Forum:Erst finanzieren, dann prüfen?

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Andrea Kämpf ist Juristin mit Schwerpunkt im Völker- und Europarecht und seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Internationale Menschenrechtspolitik am Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR). (Foto: privat)

Vier Jahre lang hat es gedauert, bis die Weltbank ihre Sozial- und Umweltstandards überarbeitet hat. Das Ergebnis ist ernüchternd. Viele Punkte wurden in zentralen Bereichen aufgeweicht.

Von Andrea Kämpf

Die Weltbank droht im Wettlauf um knapper werdende Kreditmärkte eigene Fehler zu wiederholen. Mit den Schutzstandards, die sie am Donnerstag beschlossen hat, läuft die weltweit größte Entwicklungsbank Gefahr, die Rechte der Menschen zu verletzen, die sie durch die Finanzierung günstiger Kredite eigentlich voranbringen will. Vier Jahre lang hat es gedauert, bis die 189 Länder, die Geldgeber der Bank sind, die Standards final überarbeitet haben. Mehr als ein weiteres Jahr soll es dauern, bis sie in Kraft treten.

Das Ergebnis ist ernüchternd. Nicht nur, weil die sogenannten Safeguards in einigen zentralen Punkten abgeschwächt wurden, sondern auch, weil die Bank mit ihren Standards als Vorbild für andere Entwicklungsbanken gilt - und das Aufweichen des Schutzes weltweit Hunderttausende Menschen in den kommenden Jahrzehnten betreffen wird.

Die Weltbank hat die Aufgabe, mit günstigen Krediten die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern, die zum Teil in den ärmsten Ländern der Welt leben. Sie finanziert zum Beispiel Staudämme, Schulen oder Krankenhäuser in strukturschwachen Gebieten. Bisher musste ein Land vor der Bewilligung eines Kredites belegen, dass es die Sozial- und Umweltstandards der Bank beachtet. Die Safeguards sollten sicherstellen, dass die Menschen und die Umwelt geschützt werden. Kreditnehmer mussten zum Beispiel vorab einen Umsiedlungsplan aufstellen.

Die neuen Safeguards werfen dieses Prinzip über den Haufen. Kredite können bewilligt werden, ohne dass zuvor das Risiko des Projektes geprüft wurde. Konkret heißt das: Es muss keinen Umsiedlungsplan vorab geben und auch keine Angaben über Entschädigungen. Die Weltbank hält sich die Möglichkeit offen, politisch brisante Fragen erst anzugehen, wenn Gelder bereits fließen. Zu diesem Zeitpunkt aber, fehlt ihr möglicherweise das Druckmittel. Neu ist auch, dass kreditnehmende Länder ihre eigenen Umwelt- und Sozialmanagementsysteme nutzen dürfen, wenn diese "inhaltlich ähnliche Ziele" verfolgen wie die Weltbank.

Hinter dieser Neuerung steckt ein entwicklungspolitischer Gedanke, der im Ansatz gut ist: Systeme werden nur dann gestärkt, wenn sie genutzt werden. Ist die Regierung eines Landes an hohen Umwelt- und Sozialstandards interessiert, wird die Weltbank schwache Systeme unproblematisch mit Beratung verbessern können. Die Weltbank verspricht viel Geld in den Aufbau der Ländersysteme zu stecken und die Kreditnehmer bei der Umsetzung zu unterstützen. Die Flexibilität der neuen Schutzstandards, so hoffen die Befürworter, könne bisher unwillige Länder dazu motivieren, Umwelt- und Sozialstandards nicht mehr als lästige vertragliche Anforderungen gegenüber der Weltbank zu sehen, sondern als eigene Verpflichtungen gegenüber den Bürgern.

Das Institut überlässt den Schutz von Menschen und Umwelt ganz den Nehmerländern

Was aber, wenn die Regierungen vor Ort selber Auslöser für negative Auswirkungen für Mensch und Umwelt sind? Nicht selten investiert die Weltbank in Ländern, in denen die politischen Strukturen schwer zu durchschauen und politisch Verantwortliche korrupt sind.

Die Vergangenheit hat außerdem gezeigt: Das eigentliche Problem der Weltbank sind nicht die bisher geltenden Schutzstandards. Das Problem ist, dass diese nicht konsequent umgesetzt und überprüft wurden. Die Weltbank hat im vergangenen Jahr große Defizite beim eigenen Monitoring von Umsiedlungsfolgen einräumen müssen und konnte nicht umfassend belegen, wie viele Menschen wann umgesiedelt wurden. Wie will die Bank dann feststellen, ob alle angemessen entschädigt wurden?

Dass die Weltbank es nun gänzlich den Nehmerländern überlassen will, den Schutz der Menschen und der Umwelt einzuhalten, hängt sicher auch mit der zunehmenden Konkurrenz zusammen. Multilaterale Banken kämpfen um Klienten und die Auslastung ihrer Strukturen. Eine strenge Prüfung der Vorhaben schwächt die eigene Position gegenüber der von Peking dominierten Konkurrenz, deren Standards als weniger anspruchsvoll eingeschätzt werden. Jin Liqun, Präsident der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), machte im Frühjahr deutlich, dass seinem Verständnis nach "schnelle Infrastruktur" ohne langwierige Prüfungen der beste Garant sei für Entwicklung und die Bereitschaft zu Umsiedlung ein Dienst am Gemeinwohl.

Deutschland trägt als Vollmitglied des Exekutivdirektoriums mit 25 Mitgliedern der Weltbank, das über alle Projekte abstimmt, eine Mitverantwortung für das Handeln der Weltbank. Die Bundesregierung war als viertgrößter Geldgeber der Bank auch an der Überarbeitung der Schutzstandards beteiligt. Sie hat sich dabei zwar dafür eingesetzt, dass es neue Arbeitsrechtsstandards gibt, eine verbindliche Aufnahme der Menschenrechtsverträge oder der ILO-Kernarbeitsnorm konnte sie aber nicht bewirken. Die neuen Standards der Weltbank unterminieren globale vertragliche Verpflichtungen und politische Vereinbarungen.

Die Weltbank droht mit den neuen Safeguards ihre Vorreiterrolle bei der Entwicklung von starken Umwelt- und Sozialstandards zu verlieren. Das ist umso bedauerlicher, weil sie 1980 als erste Entwicklungsbank überhaupt Standards für Mensch und Umwelt eingeführt hat. Und das aus gutem Grund: Weltbank-finanzierte Vorhaben wie beispielsweise die Sardar-Sarovar-Talsperre in Indien hatten massive Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrige Umsiedlungen von Zehntausenden Menschen zur Folge, die sich in breiten sozialen Protesten, schleppenden Gerichtsverfahren und Baustopps entluden.

Mit den neuen in zentralen Punkten unverbindlicheren Standards ist die Weltbank nun die erste der alt eingesessenen Entwicklungsbanken, die ihre Standards teilweise wieder aufweicht und damit Kreditnehmern entgegen kommt - wohl auch um ihre Position auf dem Markt zu behaupten. Abzuwarten bleibt, ob die Weltbank mit den neuen Schutzstandards den Wettbewerb um die weltweiten Klienten gewinnen kann. Dabei hätte sie auch durch starke Umwelt- und Sozialstandards ihre Vorreiterrolle ausbauen können: als vielleicht kleinere, aber gut bewertete Bank, die sich durch Wissensproduktion, Innovation und Qualität ihrer Finanzierung und Umsetzung auszeichnet und damit Gütesiegelcharakter hat.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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