Forum:Den Hunger besiegen

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Manfred Nüssel, Vorsitzender des Grain Clubs, einer Allianz von Verbänden der Lebensmittelwirtschaft, hält freie Märkte für einen Garanten der Ernährungssicherheit und des Klimaschutzes.

Von Manfred Nüssel

Die großen Herausforderungen unserer Zeit sind die Welternährung und der Klimawandel. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird in den nächsten Jahrzehnten weiter stark zunehmen. Ursache hierfür sind das anhaltende Bevölkerungswachstum, Veränderungen der Verbrauchsgewohnheiten bei wachsender Kaufkraft und zunehmende Urbanisierung. Das Abkommen der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 bezeichnet die Ernährungssicherung und Beendigung des Hungers als "fundamentale Prioritäten". Laut Abkommen dürfen Maßnahmen zum Klimaschutz die Lebensmittelproduktion nicht gefährden, denn zwischen Klimaschutz und Ernährungssicherung besteht ein Zielkonflikt. Wie werden wir zum Ende dieses Jahrhunderts elf Milliarden Menschen ernähren und weitgehend emissionsfrei wirtschaften und leben können?

Bei der wirksamen Bekämpfung des Hungers und Begrenzung des Klimawandels kommt der Agrarwirtschaft eine entscheidende Rolle zu. Denn der Wirtschaftszweig umfasst die gesamte Versorgungs- und Wertschöpfungskette vom landwirtschaftlichen Betrieb bis zum Teller des Verbrauchers. Die Antworten der Branche auf Bevölkerungswachstum und Klimawandel sind ein freier internationaler Agrarhandel und eine neue "Grüne Revolution" in der Pflanzenproduktion.

Der Klimawandel gefährdet die landwirtschaftliche Produktivität und die Stabilität der Nahrungsmittelpreise. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hat diesen Zusammenhang untersucht und warnt vor wirtschaftlichen Verlusten in Höhe von 2,5 Billionen US-Dollar bis Ende dieses Jahrhunderts. Regionen, die stark vom Klimawandel betroffen sind, etwa der Mittlere Osten, Afrika und Asien, werden besonders unter steigenden Nahrungsmittelpreisen leiden. Denn sie sind Nettoimporteure von Getreide als Grundnahrungsmittel und werden trotz ihrer Bemühungen um Ernährungssouveränität auch in Zukunft nicht in der Lage sein, ihren Bedarf vollständig aus heimischer Erzeugung zu decken. Da ihre Bevölkerung weiter stark wächst, steigt auch ihr Nettoimportbedarf an Nahrungsmitteln. Wenn diese aber durch den Klimawandel knapper werden und die Preise steigen, müssen die Haushalte mehr für den Konsum zahlen. Mangelernährung und Hunger nehmen zwangsläufig zu.

Ein freier Agrarhandel kann die finanziellen Schäden weltweit um zwei Drittel reduzieren, so die Studie. Freier Handel reagiert unmittelbar und flexibel auf Beeinträchtigungen der landwirtschaftlichen Produktion. Er schafft einen Ausgleich zwischen Gunststandorten und beeinträchtigten Regionen. Das führt zu niedrigeren Produktionskosten und höherer Versorgungssicherheit. Fazit der Studie: Der internationale freie Agrarhandel ist ein Schlüssel zur Begrenzung der Klimaschäden.

Die nächste "Grüne Revolution" hat längst begonnen

Zudem erfordern Bevölkerungswachstum und Klimawandel eine signifikante Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, eine neue "Grüne Revolution". Um den rapide wachsenden Bedarf der Weltbevölkerung zu decken, muss die Produktivität der Landwirtschaft nach Prognose der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bis 2050 um 60 Prozent gesteigert werden. Gleichzeitig soll im Rahmen nationaler, EU-weiter und globaler Bioökonomiestrategien der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Rohstoffe und der Einstieg in eine biobasierte Wirtschaft vollzogen werden - Biomasse wird verstärkt den technischen und stofflichen Nutzungen zugeführt. Angesichts knapper werdender Ressourcen wie Boden und Wasser und sich verändernder klimatischer Bedingungen wird dies nur gelingen, wenn Innovationen und technischer Fortschritt ideologiefrei genutzt werden.

Bereits vor mehr als 50 Jahren schaffte es die erste "Grüne Revolution", die Nahrungsmittelproduktion durch den Einsatz von Düngemitteln und eine Vergrößerung der Anbauflächen um ein Vielfaches zu steigern. Die nächste "Grüne Revolution" hat längst begonnen: Sie vermeidet Landnutzungsänderungen und setzt auf Innovationen wie die sensor- und satellitengesteuerte Präzisionslandwirtschaft zur Minimierung des Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln. So werden hohe Erträge gesichert und knappe Produktionsfaktoren wie Fläche, Energie und Kapital effizient und klimaschonend eingesetzt.

Bei der Entwicklung und beim Einsatz neuer Technologien darf es keine Denkverbote geben. Dies betrifft in starkem Maße die Pflanzenzüchtung: Um Ernteausfälle zu minimieren, müssen Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegen Krankheiten, Schädlinge und klimatische Bedingungen gemacht werden. Züchtungsfortschritt ist essentieller Bestandteil der erforderlichen Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion. Die Agrarwirtschaft setzt auf neue Methoden der Pflanzenzüchtung, die einen schnellen Züchtungsfortschritt ermöglichen und zum Beispiel trockenheits- und salztolerante Sorten hervorbringen. Dadurch wird es auch Landwirten in klimageschädigten Regionen Asiens, Afrikas und Indiens möglich, ökonomisch und umweltfreundlich zu arbeiten.

In Deutschland sind die Kohlendioxid-Emissionen in der Landwirtschaft seit 1990 um 15 Prozent zurückgegangen. Heute stammen noch zehn bis zwölf Prozent des globalen Kohlendioxid-Ausstoßes aus diesem Bereich. Agrarwirtschaft verursacht jedoch nicht nur die Emission von Treibhausgasen, sondern reduziert sie auch nachweislich. Biomasse und Böden können Kohlendioxid aufnehmen und speichern. Eine Studie der Universität Cambridge schätzt, dass gezielte Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Bioenergie 20 bis 60 Prozent der Emissionsminderungen erbringen können, die zum Einhalten des Zwei-Grad-Ziels bis 2030 erforderlich sind. 2015 wurden durch Biokraftstoffe 6,7 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart. Im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen geben sie 70 Prozent weniger Kohlendioxid in die Umwelt ab. In Deutschland trägt der Anbau von Raps für die Biodieselherstellung durch das im Verarbeitungsprozess anfallende Koppelprodukt Rapsschrot zusätzlich und erheblich zur Versorgung der Tierbestände mit Eiweißfuttermitteln bei. Dies verringert die Abhängigkeit der EU von Eiweißfuttermittelimporten.

Gemeinsam verfolgen die in sechs deutschen Verbänden der Agrarwirtschaft zusammengeschlossenen Unternehmen das Ziel, klimagerecht zu wirtschaften und einen Beitrag zur Reduzierung des Hungers zu leisten. Ernährungssicherung und Klimaschutz brauchen freie Märkte und eine innovative Wirtschaft. Die Agrarwirtschaft ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung globaler Überlebensfragen.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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