Süddeutsche Zeitung

Forum:Globale Arbeitsteilung schützt das Klima

Grüne Industriepolitik muss mit offenen Märkten gedacht werden. Der geopolitisch motivierte Versuch, Lieferketten umzulenken, würde Märkte fragmentieren. Die Lernkurven flachen ab.

Von Andreas Goldthau

Ob Atemschutzmasken, Elektronikgeräte oder Photovoltaikanlagen - sie alle wurden knapp, als Produktionsanlagen in Fernost infolge der Covid-19-Pandemie schlossen und der weltweite Frachtverkehr am Boden lag. Für die meisten Industriezweige bedeutete dies großen wirtschaftlichen Schaden; bei anderen wie der Medizintechnik ging es gar um Menschenleben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert daher, die Kontrolle über globale Lieferketten zurückzugewinnen. Deutschlands Wirtschaftsminister Peter Altmaier will "übermäßige Abhängigkeiten" reduzieren.

Die Produktion in zentralen, strategisch erachteten Industriezweigen wieder ins Land zu holen, ist ein von vielen Regierungen verstärkt verfolgtes Ziel. Fachleute sprechen vom Reshoring, als Gegensatz zum Offshoring, also dem Verlagern von Arbeit ins Ausland. Washington etwa etabliert gegenwärtig ein Netzwerk an präferierten, vertrauenswürdigen Handelspartnern wie Australien, Indien, Japan und Südkorea, um China aus globalen Lieferketten herauszudrängen.

Chinas Rolle in der weltweiten Arbeitsteilung steht häufig im Fokus, aus gewichtigen Gründen: Pekings Handelspolitik ist diskriminierend; geistiges Eigentum ausländischer Firmen bleibt oft ungeschützt; in heimischen Zuliefererbetrieben verrichten Angehörige der uigurischen Minderheit Zwangsarbeit; Huawei ist als internationaler 5G-Ausrüster zwar technologisch führend, aber sicherheitspolitisch ein Risiko. Beklagt wird zudem eine zu dominante Rolle Chinas in wichtigen Wirtschaftszweigen wie der Auto-, Elektronik- oder Pharmaindustrie. Die US-Regierung verweist auch auf Hunderttausende Arbeitsplätze, die hier an China verloren gingen.

Globale Lieferketten ermöglichen primär die Spezialisierung und das Ausspielen komparativer Kostenvorteile. Firmen und Staaten konzentrieren sich innerhalb der Kette auf das, was sie am besten können. Bei erneuerbaren Energien beispielsweise stieg China weltweit zum größten Produzenten von Solarpanelen auf. Deutschland allerdings liefert wiederum die Maschinen, um diese herzustellen. Im Ergebnis sanken die Technologiekosten bei Solarenergie um 90 Prozent über das vergangene Jahrzehnt.

Um die Kosten weiter zu drücken, braucht es Größeneffekte - diese liefern nur globale Märkte

Um das Paris-Ziel von unter zwei Grad globaler Erwärmung zu erreichen, müssen weltweit die CO₂-Emissionen bis 2030 um knapp acht Prozent sinken - pro Jahr. Zum Vergleich: Das sind in etwa die Einsparungen, die der Corona-Schock mit sich brachte. Das Paris-Ziel ist also nur mit weiteren, bedeutenden Kostenreduktionen bei den Erneuerbaren zu schaffen. Denn nur dann sind in den Industriestaaten die Zuwachsraten möglich, die notwendig sind, um die bestehende, fossile Energieinfrastruktur zu ersetzen. Im globalen Süden, das heißt in Ländern mit geringerer Kaufkraft, wird auch nur dann der Kapazitätsausbau exklusiv über Erneuerbare erfolgen. Aufgrund des wirtschaftlichen Entwicklungsbedarfes ist weltweit hier das Wachstum der Energienachfrage am größten, ebenso wie das der zukünftigen CO₂-Emissionen. Um die Kostenkurve weiter zu drücken braucht es Größeneffekte - und diese liefern nur globale Märkte.

Lieferketten sind nicht perfekt, auch nicht bei Erneuerbaren. Bei der Gewinnung von für Solar- und Windanlagen zentralen Rohstoffen wie den seltenen Erden, Kupfer oder Silber verletzen Minenbetreiber im Kongo Menschenrechte. In Peru, Mexiko und anderen Ländern Südamerikas hinterlassen sie kontaminierte Böden, und belasten das Grundwasser mit Giftstoffen.

Dies ist beklagenswert. Allerdings wird damit nicht das Prinzip der globalen Arbeitsteilung infrage gestellt. Sondern es wirft ein Schlaglicht darauf, dass Firmen oder Staaten auf unterschiedliche Weise Wettbewerbsvorteile erzielen können: durch Innovationskraft - oder durch Ausbeutung von Mensch und Umwelt. Ersteres ist im Sinne von Konsument und Klima, letzteres muss angegangen werden.

Gesetze können hier helfen. Großbritannien geht mit seinem Modern Slavery Act gegen Ausbeutung in der globalen Fertigung vor, Frankreich verpflichtet mit dem Loi de vigilance-Gesetz seine Unternehmen zur Sorgfalt bei Menschenrechten. In Deutschland soll das Lieferkettengesetz Umwelt- und Sozialstandards bei ausländischen Zulieferern sicherstellen. Dies sind richtige Ansätze, denn sie stellen nicht das Prinzip der globalen Arbeitsteilung in Frage, sondern adressieren seine negativen Nebeneffekte.

Der geopolitisch motivierte Versuch, Lieferketten umzulenken, fragmentiert jedoch Märkte, und flacht Lernkurven ab. Die Technologiekosten bleiben damit höher als notwendig. Zudem lässt sich die Herstellung von etablierten Hochtechnologieprodukten wie Solarpanelen oder Windrotoren nicht einfach relokalisieren. Sie beruht auf langjähriger Prozessinnovation und ist üblicherweise in ein Ökosystem an lokalen Produktionsnetzwerken eingebunden. Mit Reshoring geht also kostbare Zeit verloren, die wir im Kampf gegen den Klimawandel nicht haben. Zudem ist es eine schlechte Investition. Trotz staatlicher Unterstützung und gezielter Importbarrieren gegen chinesische Hersteller blieben beispielsweise in den USA nur eine Handvoll Solarunternehmen am Markt. In Deutschland überlebte kein einziges.

Stattdessen sollten Regierungen zielgenaue Industriepolitik für eine dekarbonisierte Wirtschaft betreiben. Hierzu gehören zentrale Investitionen in Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien. Einige Kandidaten hierfür sind bekannt: smarte Energienetze, grüner Wasserstoff oder andere Power-to-X-Technologien. Bei smarten Netzen helfen Computerprogramme, den Energieverbrauch zu senken; mit Power-to-X werden erneuerbare Energien länger speicherbar gemacht.

Andere gilt es noch zu entdecken. Das amerikanische Innovationsprogramm ARPA-E macht vor, wie staatlich forcierte Partnerschaften von Wissenschaft und Wirtschaft dabei helfen können. Solch eine grüne Industriepolitik hilft damit den heimischen Industrien, passgenau nach ihren Möglichkeiten wettbewerbsfähige Nischen zu besetzen, aus denen heraus sie wachsen können. In diesem Wachstum sollten Regierungen auch innovative Produkte bis zur Marktreife unterstützen. Klar definierte Ziele für den Ausbau von Dekarbonisierungstechnologien verhelfen marktreifen Produkten dann zur notwendigen Nachfrage.

Dies sichert die hochbezahlten Jobs von morgen. Und es hilft, die Technologiekosten zu senken, um die Paris-Ziele zu erreichen. Für beides jedoch sind offene Märkte eine Grundvoraussetzung.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2020
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