Süddeutsche Zeitung

Forum:Demokratie als Kompromiss

Lesezeit: 3 min

Zur Reform des Urheberrechts gibt es eine Reihe inkonsistenter Vorschläge. Das ist nicht der klügste Weg.

Von Steffen J. Roth

Da wird jahrelang hinter verschlossenen Türen diskutiert, und am Ende kommen Gesetzesvorhaben zum Vorschein, bei denen man sich fassungslos die Augen reibt. Die Protagonisten geben sich geheimnisvoll und beteuern, ihre Vorhaben seien angemessen, fair, ausgewogen und alternativlos. Wohlgemerkt, ohne sich um nachvollziehbare Argumentationen zu bemühen und konkrete Fragen der Kritiker zu beantworten.

Es liegt vermutlich weniger daran, dass die Politiker die betreffenden Lebensbereiche nicht aus eigener Anschauung kennen oder systematisch bestimmte Partialinteressen privilegieren. Vielmehr ist zu vermuten, dass eine von außen kaum überschaubare Gemengelage an unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut gebracht werden muss. Demokratie als Kunst des Kompromisses führt dann manchmal zu logisch inkonsistenten Vorschlägen, die sich eben nicht nachvollziehen lassen, ohne das dahinterliegende Scharmützel komplizierter Tauschprozesse zu kennen. "Du gibst mir in jenem Detail nach, welches ich besonders wichtig finde, und dafür bekommst du von mir zähneknirschend die Zustimmung zu diesem Detail, obwohl ich es für falsch halte."

So muss man sich wohl die gerade anstehende EU-Urheberrechtsreform erklären. Immerhin hat die zuständige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) der vorliegenden Fassung zugestimmt, obwohl sie selbst sich deutlich dagegen ausspricht. Immerhin konnte auch Digitalministerin Dorothee Bär (CSU) ihre Kollegen nicht von dieser Entscheidung abhalten, obwohl auch sie sich gegen Uploadfilter ausspricht. Und immerhin hat damit die Bundesregierung gegen ihren eigenen Koalitionsvertrag verstoßen, in dem sie Uploadfilter als "unverhältnismäßig" ablehnt.

Ohne sich zu erklären, riskiert die etablierte Politik mit solchem Gebaren ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Öffentlichkeit. So befürchtet Juso-Chef Kevin Kühnert mit gutem Grund, die Politiker stünden nun "vor einer riesigen Community, die glaubt, in Parlamenten und Regierungen säßen nur Technikdeppen". Schlimmer noch, wenn so ein in der Sache unerklärliches Gesetzesvorhaben mit der Herabwürdigung der Kritiker und Ignoranz gegenüber Sachargumenten durchzudrücken versucht wird. So erdreisten sich einige Protagonisten, den protestierenden Menschen die schiere Existenz ("alles nur Bots") oder eigene Urteilsfähigkeit abzusprechen ("verführte Kinder und Jugendliche"). Der federführende Streiter für die Urheberrechtsreform, Axel Voss (CDU), verkauft das Publikum sogar ganz offensiv für dumm. Er behauptet, die Aufregung sei auf Fake News zurückzuführen, schließlich finde sich der Begriff "Uploadfilter" gar nicht im Gesetzestext. Dabei bezweifelt kein Experte, dass Art. 13 zum Einsatz von Uploadfiltern führt.

Gegen Uploadfilter regt sich der Protest zu Recht. Befürchtet wird nicht nur, dass unzählige kleine Plattform- und Diensteanbieter ihren Service einstellen werden und damit Vielfalt verloren geht. Befürchtet wird zweitens das massenhafte Blockieren eigentlich zulässiger Inhalte. Denn auch mit hohen Millionenbeträgen entwickelte Erkennungssoftware ist meilenweit davon entfernt, eine Abwägung zwischen dem Schutz des Urheberrechts und der Meinungsfreiheit leisten zu können. So sind beispielsweise Zitate, Parodien und unwesentliches Beiwerk selbstverständlich weiterhin erlaubt, die Filter können diese Tatbestände aber nicht als solche erkennen. Drittens erfordert die lückenlose Abdeckung aller Uploads den Aufbau einer technischen Infrastruktur, die jederzeit auch für politische Zensur verwendet werden könnte. Viertens teilt unter anderem der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber die Befürchtung, dass Uploadfilter erhebliche Datenschutzprobleme mit sich bringen.

Es gibt einen fünften, spezifisch ökonomischen Grund, warum sich auch um Wettbewerb besorgte Bürger Gedanken über Art. 13 der EU-Urheberrechtsreform machen sollten. Dass die digitale Plattformökonomie von wenigen Konzernen beherrscht wird, liegt zum großen Teil an den Eigenarten des Geschäfts, welches Google, Amazon, Facebook und Co. betreiben. Dabei vorherrschende Netzwerkeffekte bewirken, dass ab dem Erreichen einer kritischen Masse von Nutzern selbstverstärkende Wachstumseffekte eintreten, da die Netzwerke für jeden einzelnen Nutzer mit dem Ansteigen der Gesamtnutzerzahl immer attraktiver werden. Aufgrund dieser Phänomene begegnen wir in der Welt der Plattform-Ökonomie einer Oligopol-Struktur, die vielen Wettbewerbshütern Sorge bereitet.

Dank der bisher relativ geringen notwendigen Anfangsinvestitionen zum Betrieb gibt es im Internet bisher dennoch unzählige kleine Nischenanbieter. Sie haben es zwar ohne entsprechendes Finanzpolster schwer, kommerziell erfolgreich zu werden. Dennoch gibt es diese Vielfalt, und sei es auch nur aus Liebhaberei. Die Verpflichtung zum Einsatz von Erkennungssoftware ändert diese Situation. Sowohl der Aufbau einer möglichst umfassenden Lizensierung als auch die Entwicklung einer leistungsfähigen Erkennungssoftware mitsamt der notwendigen Datenbank ist für kleinere Unternehmen unmöglich zu leisten.

In der Praxis werden sie also in Zukunft davon abhängig sein, die Erkennungssoftware der Internet-Giganten mitzubenutzen. Google und Co. wird mit der EU-Urheberrechtsreform ein Mittel an die Hand gegeben, mithilfe dessen sie zukünftig entscheiden können, welche Plattformen und Diensteanbieter überhaupt im Internet agieren können und welche nicht. Wenn sich Google und Co. dazu entschließen, ihre Erkennungssoftware mitbenutzen zu lassen, werden sie über Lizenzgebühren große Anteile des eventuellen kommerziellen Erfolgs der kleinen Anbieter abschöpfen können. Muss zum Zweck der Filterung sämtlicher Content samt Metadaten an die Betreiber der Uploadfilter weitergegeben werden, kommt ein weiterer Punkt hinzu: Die damit zusätzlich erschlossenen Datenschätze gefährden nicht nur den Datenschutz, sondern ermöglichen den ohnehin bereits übermächtig erscheinenden Konzernen außerdem weitere kolossale Vorsprünge beim Aufbau von Big Data und seiner kommerziellen Ausnutzung.

Auf mittlere Sicht wird sich der angestrebte Effekt, nämlich die Stärkung von Zeitungsverlagen, Film- und Musikindustrie gegenüber den Internet-Giganten sehr bescheiden darstellen, verglichen mit der zugleich in Kauf genommenen Stärkung der Internet-Giganten gegenüber bestehenden und zukünftigen Konkurrenten im Internet.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2019
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