Süddeutsche Zeitung

Forum:Gegen die Macht der großen Tech-Konzerne

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Die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist gut, aber greift zu kurz: Digital-Firmen müssen wirksam reguliert werden.

Von Jürgen Kühling

In den letzten Tagen ging es überraschend schnell mit der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Und so ist womöglich auch der Pathos zu erklären, mit dem Hansjörg Durz von der CSU im Bundestag von der "Geburtsstunde der sozialen digitalen Marktwirtschaft" sprach. Zentrale Aspekte der 10. GWB-Novelle betreffen die Missbrauchsaufsicht über digitale Plattformen, also vor allem Google, Amazon, Facebook und Apple (Gafa). Daher hat das "Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft" (Ludwig Erhard) tatsächlich ein "digitales Update" mit Blick auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bekommen.

Inwieweit sich die Änderungen als passend und ausreichend erweisen, um die Marktmacht der großen Plattformunternehmen und deren Verhalten im Wettbewerb wirksam zu kontrollieren, bleibt abzuwarten. Der Ansatz ist jedenfalls dem Grunde nach zu begrüßen: So entwickeln die Neuerungen des GWB das bestehende Regelwerk behutsam weiter, dem Bundeskartellamt werden hilfreiche Instrumente an die Hand gegeben. Allerdings besteht nicht nur die Gefahr eines wettbewerbsgefährdenden "underenforcement" des Kartellrechts, sondern ebenso eines innovationsfeindlichen "overenforcement". Das gilt auch für das Herzstück der Novelle: So können nun Unternehmen, die eine "überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" haben, einer spezifischen Missbrauchskontrolle unterworfen werden. Die verschiedenen Verhaltenspflichten finden sich dazu in einem spezifizierten Katalog. Mit Blick auf die Gefahr überschießender Regeln hat die Monopolkommission darauf gedrängt, den Wettbewerbsbezug einzelner Verhaltenspflichten zu schärfen und diese auf Behinderungspraktiken zu beschränken. Das ist in Teilen erfolgt, aber nicht durchgehend. Daher muss jetzt das Kartellamt mit Augenmaß die richtigen Entscheidungen treffen.

Gut ist dabei, dass sich der deutsche Gesetzgeber in seinem Reformeifer nicht von der parallelen Novellierung auf EU-Ebene bremsen ließ. Denn hier ist erst Mitte Dezember der Entwurf eines "Digital Markets Act" von der Europäischen Kommission vorgelegt worden und das Gesetzgebungsverfahren kann sich noch länger hinziehen. Derweil kann das Bundeskartellamt auf der Basis der deutschen Bestimmungen wertvolle Erfahrungen sammeln, die das europäische Regelwerk inspirieren können. So hat umgekehrt die GWB-Novelle auch Impulse aus Brüssel aufgenommen.

Der Sturm auf das Kapitol und das anschließende "Abschalten" von Donald Trump auf Twitter und Facebook hat aber ein noch wesentlich demokratierelevanteres Regulierungsproblem speziell der Medienintermediäre offenbart. Nach einer Phase der wechselseitig profitablen Koexistenz haben Twitter und Facebook dem abgewählten Präsidenten den Lautsprecher auf der Basis von "Hausregeln" entrissen. Die Grundprinzipien für derart wichtige Fragen der Ausgestaltung der Medienwelt und letztlich der Demokratie müssen in einem demokratischen Rechtsstaat aber primär vom Gesetzgeber vorgegeben werden und nicht von privaten Unternehmen. Für Deutschland und Europa sollten die Ereignisse trotz aller Unterschiede diesseits und jenseits des Atlantiks jedenfalls ein Fanal sein, rasch aktiv zu werden und den Rechtsrahmen jetzt "wetterfest" zu machen.

Denn auch in Deutschland gibt es zwar fruchtbare Regulierungsdiskussionen, aber noch fehlt es an entsprechend klaren Bestimmungen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) begründet nur Verpflichtungen für das Löschen strafbarer Inhalte. In verschiedenen gerichtlichen Verfahren wird daher darüber gestritten, inwiefern insbesondere aus den Grundrechten der Nutzerinnen und Nutzer Grenzen für die darüber hinausgehenden Löschungen auf der Basis von Hausregeln folgen. Dabei haben einzelne Gerichte zu Recht darauf hingewiesen, dass jenseits des Strafrechts keineswegs ein allein durch die Meinungsfreiheit gestalteter Rechtsraum wartet. Denn auch der Betreiber der Plattform hat ein durch die Berufsfreiheit geschütztes Interesse daran, dass die Kommunikation auf seiner Plattform nicht verroht. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass die weiteren Nutzerinnen und Nutzer und vor allem Betroffene von Hass unterhalb der Strafrechtsgrenze ein berechtigtes Interesse daran haben, dass sie dem Hass und der Verachtung nicht schutzlos ausgeliefert werden. Auch wenn hier vieles umstritten ist und noch keine bestätigende Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof und vor allem vom Bundesverfassungsgericht vorliegt, überzeugt dieser Ansatz.

Zugleich gehen jene Gerichte so vor, wie es der ebenfalls Mitte Dezember veröffentlichte, viel beachtete Entwurf eines europäischen "Digital Services Act" (DSA) regelt. Mit diesem will die Europäische Kommission den vollkommen veralteten Rechtsrahmen für Intermediäre entstauben. Ausgehend vom überkommenen "Haftungsprivileg" finden sich nicht nur ausdifferenzierte Bestimmungen zur Vorgehensweise beim Löschen rechtswidriger Inhalte, sondern die Intermediäre werden darüber hinaus verpflichtet, im Rahmen der Ausgestaltung und Anwendung der Nutzungsbedingungen die konfligierenden Grundrechtsinteressen aller Betroffenen zum Ausgleich zu bringen.

Es wird sich zeigen, ob und wie diese Vorgaben eines Tages das Licht des EU-Amtsblatts erblicken. Derweil muss der deutsche Gesetzgeber seinen richtigen Ansatz im NetzDG sukzessive ausbauen. Die gegenwärtige Novelle tut dies, geht aber immer noch nicht weit genug. So muss im parlamentarischen Verfahren darüber gestritten werden, welche Leitplanken den Intermediären bei der Ausgestaltung der Nutzungsbedingungen jenseits des Strafrechts gesetzt werden sollen. Das betrifft Löschungen genauso wie die anschließenden Sanktionen bei Verstößen gegen die "Hausregeln" - und dabei auch für politische Diskussionen und Politiker, insbesondere in Wahlkampfzeiten. Sinnvoll ist zudem die Schaffung institutioneller Mechanismen, um die diskriminierungsfreie Anwendung der Regeln und Sanktionsmechanismen zu gewährleisten.

Die bislang im Entwurf des europäischen Regelwerks - dem bereits erwähnten DSA - vorgesehenen Vorgaben enthalten gute Ansätze, greifen aber (noch) zu kurz. Sie können jedenfalls nicht den Anspruch erheben, ein abschließendes, also vollharmonisierendes Gesetzeswerk zu sein. Um diesen Anspruch einzulösen, müsste noch nachgebessert werden. Deutschland kann auch hier als wichtiger Impulsgeber für eine künftige europäische Regelung fungieren.

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