Süddeutsche Zeitung

Folgen Wirtschaftskrise:"Kein Wachstum ohne Risiko"

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Der Ökonom Frank Westermann über die positiven Seiten von Finanzcrashs - und warum die Krise erst dann bemerkt wird, wenn es zu spät ist.

Tobias Dorfer

Seit vielen Jahren befasst sich Frank Westermann von der Universität Osnabrück mit den Zusammenhängen von Krisen und Wachstum. In einer Studie aus dem Jahr 2008 kommt der Professor für empirische Wirtschaftspolitik zu dem Ergebnis, dass Staaten, die Finanzcrashs erlebt haben, langfristig ein stärkeres Wirtschaftwachstum verzeichnen. Als Berater war der 38 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler unter anderem für die Weltbank und das Münchner Ifo-Insititut tätig.

sueddeutsche.de: Herr Westermann, Ihre These lautet: Volkswirtschaften, die von Finanzcrashs heimgesucht wurden, entwickeln sich insgesamt besser als Nationen, die davon verschont blieben. Sind Sie, angesichts der dramatischen Lage, nicht zu optimistisch?

Frank Westermann: Ich orientiere mich an den Fakten. Und da zeigt sich, dass es einen Zusammenhang zwischen Krisen und einem hohen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts gibt. Nehmen wir Thailand: 1997 erlebte dieses Land eine schwere Finanzkrise, aber in den Jahren zuvor gab es nahezu 15 Jahre am Stück ein spektakuläres Wachstum. In dieser Zeit wurde das Pro-Kopf-Einkommen mehr als verdoppelt.

sueddeutsche.de: Und damit war Thailand erfolgreicher als andere vergleichbare Länder?

Westermann: Ja. Wenn man die Zeit vor der Krise, die Phase der Eskalation und die Zeit danach anschaut, dann hatte Thailand im Durchschnitt ein erheblich höheres Pro-Kopf-Einkommen als Indien, das von der Krise weitgehend verschont blieb.

sueddeutsche.de: Sie sprechen von Thailand und Indien. Ist Ihr Modell auch auf eine Industrienation wie Deutschland übertragbar?

Westermann: Nicht uneingeschränkt. Diese Effekte sind vor allem in Ländern mittleren Einkommens und Schwellenländern zu erkennen, wo es zu wenig Investitionen gibt. In den großen Industrienationen ist dieser Effekt deutlich schwächer.

sueddeutsche.de: In Ihren Forschungen haben Sie primär regionale Finanzkrisen betrachtet, etwa die Tequila-Krise in Mexiko in den Jahren 1994 und 1995. Sind diese Verwerfungen mit dem Mega-Kollaps, den wir derzeit erleben, überhaupt vergleichbar?

Westermann: Ja. Man erkennt das schon an den Summen, die investiert wurden, um die Krisen zu bewältigen. Nehmen wir das 700-Milliarden-Dollar-Paket, mit dem die US-Regierung im Herbst 2008 das Bankensystem stabilisiert hat: Eine irrsinnige Summe, aber trotzdem sind das nur fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. Dagegen wurden in Thailand 15 bis 20 Prozent des Bruttosozialprodukts investiert, um die Asienkrise zu überwinden. Sie sehen, der aktuelle Crash ist keine historisch schwere Finanzkrise.

sueddeutsche.de: Trotzdem hat er schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft. Hätte diese Krise nicht mit Hilfe von Schutzmaßnahmen verhindert werden können?

Westermann: Verhindert nicht, aber abgemildert. Doch das hat nicht nur Vorteile.

sueddeutsche.de: Was spricht dagegen?

Westermann: Natürlich hätte man die Finanzmärkte stärker regulieren können. Damit hätte man zwar die Wahrscheinlichkeit einer Krise verringert, gleichzeitig aber sinnvolle Investitionen verhindert - und damit das Wirtschaftswachstum geschwächt. Es würde zu weit gehen, wenn die Politik versucht, die Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise auf null zu reduzieren.

sueddeutsche.de: Derzeit hat der starke Staat jedoch Hochkonjunktur. In Deutschland müssen möglicherweise sogar die Aktionäre der Hypo Real Estate enteignet werden, damit der Konzern nicht pleitegeht. Der Staat rettet, was zu retten ist - und Sie sind dagegen?

Westermann: Es ist die Entscheidung einer Gesellschaft, was sie möchte: Sicherheit oder Wachstum. Ich sage ja nicht, dass staatliche Eingriffe falsch sind. Aber man muss wissen, dass sie mit Kosten verbunden sind. Wachstum geht eben einher mit Risiko.

sueddeutsche.de: Viele Nationen suchen derzeit eher die Sicherheit. Wie lange wird es dauern, bis das Finanzsystem wieder alleine handlungsfähig ist?

Westermann: Länger, als einige glauben. Japan ist nach dem Beginn seiner Krise in den neunziger Jahren in eine Stagnationsphase von über zehn Jahren gerutscht, und erst an deren Ende war ein großer Teil des Bankensystems verstaatlicht. Die meisten Länder weisen zwar bereits zwei Jahre nach der Krise wieder ein deutlich höheres Bruttoinlandsprodukt aus. Aber man muss darauf achten, dass einzelne Sektoren, die sich über das Bankensystem finanzieren, oft viel längere Rezessionsphasen durchmachen.

sueddeutsche.de: Sie haben viele Krisen analysiert. Warum bemerken wir den Crash erst, wenn es zu spät ist?

Westermann: Es gibt tatsächlich Indikatoren, die auf eine Krise hindeuten - etwa das Kreditvolumen oder starke Aufwertungen des Wechselkurses. Wann der große Knall kommt, kann man jedoch nicht vorhersagen. Es ist wie beim Autofahren. Man weiß genau, dass ein stark alkoholisierter Fahrer irgendwann einmal gegen einen Baum fahren wird. Man weiß jedoch nicht, wann das passieren wird und welchen Baum es treffen wird.

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