Forum:Alarm in der Finanzindustrie

Forum: Michael Frenzel, 69, war Vorstandschef des Touristikkonzerns Tui und dessen Vorläufer Preussag AG. Bis 2013 war er Vorsitzender des Aufsichtsrates der TUI Travel PLC. Seit 2015 ist er Präsident des Wirtschaftsforums der SPD.

Michael Frenzel, 69, war Vorstandschef des Touristikkonzerns Tui und dessen Vorläufer Preussag AG. Bis 2013 war er Vorsitzender des Aufsichtsrates der TUI Travel PLC. Seit 2015 ist er Präsident des Wirtschaftsforums der SPD.

Deutschland braucht profitable Banken. Sonst bestimmen bald Amerikaner und Chinesen die Regeln.

Von Michael Frenzel

Die deutsche Industrie macht sich Sorgen um die Leistungsfähigkeit unserer Banken - und das zu Recht. Die Aktienkurse der letzten beiden verbliebenen Großbanken haben in den vergangenen Monaten drastisch an Wert verloren, die entsprechenden Kreditausfallversicherungen sind in die Höhe geschossen. Die Gewinne nahezu aller Kreditinstitute erodieren angesichts historisch niedriger Zinsen und steigender Kosten für Regulierung.

Nicht wenige scheinen den drohenden Niedergang einer ganzen Branche mit Schadenfreude zu verfolgen. Und es stimmt ja: Die Finanzindustrie büßt für eigene Fehler. In den Handelssälen von Investmentbanken gab es nicht nur eine Gier nach Boni, sondern ganz offensichtlich auch eine gehörige Portion krimineller Energie. Die jahrelange Manipulation des Referenzzinssatzes Libor durch Händler einiger globaler Großbanken ist ein prominentes Beispiel dafür. Richtig ist auch, dass viele Banken bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise Regulierung eher als ein politisches Übel angesehen haben, das beseitigt gehört. Und dass sie oftmals nicht ihre Kunden in den Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns gestellt, sondern in erster Linie ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil gesucht haben. Nicht zuletzt haben manche Kreditinstitute dann in den Jahren nach Lehman viel zu lange gebraucht, um damit zu beginnen, ihre Geschäftsmodelle einem neuen regulatorischen Umfeld und veränderten Marktbedingungen anzupassen.

Die Bankenbranche musste sich deshalb über viele Jahre harsche Kritik von der Politik gefallen lassen. Darüber sollte sie sich nicht beschweren. Denn die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihren gewählten Vertretern, Missstände klar zu benennen und aus Fehlentwicklungen gesetzliche Konsequenzen zu ziehen, sprich: wo nötig, den Primat der Politik durchzusetzen. Nach den Erfahrungen aus der Krise von 2008, in der zahlreiche Banken mit Hunderten Milliarden Euro an Steuergeldern gerettet werden mussten, war diese Forderung besonders nachvollziehbar - und die Regierungen haben entsprechend gehandelt.

In die Rangliste der 100 wertvollsten Geldhäuser schafft es kein deutscher Konzern mehr

Allerdings ist es auch die Aufgabe von Politik und Wirtschaft, irgendwann wieder nach vorne zu schauen und gemeinsam sachorientiert die Zukunft zu gestalten. Immer neues Banker-Bashing hilft da ebenso wenig weiter wie spöttische Kommentare vonseiten der Politik in Richtung von Managern, die heute in den Kreditinstituten Verantwortung tragen. Ganz im Gegenteil: Das untergräbt das ohnehin erschütterte Vertrauen der Kunden und Investoren auf der ganzen Welt in den Finanzplatz Deutschland und seine Banken. Wir alle in Politik und Wirtschaft sollten vielmehr nüchtern zur Kenntnis nehmen: Unsere Finanzbranche hat im Laufe der vergangenen Jahre im internationalen Wettbewerb den Anschluss verloren. Unter den zehn wertvollsten Banken der Welt befindet sich heute kein einziges wirklich europäisches Institut mehr. Die Rangliste wird fast ausschließlich beherrscht von amerikanischen und chinesischen Instituten. Die wertvollste Bank der Euro-Zone befindet sich im globalen Ranking auf Platz 20, die wertvollste deutsche Bank gar jenseits des Platzes 100! Die Finanzindustrie gehört aber zu den zentralen Branchen einer Volkswirtschaft. Ihre Leistungsfähigkeit ist ein Schlüssel für Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze. Vor diesem Hintergrund ist das ein alarmierender Befund. Ähnlich wie beim Thema Big Data drohen an den globalen Finanzmärkten in Zukunft Amerikaner und Chinesen zu bestimmen, welche Regeln im Wettbewerb gelten. Das kann in Deutschland und Europa nicht in unserem Interesse sein.

Ende der 90er-Jahre standen wir schon einmal vor einer nicht ganz so dramatischen, aber doch ähnlichen Situation. Damals mussten mehr und mehr deutsche Konzerne auf amerikanische Investmentbanken zurückgreifen, wenn es um große Finanzierungen, Börsengänge, Fusionen und Übernahmen (M & A) ging. Der Börsenwert der Deutschen Bank war in der Folge so niedrig, dass es Spekulationen über eine Übernahme durch die amerikanische Citibank gab. Am Ende ist es der Deutschen Bank gelungen, eigenständig zu bleiben und ihre Rolle als wichtigster Ansprechpartner der hiesigen Industrie zu behalten. Auch diese Leistung muss - bei aller berechtigten Kritik an Fehlentwicklungen - zur Kenntnis genommen werden.

Wir müssen in Deutschland deshalb heute wieder neu erkennen, dass wir profitable und international wettbewerbsfähige Banken brauchen. Es ist nicht gleichgültig, wenn unsere Industrie bei großen Finanzierungen und Transaktionen in erster Linie auf ausländische Banken angewiesen ist. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass Kredit- und Finanzierungsentscheidungen in kritischen Fällen noch nie frei von politischen Einflüssen gewesen sind. Und es ist auch nicht völlig gleichgültig, wer die Anteilseigner sind, die die Geschicke einer Großbank maßgeblich mitbestimmen.

Die Politik sollte deshalb erstens den Mut haben, die Bedeutung starker Banken klar zu formulieren, auch wenn es unpopulär erscheinen mag. Dazu gehört deutlich zu machen, dass wir in Deutschland beides benötigen: Sparkassen, Volksbanken und kleinere Privatbanken, die Privat- und Geschäftskunden sowie kleinere mittelständische Betriebe bedienen; aber eben genauso einige international aufgestellte Großbanken, freilich mit einem Kapitalmarktgeschäft, das auf Kundeninteressen ausgerichtet ist, nicht auf reine Zockerei.

Die Politik sollte zweitens Regulierung nicht als Selbstzweck begreifen nach dem Motto "Je mehr, desto besser". Sie muss für einen vernünftigen Ordnungsrahmen sorgen, darf den Häusern aber nicht die Luft zum Atmen nehmen. Und sie sollte drittens Finanzmarktpolitik ein Stück weit wieder als Industriepolitik begreifen, bei der es nicht nur, aber eben auch um zentrale nationale beziehungsweise europäische Interessen gehen sollte. Die Amerikaner sind uns hier meilenweit voraus. Ein prägnantes Beispiel dafür sind die aktuellen Forderungen aus Washington nach noch einmal verschärften Eigenkapitalanforderungen, die US-amerikanischen Banken einen immensen Vorteil gegenüber der europäischen Konkurrenz einräumen würden.

Es gibt keinen Grund, einmal mehr die angelsächsische Banking-Kultur zu kopieren und einer erneuten Deregulierung das Wort zu reden. Aber wir Europäer müssen selbstbewusst die Interessen unseres Standortes vertreten. Acht Jahre nach dem Untergang von Lehman Brothers in den USA und der Notrettung der Hypo Real Estate in Deutschland brauchen wir statt Schadenfreude und Spott über Banker deshalb ein Umdenken in Sachen Finanzmarktpolitik. Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr.

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