssen fähig sein, Visionen zu entwickeln und Prioritäten zu setzen. Schließlich müssen sie auch in der Lage sein, ihre Pläne schnell und konsequent umzusetzen. Sie brauchen die drei Hs: Hirn, Herz und Hand.